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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 477 / 17.10.2003

Ist zwei und zwei vier?

Zum Streit um Antisemitismus in Attac

Nun ist sie endlich auch in Attac angekommen, die Antisemitismusdebatte. Immer wieder hatten Rechtsradikale in der Vergangenheit mehr oder weniger offen versucht, sich auf Attac zu beziehen (zuletzt in Frankfurt am Main, s. ak 476). Mehrfach hatten Attac-AktivistInnen andererseits vergeblich versucht, darüber eine interne Diskussion anzustoßen - bis jetzt. Denn seit einigen Wochen kracht es bei Attac.

Angefangen hatte alles mit einer Pressemeldung des DGB-Vorsitzenden aus Göttingen, Sebastian Wertmüller. Der, selbst Attac-Mitglied, hatte zuerst intern und dann öffentlich moniert, dass in der bundesweiten Attac-AG "Globalisierung und Krieg" eine Israel- und USA-Kritik vertreten sei, wie sie sonst nur von islamistischen Organisationen und von Rechtsextremisten vertreten werde. Terroristische Aktivitäten von islamischen Gruppen dagegen würden verdrängt oder verklärt. Wertmüller machte diese Kritik u.a. fest an einem Aufruf zu einem Protesttag gegen die Besatzung in Irak und Palästina, den die AG ausgerechnet am Jahrestag des Beginns der zweiten Intifada verfasst hatte. Zentral für seinen Antisemitismusvorwurf war eine Unterschriftensammlung der AG mit folgendem Wortlaut: "Wir fordern die verantwortlichen deutschen Politiker auf, die deutschen Rüstungsexporte nach Israel und die israelischen Warenimporte aus den Siedlungen in den besetzen Gebieten in die EU umgehend zu unterbinden!" Wertmüllers Kritik an der Unterschriftensammlung schlossen sich unmittelbar auch einige Mitglieder des bundesweiten Koordinierungskreises von Attac an. Die angegriffene AG reagierte prompt und nahm den Text von ihrer Website. Eine Sprecherin der AG begründete das folgendermaßen: "Ich halte den Vorwurf des Antisemitismus für unberechtigt. Der Aufruf ist eine klare Stellungnahme gegen die Besatzung. Er greift die Forderungen der israelischen Friedensgruppe Gush Shalom auf und wendet sich in dem strittigen Punkt nicht an die Bevölkerung, sondern an die Bundesregierung. Sie wird aufgefordert, sich an das EU-,Interimsabkommen über Handel und den Handel betreffende Angelegenheiten` von 1995 zu halten. Allerdings muss ich einräumen, dass in Deutschland bestimmte Kreise die Forderungen für antisemitische Zwecke missbrauchen könnten. Ich finde die Forderungen richtig, sehe aber auch nicht, dass mit dieser Aktion in Deutschland eine breite Kampagne auszulösen ist. Wegen dieser beiden Gründe, und weil in Attac insgesamt noch ungeheuer viel Diskussionsbedarf zu diesem Thema besteht, neige ich dazu, das Papier nicht auf die Liste zu stellen." Die AG-Mitglieder forderte sie zur Diskussion des Vorgangs auf und wies auf Texte hin, anhand derer sie sich über den "Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus" informieren könnten. Darunter war auch ein Text von Attac Frankreich, der ausdrücklich aus einer Position der Solidarität mit der palästinensischen Seite im Nahostkonflikt argumentiert.

Hart formulierte Fragen

In der AG "Globalisierung und Krieg" arbeiten viele LinksruckaktivistInnen mit. Die waren es auch v.a. gewesen, die schon im Frühjahr eine Veranstaltungstour durch eine Reihe von Städten organisiert hatten, auf der u.a. die britische Journalistin Yvonne Ridley auftrat. Diese setzte sehr stark auf eine parallele Einschätzung der Konflikte um den Irak und in Israel/Palästina. Mehrfach war im Rahmen der Tour von "faschistischer israelischer Regierung" die Rede und von Israel als "kolonialem Konstrukt". Bei der Kölner Veranstaltung kam es zu tumultartigen Szenen, die beinahe zum Abbruch geführt hätten und in deren Folge einige Mitglieder Attac verließen. In der allgemeinen Antikriegsmobilisierung wurde die Antisemitismus-Kritik aber nicht sehr stark beachtet und die AG-Koordinatorinnen verzögerten in einem Spiel mit verteilten Rollen eine Klärung: Während die eine sich einsichtig zeigte und mehr Zurückhaltung gelobte, rechtfertigte eine zweite die geäußerten Positionen und eine dritte fragte scheinbar uninformiert nach, worin die Kritik eigentlich bestünde. So entstand kein gemeinsamer Diskussionsstand, bis die Tour beendet war. Danach sprach die AG nur noch von dem großartigen Mobilisierungserfolg und verschickte überschwänglich lobende Berichte aus verschiedenen Städten. Auf die Kritik ging niemand mehr ein.

Schon der Gründungsprozess der umstrittenen AG war konfliktiv abgelaufen. Grundsätzlich können sich in Attac AGs frei bilden. Um aber selbstständig öffentlich auftreten zu können, bedarf es eines formalen Verfahrens: Die AG soll ein Arbeitsprogramm entwickeln, soll darlegen, wie sie sich in die Attac-interne Öffentlichkeit einbringen will und ein inhaltliches Papier erarbeiten, in dem sie darlegt, wie ihr jeweiliges Thema mit der Globalisierung zusammenhängt. Danach stellt der Attac-Rat fest, dass die AG nunmehr die Berechtigung zur eigenen Öffentlichkeitsarbeit hat. Die AG "Globalisierung und Krieg" hat dieses Verfahren nie durchlaufen. Die vorgelegten Papiere sind im Rat immer als unzureichend, z.T. als Attac-Positionen widersprechend abgelehnt worden. Mit dem Argument, nun sei keine Zeit, um Papiere zu schreiben, und mit der Zusage, ein konsensfähiger Text werde mit den KritikerInnen aus dem Rat gemeinsam nachgeliefert, erwirkte die AG ihren formalen Status.

Die aktuelle Auseinandersetzung ist somit der dritte Konflikt mit der AG "Globalisierung und Krieg" innerhalb weniger Monate. Das hat dazu geführt, dass manche Reaktionen äußerst harsch ausfielen. Einzelne Stimmen sprachen und sprechen noch von der eventuellen Notwendigkeit organisatorischer Konsequenzen, also der Aberkennung des AG-Status oder gar dem Ausschluss der AG aus Attac. Für beides gibt es gar keine Verfahren und sicher auch keinen Konsens, aber es zeigt die Schärfe des Streits. Und es verweist auf ein strukturelles Problem: Attac findet seine Positionen im Konsens; was nicht von (fast) allen geteilt wird, kann nicht im Namen von Attac öffentlich vertreten werden. Was aber geschieht, wenn Akteure innerhalb von Attac die (durchaus auch formale) Berechtigung haben, selbstständig öffentlich zu agieren und zwar in ihren eigenen Reihen, nicht aber insgesamt in Attac Konsense für bestimmte Positionen bestehen?

"Man darf ja nix mehr sagen"

Attac hat zwar eine Beschlusslage, dass es in seinem Rahmen "für Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus und verwandte Ideologien keinen Platz" gibt, aber es verfügt über keinerlei Instrumente, eine solche Position gegebenenfalls auch durchsetzen zu können. Das einzige Mittel ist die geduldige, aber auch kontroverse Diskussion.

In diesem Sinne hatte es bereits vor einiger Zeit den Versuch gegeben, eine solche Diskussion anzustoßen. Zusammen mit vier anderen AutorInnen aus Rat und Koordinierungskreis hatte ich unter dem Titel "Grenzen der Offenheit" einen Text verfasst, in dem wir uns mit der Frage auseinandersetzen, warum Rechtsradikale immer wieder meinen, sie fänden bei Attac ein sinnvolles Feld für eigene politische Projekte. Damals ging es um Vorfälle wie die Einladung des Möllemann-Freundes Karsli durch Attac Bochum, die Nichtentfernung von 20 Neonazis aus einer Antikriegskundgebung in München oder um den Spruch "Wessen Straßen - unsere Straßen, wessen Bildung - unsere Bildung, wessen Deutschland - unser Deutschland", der auf einer Attac-Demo in Düsseldorf skandiert worden war. In dem Papier wird auf die Anschlussfähigkeit mancher Deutungsmuster des Alltagsverstandes an rechtsradikale, insbesondere antisemitische Positionen hingewiesen. Es wird deutlich gemacht, dass die TrägerInnen solcher Muster nicht diffamiert, die Muster selbst aber sichtbar gemacht und bekämpft werden müssen. Und es werden Überlegungen darüber angestellt, wie Politik so formuliert werden kann, dass Rechtsradikale keine Anschlussstellen finden.

All das hat in der Attac-Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit gefunden. Trotz umfassenden Angebots wurden Veranstaltungen mit den AutorInnen kaum nachgefragt. Dafür fragte die jungle world, die das Papier seinerzeit dokumentiert hatte, was denn aus der Debatte geworden sei - in einem Interview am 17.9. mit Astrid Kraus (Mitglied des Koordinierungskreises, aber keine der fünf AutorInnen). Astrid Kraus' äußerst kritische Darstellung des Attac-Diskussionsstandes in der jungle world fachte die ohnehin scharfe Debatte nochmals an, die sich innerhalb von Attac im Anschluss an Sebastian Wertmüllers Kritik auf den Attac-Mailinglisten entwickelt hatte - auf denen sich im Übrigen schon lange eine Vielzahl von VerschwörungstheoretikerInnen tummelt, die sich insbesondere am 11. September abarbeiten.

Astrid Kraus führt im Interview einige der hier geschilderten Probleme aus und attestiert "vielen Attac-SympathisantInnen mangelndes Bewusstsein für antisemitismus befördernde Forderungen". Diese etwas gewundene Formulierung soll deutlich machen, dass ihr Vorwurf nicht (wie bei Wertmüller) der des Antisemitismus ist, sondern sich vielmehr dagegen richtet, dass Anschlussstellen zum Antisemitismus nicht ausreichend in den Blick genommen und zu schließen versucht werden. Eine ganze Reihe der mailing-Diskussionsbeiträge wies das als Diffamierung heftigst zurück, beharrte aber gleichzeitig darauf, dass die Rechnung, wonach "zwei und zwei schließlich vier" ist, nicht falsch sei, bloß weil Nazis auch so rechneten. Manche betonten außerdem ausdrücklich, dass man sich nach rechts gar nicht abgrenzen könne und es auch nicht müsse. Es reiche, klare Positionen zu beziehen.

"Ungeheurer Diskussionsbedarf"

Es dominierte aber neben der Zurückweisung eines so nie erhobenen Antisemitismusvorwurfs die Behauptung, es gehe uns bzw. Astrid Kraus lediglich um die Unterbindung jeglicher Kritik an Israel. Abgesehen davon, dass Israelkritik ja auch innerhalb von Attac dauernd geübt wird, also keineswegs verboten ist oder verhindert wird, ignoriert eine solche Behauptung auch, was wir immer ausdrücklich gesagt hatten: Harte Kritik an Israels Regierungspolitik ist dringend nötig, kann aber nicht gemeinsam mit Gruppen/Personen formuliert werden, die für die Wirkungsweise des modernen Antisemitismus keine Aufmerksamkeit haben. Tatsächlich bedient jenes Argument selbst ein Muster, dem spätestens seit 1945 jeder Antisemit zustimmen wird: "Man darf ja nichts mehr sagen!" - was nichts anderes heißt, als dass früher, vor 1945 eben, die Wahrheit noch gesagt werden durfte.

Inzwischen haben sich einige weitere Mitglieder des Attac-Rates in die Debatte eingemischt. Vor allem von Seiten der Mitgliedsorganisation medico international wird viel eigene Erfahrung in die Diskussion eingebracht. Die AG "Globalisierung und Krieg" ist augenblicklich wieder verstummt. Ihre Ratsvertreterin hat erst einmal die Beantwortung einiger besonders kritischer (und hart formulierter) Fragen abgelehnt. Auf dem Ratschlag im Oktober, der bundesweiten offenen Mitgliederversammlung von Attac, soll nun ein erster Anlauf gemacht werden, das Problem zu umreißen und Diskursstrategien zu entwerfen, die eine sachliche Debatte ermöglichen. Das Interesse daran wird von vielen ausdrücklich damit begründet, dass ansonsten eine Auseinandersetzung drohe, die Attac lähmen könnte. Es scheint mir aber völlig ungewiss, ob es mit dieser Haltung gelingt, die entscheidende Frage zu beantworten, die nämlich lautet: Schadet der Vorwurf des Antisemitismus Attac oder schadet es vielmehr, wenn Attac sich weigert, über die Frage des Antisemitismus eine selbstkritische Debatte zu führen?

Werner Rätz

Mitglied des Attac-
Koordinierungskreises BRD