Trouble in Paradise
Mit Freihandel und Militär erobert Australien die Südsee
Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit besetzten australische und neuseeländische Militäreinheiten am 24. Juli diesen Jahres Honaria, die Hauptstadt des pazifischen Inselstaates der Salomonen. 14 Militärtransporter und ein Kriegsschiff der australischen Marine setzten eine Interventionstruppe von 2.225 Soldaten an Land, die bis heute die Inseln besetzt halten. Der folgende Beitrag ordnet das Salomonen-Abenteuer ein in eine zunehmend aggressive militärische und ökonomische Strategie Australiens im Südwestpazifik.
Viele dieser Länder sind zu klein, um lebensfähig zu sein ... Wir müssen einen Ansatz entwickeln, den ich einmal als ,gemeinsame regionale Regierungsverantwortung' bezeichnen möchte. Von einem Inselstaat mit weniger als 100.000 Menschen kann man einfach nicht erwarten, dass er allein alle ausgefeilten Regierungsinstrumente zur Verfügung hat." Die zitierten Äußerungen stammen vom australischen Premierminister John Howard. Sie fielen auf einer Pressekonferenz am 22. Juli diesen Jahres, unmittelbar vor der Salomonen-Intervention. Howard präsentierte damit eine Politik der direkteren, auch militärisch gestützten Intervention in Australiens Hinterhof, dem südwestlichen Pazifik.
Neben der Formel von der "gemeinsamen regionale Regierungsverantwortung" schlägt er u.a. eine gemeinsame Polizeistruktur für den gesamten Pazifikraum vor. Die Einheiten sollen in Australien ausgebildet werden. Gleichzeitig strebt die Regierung in Canberra eine Zusammenlegung der Luftfahrtlinien in dieser Region an. Nur einen Tag nach seinem Chef forderte Außenminister Alexander Downer in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC eine Liberalisierung des Handels sowie einen gemeinsamen Markt im Südwestpazifik nach EU-Vorbild. Als Howard am 12. August zum Gipfeltreffen des Pazifischen Inselforums (PIF) in Neuseelands Hauptstadt Auckland aufbrach, veröffentlichte das Senatskomitee für Außenpolitik, Verteidigung und Handel punktgenau einen Bericht, in dem die Integration der PIF in eine Pazifische Ökonomische und Politische Gemeinschaft gefordert wurde - mit dem australischen Dollar als einziger gemeinsamer Währung.
Immer mehr pazifische Inselstaaten sind in eine umfassende politische und ökonomische Krise geraten. Ursache dafür ist vor allem die neoliberale Freihandelspolitik, die von Australien und Neuseeland vorangetrieben wird. Die neo-kolonialistischen Eliten in der Region sind immer weniger im Stande, diese Krise einzudämmen. Das Dilemma für Canberra besteht nun darin, wie die politische und ökonomische Kontrolle wiederhergestellt werden kann, ohne zu einer allzu offenkundigen Strategie der Rekolonialisierung zurückkehren zu müssen.
Ende der postkolonialen Zurückhaltung
Die momentane außenpolitische Debatte in Australien wird vor allem von zwei Seiten beeinflusst. Die eine ist das Australian Strategic Policy Institute (ASPI). Es wird wesentlich vom Verteidigungsministerium finanziert und ist das australische Pendant zu den Think Tanks der amerikanischen Neokonservativen. Neben dem ASPI spielt das eher neoliberale Centre for Independent Studies (CIS) eine zentrale Rolle. Aus diesem Haus stammt ein einflussreiches Papier von Helen Hughes, Wissenschaftlerin an der Australian National University (ANU).
Das ASPI-Papier zur momentanen Diskussion hat Elsina Wainwright verfasst, Direktorin von ASPIs Strategy and International Program. "Die Herausforderungen an die Sicherheit, mit denen wir in Folge auseinander brechender Staaten konfrontiert sind", so Wainwright, "haben die Außenpolitik gezwungen, viele ihrer postkolonialen Zurückhaltungen aufzugeben." Nationalstaatliche Souveränität sei folglich nichts Absolutes mehr. Um den Vorwürfen des Neokolonialismus zu begegnen, sei eine "breit fundierte internationale und regionale Unterstützung" für jede Form der Intervention notwendig sowie "wenn möglich ... die Zustimmung des betroffenen Staates."
Schon im Jahre 2002 orientierte das ASPI auf eine interventionistische Strategie: "Seit der Dekolonisation hat die australische Politik immer wieder betont, dass man diesen Ländern erlauben müsse, ihre Probleme selbst zu lösen. ... Zumindest in Bezug auf unsere Beziehungen zu Melanesien scheint dieser Ansatz jetzt nicht mehr zu funktionieren."
Australiens pazifische Nachbarn wie z.B. die Salomonen hätten "buchstäblich aufgehört, als effektive nationale Einheiten zu funktionieren", so Elsina Wainwright heute. Schlimmer noch: Die Salomonen könnten sich zu einer Art "Petri-Schale" entwickeln, "in der sich transnationale und nicht-staatliche Sicherheitsbedrohungen entwickeln können." Folglich warnt Wainwright auch davor, dass "potenziell bedeutsamere feindselige Kräfte von Basen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft aus operieren können." Um dem zuvorzukommen, empfiehlt sie die Salomomen als Testfall für eine Politik, die sich wieder zur militärischen Intervention bekennt. Gleichzeitig sollen Teile des Finanzwesens und der Verwaltung wieder direkt von australischen BeamtInnen kontrolliert werden.
Das Strategiepapier des CIS führt die pazifische Krise auf eine Politik zurück, die zu einer Hilfeabhängigkeit geführt habe. Es wird davor gewarnt, dass die "Sicherheit Australiens bedroht wird durch den ungehinderten Strom von Drogen, Waffen und schließlich Terror sowie die große Anzahl von Wirtschaftsflüchtlingen". Und auch dieses Institut wittert "Schurkenstaaten" vor Australiens Haustür, namentlich Papua Neuguinea.
Imperialismus Down Under
CIS-Autorin Helen Hughs schlägt vor, das Gemeindeeigentum in der Pazifikregion abzuschaffen und durch private Eigentumsrechte zu ersetzen. Wenn die pazifischen Inseln unbedingt am Gemeineigentum festhalten wollen, so haben sie zwar das Recht dazu. "Aber es gibt keinen Grund dafür, dass australische oder irgendwelche anderen Steuerzahler eine solche Entscheidung auch noch durch Hilfeleistungen unterstützen sollen." In einem Artikel in der Financial Review vom 23.7.2003 schreibt sie weiter: "Die dringendste Aufgabe ist es, auf den Salomonen private Eigentumsrechte einzuführen, damit sie die Möglichkeit haben, für den Weltmarkt zu produzieren. ... Die Salomonen müssen lernen, die Produktivitätsleiter nach oben zu klettern." Australiens Nachbarn seien nicht mehr nur "instabil". Sie bedeuten auch eine "klare und gegenwärtige Gefahr" für Australiens nationale Sicherheit.
Beide Papiere sind mehr als bloße Theorie. Ihre Vorschläge werden sowohl von der Howard-Regierung als auch von den Massenmedien aufgegriffen. Die ASPI-Empfehlungen waren die exakte Vorlage für die Salomonen-Intervention.
Howards Idee der "gemeinsamen regionalen Regierungsverantwortung" drängt die PIF darüber hinaus weiter in Richtung einer Freihandelszone, ein Prozess, der sich bereits seit 1998 vollzieht. Im Jahr 2001 hat das PIF das Handelabkommen der Pazifischen Inselstaaten (PICTA) sowie das Pazifische Abkommen für engere ökonomische Beziehungen (PACER) gebilligt. Beide Abkommen hängen eng zusammen. In den Worten von PACER zielen sie zum einen darauf, "den Inselstaaten des Forums (d.h. den PIF-Staaten ohne Australien und Neuseeland) Brücken zu bauen, damit sie Teil eines einheitlichen regionalen Marktes werden und sich in die Weltwirtschaft integrieren können." Dies ist die spezifische Rolle von PICTA. Mit diesem Abkommen soll bis zum Jahr 2012 unter den unterentwickelten PIF-Ländern eine Freihandelszone geschaffen werden. Seit dem 13. April diesen Jahres ist PICTA in Kraft.
Zum zweiten stellen beide Abkommen sicher, dass die Integration in den globalisierten freien Markt unter der Dominanz von Australien und Neuseeland erfolgt. Dafür sorgt insbesondere PACER, das im Oktober 2002 in Kraft trat. PACER war u.a. ein vorbeugender Schachzug gegen die Freihandelsverhandlungen, die im September 2002 zwischen der EU und den AKP-Staaten begonnen haben. (1) PACER legt fest, dass ein PIF-Staat, der mit irgendeinem Nicht-PIF-Staat Freihandelsabkommen aushandelt, dies auch mit Australien und Neuseeland tun muss. Selbst wenn es keine Verhandlungen mit Nicht-PIF-Staaten gibt, erfordert PACER den Beginn solcher Verhandlungen zwischen den armen PIF-Staaten sowie Australien und Neuseeland innerhalb der nächsten acht Jahre.
Der Freihandel wird die Wirtschaft der pazifischen Staaten weiter ruinieren. Bereits jetzt leiden sie massiv unter den ungleichen Handelsbeziehungen zu Australien. Australische Produkte haben auf den Fidschi-Inseln einen dominierenden Marktanteil von 37%. Zwischen 2001 und 2002 importierten die Salomonen australische Produkte im Wert von 64 Mio. US-Dollar, fast die Hälfte der Gesamteinfuhr. Umgekehrt wurden nach Australien nur Güter im Wert von 2 Mio. US-Dollar exportiert. Im Bilanzjahr 2002/2003 betrug der Wert australischer Exporte nach Kiribati 38,1 Mio. US-Dollar, der Import aus Kiribati kam umgekehrt über 285.000 US-Dollar nicht hinaus. Seit in Folge des PICTA-Abkommens die Handelszölle fallen, verlieren die armen PIF-Staaten zudem ihre Hauptsteuereinnahmen. In der Konsequenz führen die Regierungen in diesen Ländern Verbrauchssteuern nach dem Vorbild der Mehrwertsteuer ein.
Freier Markt am Palmenstrand
Auch die australische Entwicklungshilfe in der Region ist ebenfalls alles andere als uneigennützig. Die Regierungsorganisation AusAID nimmt kein Blatt vor den Mund: "Das Ziel des australischen Hilfsprogramm ist eindeutig. Es geht darum, Australiens nationale Interessen zu befördern. ... Der australische Privatsektor spielt bei der Erreichung dieses Ziels eine signifikante Rolle. ... Das Programm und sein Erfolg hängt entscheidend von australischen Expertisen bei der Bestimmung, dem Design und der Durchführung von Hilfeprojekten ab."
Nach Berichten von Aid/Watch gehen 70% der Hilfeleistungen zurück an australische Beratungsorganisationen. Tatsächlich zielen viele der Hilfeprojekte für "ökonomische Reform und politische Effizienz" darauf, die australischen neoliberalen Politikstrategien in die politischen Institutionen und die Wirtschaft der pazifischen Länder zu exportieren. Im Jahr 1999 bekam die Beratungsfirma Hassal & Associates einen Fünf-Jahres-Auftrag über 8,5 Mio. US-Dollar, um die Steuer- und Zollverwaltung auf den Fidschi-Inseln zu "reformieren". Die Firma ACIL erhielt im Jahr 2001 über 250 Mio. US-Dollar aus dem AusAID-Fonds. Die Firma ist 1998 berühmt-berüchtigt geworden, als sie die Howard-Regierung bei der Zerschlagung des Hafenarbeiterstreiks und der Gewerkschaft MUA beraten hatte. Die Beratungsfirma GRM International schließlich soll für 5 Mio. US-Dollar über vier Jahre den Öffentlichen Sektors auf Samoa "reformieren".
Egal, ob es sich um Kredite der Weltbank oder um Entwicklungshilfe handelt: Beide wirken Hand in Hand bei der kapitalistischen Durchdringung der südwestpazifischen Ökonomien durch australische Unternehmen.
Iggy Kim, Sidney
Dies ist die gekürzte Fassung eines Beitrags, der unter dem Titel "Howard's Pacific Colonialism: Who benefits?" in der australischen Wochenzeitung Green Left Weekly erschienen ist. Übersetzung: Dirk Hauer
Anmerkung:
1) Alle PIF-Staaten sind gleichzeitig Mitglieder der Gruppe Afrikanischer, Karibischer und Pazifischer Staaten (AKP-Staaten) mit dem Hauptquartier in Brüssel.