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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 476 / 19.9.2003

Juden am Ball

Ein fast vergessenes Kapitel der europäischen Sportgeschichte

Über den jüdischen Beitrag zum europäischen Kulturleben ist viel geschrieben worden. Kaum bekannt ist allerdings der Anteil, den Juden an der Verbreitung des vielleicht wichtigsten Zweigs der Massenkultur hatten: des Fußballsports. Das von Dietrich Schulze-Marmeling im Göttinger Werkstatt-Verlag herausgegebene Buch "Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball" schließt diese Lücke.

Dass die Erfolge jüdischer Fußballer das antisemitische Stereotyp vom "kraftlosen" Juden sichtbar widerlegten, gab den Ideologen des NS-Sports nicht einen Moment zu denken. Als ihr Lieblingsclub Schalke 04 1939 im "großdeutschen" Finale Admira Wien mit 0:9 unterlag, machten sie die "Verjudung" des österreichischen Fußballs für das Debakel verantwortlich: Der Professionalismus sei das "Gift", das "jahrelang mit teilweise echt jüdischer Geschicklichkeit ins Volk gespritzt worden" sei.

Die starke Stellung des "jüdischen Fußballs" in Deutschland, mehr noch in Ungarn, der Tschechoslowakei und Österreich, hatte mehrere Ursachen. Sicher hat Paul Spiegel recht, der in seinem Grußwort die Faszination hervorhebt, den der Fußball auf jüdische Jungen aus der Arbeiterschaft und dem Kleinbürgertum ausübte. Entscheidend war aber auch das Engagement jüdischer "Fußballpioniere", die sich schon in den Anfangsjahren um die Popularisierung des von deutschnationalen Turnern geschmähten "englischen" Spiels verdient machten.

Der bedeutendste unter ihnen war Walther Bensemann, geboren 1873 in Berlin. Er war aktiver Spieler, Vereinsgründer, Funktionär und als Herausgeber des 1920 von ihm gegründeten Kicker der bedeutendste deutschsprachige Sportjournalist seiner Zeit. Sein Credo "Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht das einzig wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen" mutet heute naiv an, sein Werben für Frieden und internationale Verständigung wurde aber nicht nur den Nazis ein Ärgernis. 1933 emigrierte er in die Schweiz, wo er schon ein Jahr später verarmt starb. (Unter dem Titel "Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte" erzählt Bernd-M. Beyer Bensemanns Lebensgeschichte in der Form eines dickleibigen "biografischen Romans", der fast zeitgleich mit "Davidstern und Lederball" erschienen ist, ebenfalls im Göttinger Verlag Die Werkstatt.)

Der Deutsche Fußballbund (DFB), dessen durch Auslassungen gekennzeichneter Umgang mit der eigenen braunen Vergangenheit bekannt ist, drückt sich bis heute um ein klares Schuldbekenntnis, was den eiligen Ausschluss seiner jüdischen Mitglieder 1933 angeht. Noch in der offiziellen "Geschichte des deutschen Fußballsports", erschienen 1954, wurde der "politische Umbruch" des Jahres 1933 positiv bewertet, weil durch ihn "viele Schranken und Hemmnisse für die Entwicklung des Fußballsports fielen". Erik Eggers schildert in seinem Beitrag die freiwillige Gleichschaltung des DFB und die skandalösen "Gedächtnislücken" seiner Spitzenfunktionäre. Dennoch will er die Hoffnung nicht aufgeben, dass die vom DFB in Auftrag gegebene Studie über den deutschen Fußball während der NS-Zeit ein Umdenken einleiten könnte.

In insgesamt 28 Beiträgen ausgewiesener Kenner der Materie werden jüdische Spieler, Trainer, Funktionäre, Sportjournalisten porträtiert, jüdische Vereine wie Makkabi, Bar Kochba, Schild oder Hakoah vorgestellt - und ebenso die von ihren Gegnern so genannten "Judenclubs" Bayern München und Ajax Amsterdam. Ein lesenswertes Buch, das nicht nur historisches Wissen vermittelt, sondern auch, wie der Herausgeber (und mit ihm der Rezensent) hofft, einen kleinen Beitrag leisten könnte zur "Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland".

Js.

Dietrich Schulze-Marmeling (Hrsg.): Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball. Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 512 Seiten, 26,90 EUR
Bernd-M. Beyer: Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte. Das Leben des Walther Bensemann. Ein biografischer Roman. Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 560 Seiten, 26,90 EUR