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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 477 / 17.10.2003

Explosiver Fund in rechter Szene

Vereitelter Anschlag in München offenbart Nazi-Vernetzung

Wohl durch Zufall wurde in München ein Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums verhindert. Bei Durchsuchungen am 10. September 2003 stellte die Polizei mehr als 14 Kilogramm Sprengstoff, darunter 1,7 Kilogramm TNT, sicher. Mittlerweile wurden in diesem Zusammenhang bundesweit elf Neonazis verhaftet; als Kopf der Neonazi-Combo gilt Martin Wiese, Anführer der Kameradschaft Süd - Aktionsgemeinschaft Süddeutschland.

Am 26. September, also nur wenige Tage vor dem Zugriff der Polizei, jährte sich zum 23. Mal der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest. Der vermeintliche Einzeltäter Gundolf Köhler, Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann, zündete 1980 eine Bombe mit 1,4 Kilogramm TNT. 13 Menschen wurden getötet und weit über 200 zum Teil lebensgefährlich verletzt. Im Zuge der jetzigen Hausdurchsuchungen stellte die Polizei neben 14 Kilogramm Sprengstoff, darunter 1,7 Kilogramm TNT, noch Handgranaten, Messer und Pistolen sowie umfangreiches Propagandamaterial sicher. Ebenfalls gefunden wurden Listen, auf denen missliebige Journalisten und AntifaschistInnen vermerkt waren.

Die Neonazis sollen geplant haben, am 9. November, dem 65. Jahrestag der Reichspogromnacht, einen Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung des neuen jüdischen Kulturzentrums auf dem Münchner Jakobsplatz zu verüben. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung war der Plan weit gediehen - die Gruppe wollte durch die Kanalisation an den Ort des geplanten Attentats herankommen. Als weitere Anschlagsziele hatten die Neonazis die Münchner Synagoge, Asylbewerberheime, Mahnmale und eine griechische Schule in Betracht gezogen. Auch der Spitzenkandidat der Bayern-SPD zur Landtagswahl, Franz Maget, stand auf der Liste möglicher Attentatsziele.

Im Visier: Jüdisches Kulturzentrum

Hausdurchsuchungen und Verhaftungen fanden in diesem Zusammenhang nicht nur in München statt: Im brandenburgischen Menkin wurden zwei Neonazis, darunter ein ehemaliges NPD-Mitglied, verhaftet. Die Bundesanwaltschaft vermutet, dass sie den Münchner Neonazis Waffen und Teile des Sprengstoffs besorgten. Im mecklenburgischen Güstrow und in Berlin wurden zwei weitere Männer festgenommen. Bei der Hausdurchsuchung trug der Berliner einen Ring mit einem SS-Totenkopf; in seinem Schrank wurde eine SS-Uniform gefunden. Die 1,7 Kilogramm TNT besorgten sich die Neonazis laut Süddeutscher Zeitung in Polen. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung" übernommen.

Bereits im Februar hatte ein Deutsches Anti-Jüdisches Kampfbündnis in München Briefe mit gelblichem Pulver verschickt und mit Terroranschlägen auf jüdische Einrichtungen gedroht. Gefordert wurde die sofortige Einstellung der Bauarbeiten am jüdischen Kulturzentrum am Jakobsplatz.

Auf die Spur der "Rechtsterroristen" kamen die ErmittlerInnen wohl nur durch Zufall: Ein Neonazi-Aussteiger, der von seinen ehemaligen Kameraden zusammengeschlagen wurde, brachte die ErmittlerInnen auf die Spur. Von einem Zufallsfund will der bayrische Innenminister Günther Beckstein jedoch nichts wissen. Er bezeichnet die Verhinderung des Sprengstoffanschlag als "riesigen Erfolg" der Sicherheitsbehörden. "Versäumnisse" will er nicht erkennen. Jedoch will er "nicht völlig ausschließen", dass man die Rolle der Kameradschaft Süd und vor allem die des Martin Wiese unterschätzt oder falsch bewertet habe. Im letzten bayrischen Verfassungsbericht heißt es, dass rechte "terroristische Ansätze" in Bayern nicht zu erkennen wären.

Ebenfalls noch keine Erklärung hat Beckstein zu den Vorwürfen einiger linker und antifaschistischer Münchner Gruppen parat. Diese werfen dem Innenministerium und der Staatsanwaltschaft vor, gefährdete Personen nicht gewarnt zu haben. So mussten u.a. das Münchner Friedensbüro und die PDS aus der Boulevardzeitung tz erfahren, dass eine 17-jährige, ehemalige Postbank-Auszubildende im Auftrag der Kameradschaft Süd ihre Konten ausforschte und so an die Namen von Kontobevollmächtigten, Vereinsvorständen und EinzahlerInnen gelangen konnte. Weder PDS noch Friedensbüro wurden über den Fund ihrer Kontodaten bei den Neonazis informiert.

Nazi-Zelle: Keine Unbekannten

Seit rund drei Jahren lebt der 27-jährige, in Mecklenburg-Vorpommern geborene Martin Wiese in der bayrischen Landeshauptstadt. Seine Geburtstagsfeier mit rund 60 Gästen im Januar 2001 in einer Münchner Gaststätte war Ausgangspunkt für einen brutalen, rassistischen Überfall auf einen Griechen. Dieser war zufällig an der Gaststätte, in der die Neonazis feierten, vorbeigekommen und wurde von mehreren Neonazis beinahe totgetreten. Er überlebte den Angriff wohl nur, weil ihm türkische Jugendliche zu Hilfe eilten. In diesem Zusammenhang wurde auch gegen Wiese wegen versuchter Tötung ermittelt - zu einer Gerichtsverhandlung kam es jedoch nie. Im August 2002 stand Wiese gemeinsam mit Norman Bordin - dieser war bis zum Antritt einer Freiheitsstrafe wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung "Anführer" der Kameradschaft Süd - vor einem Münchner Gericht. Wiese hatte im April 2001 einen Schwarzen mit einem Faustschlag niedergestreckt.

Der Schlag wurde jedoch als "Notwehr" gewertet, eine Verurteilung blieb aus. Im Jahre 2000 beteiligte sich Wiese an mehreren Infoständen der NPD in der Münchener City. Im August nahm er mit anderen Münchener Neonazis am so genannten Rudolf-Hess-Gedenkmarsch in Wunsiedel teil. Im Oktober 2002 wurde Wiese als stellvertretender Versammlungsleiter einer Demonstration gegen die Wehrmachtausstellung von Kreisverwaltungsreferat München abgelehnt, da er einschlägig vorbelastet ist. Die Demonstration fand trotzdem statt, und rund 500 Neonazis zogen durch die Landeshauptstadt. Im November, jedoch konnte Wiese selbst einige Kundgebungen gegen die Ausstellung anmelden. So etwa am 10. November als rund 50 "freie Kameraden" an einer Kundgebung am Marienplatz teilnahmen. Am 30. November 2002 findet erneut eine von Wiese angemeldete Demonstration gegen die Wehrmachtausstellung statt. Wegen dieser Demonstration mussten sich zahlreiche AntifaschistInnen vor Gericht verantworten und wurden zum Teil zu hohen Geldstrafen verurteilt.

Verbindungen hatte Wiese auch zu dem seit Anfang des Jahres in München aktiven Verein Demokratie direkt. Dieser ist angetreten, um die "Zerstrittenheit im Nationalen Lager" über Parteigrenzen hinweg durch "örtliche Zellenbildung auszuhebeln". Im Verein finden sich sowohl der Republikaner-Stadtrat Johann Weinfurtner als auch Anhänger der Deutschlandbewegung um Alfred Mechtersheimer. Neonazis um Martin Wiese waren bei deren Veranstaltungen für den Saalschutz zuständig. Nach Informationen der Antifaschistischen Nachrichten soll der Sprecher des Vereins, Thomas S. Fischer, Mitglied der CSU sein. Demokratie direkt greift neben "regionalen Themen" wie dem "Bau einer Moschee oder eines Asylantenheims" auch überregionale Themen wie die "Kriegspolitik an der Seite der USA" und die "Bevorzugung des Großkapitals" auf. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Demokratie direkt einer Großdemonstration gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in München im Jahre 2003 anschließen wollte - was jedoch an der Aufmerksamkeit von DemonstrantInnen scheiterte. Aber auch "Anti-Antifa"-Arbeit wird von Demokratie direkt betrieben: Mittels Foto und Kurzbiografie werden in der Vereinspublikation München direkt unliebsame PolitikerInnen, JournalistInnen und AntifaschistInnen "vorgestellt". Am 13. Februar sammelte Demokratie direkt anlässlich einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens Unterschriften für den Erhalt des Altstadtbunkers unter dem Münchner St.-Jakobs-Platz. Der Erhalt des Bunkers wäre gleichbedeutend mit der Verhinderung des neuen jüdischen Zentrums.

Kein Aufstand - Nur Wahlkampf

Enge Kontakte pflegt die Kameradschaft Süd - Aktionsbüro Süddeutschland mit der vornehmlich im Raum Nürnberg aktiven Kameradschaft Fränkische Aktionsfront (FAF). Die Zusammenarbeit dauert seit etwa eineinhalb Jahren an. Dafür wurde die AG Bayern gegründet, ein bayernweites Netzwerk, dem neben der Kameradschaft Süd und der FAF auch das Nationale Infotelefon Bayern angehört. Als Vorbild für das Netzwerk steht die FAF selbst, in der mittlerweile sechs regionale Kameradschaften in Mittel- und Oberfranken und mehrere Einzelpersonen agieren. In der Praxis zeigt sich die Zusammenarbeit zwischen Nürnberg und München u.a. in der gegenseitigen Unterstützung bei Aufmärschen und Kundgebungen. So liefern Nürnberger Neonazis die Infrastruktur, im Ausgleich nehmen Münchner Neonazis regelmäßig an Aufmärschen im Großraum Nürnberg teil.

Die Fränkische Aktionsfront zählt bundesweit zu den aktivsten Kameradschaften. Einer der Führungskader der hierarchisch organisierten FAF ist Matthias Fischer, ehemals Schlagzeuger der Blood & Honour-Band Hate Society. Kopf der Band war der mittlerweile inhaftierte Bamberger Bernd Peruch, der über gute Kontakte zur englischen Terror-Combo Combat 18 verfügt. Bei Fischer, ehemals presserechtlich verantwortlich für das Neonazi-Fanzine Der Landser, fand im Jahre 2002 eine Hausdurchsuchung statt, bei der 30.000 Plakate, Flugblätter und Aufkleber anlässlich des "Rudolf-Hess-Gedenkmarsch", 500 Ausgaben des Der Landser, Gaspistolen und Gotcha-Waffen sicher gestellt wurden. Inhaltlich wendet sich die FAF mit Parolen wie "Den Zionismus gemeinsam bekämpfen" oder "Solidarität mit der ETA" mehr und mehr vermeintlich linken Themenfeldern zu. Optisch untermalt wird dies mit Palästinenserfahnen und -tüchern, die zum Standardrepertoire ihrer Aufmärsche gehören. An anderer Stelle berichtet die FAF hocherfreut über eine eingeworfene Fensterscheibe einer Nürnberger Mc-Donalds-Filiale.

Daneben widmet sich die FAF sehr intensiv der "Anti-Antifa"-Arbeit, worunter sie, so die Frauen in der FAF, die "aktive und offensive Bekämpfung linkskrimineller Elemente" versteht. Dass dies nicht nur leere Worte sind, zeigen Aktionen gegen linke und vermeintlich linke Personen und Einrichtungen im Großraum Nürnberg in den vergangenen Jahren. In Nürnberg wurde das Familienhaus zweier liberaler Lehrer und mehrfach ein linker Buchladen attackiert. In Erlangen ein Büro, in dem sich auch die Redaktion der alternativen Zeitung raumzeit befindet und die Studentische Mitverwaltung. Zuletzt wurde in Herzogenaurach auf das Auto eines alternativen Jugendlichen ein Brandanschlag verübt. Grundsätzlich jedoch will die Polizei keine Gefahr erkennen. Im Juni 2003 erklärt ein Nürnberger Polizeisprecher gegenüber einer Regionalzeitung: "Eine Zunahme des Gewaltpotenzials sei nicht erkennbar", es lägen keine Erkenntnisse über eine "verstärkte Zusammenarbeit einzelner Neonazi-Gruppierungen" in Mittelfranken vor.

Die Vernetzungsbestrebungen bayrischer Neonazis fallen auch über die Landesgrenze hinweg auf fruchtbaren Boden. Auch die Mecklenburgische Aktionsfront (MAF) und die Pommersche Aktionsfront (PAF) haben neben dem Namen auch organisatorische Strukturen und sogar wörtlich das Konzept der FAF übernommen. Diese Verbindung von Bayern nach Mecklenburg-Vorpommern bzw. Nordbrandenburg lässt sich mit der Herkunft zweier bekannter Aktivisten erklären: Der Neu-Nürnberger Matthias Fischer stammt aus Templin, der Neu-Münchner Martin Wiese aus Anklan. Das bayerische Netzwerk pflegt auch Kontakte nach Baden-Württemberg. So trat Wiese bei einer Demonstration gegen die "Wehrmachtausstellung" in Schwäbisch Hall als Redner auf. Organisiert wurde die Demonstration von der NPD/JN Baden-Württemberg - der Lautsprecherwagen wurde durch Nürnberger "Kameraden" bereitgestellt.

Als die Nachricht über die geplanten Sprengstoffanschläge die Öffentlichkeit erreichte, fanden keine Demonstrationen oder Kundgebungen statt, die Solidarität mit den in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen ausdrückten. Die berühmte Münchener Lichterkette wurde nicht entflammt. Statt dessen lieferten sich Bayerns Innenminister Beckstein und Bundesinnenminister Schily eine Wahlschlacht um eine mögliche Gefährdung des SPD-Spitzenkandidaten Maget und darum, inwieweit man von einer "Braunen Armee Fraktion" sprechen könne. Die potenziellen Opfer rückten dabei vollkommen in den Hintergrund.

Michael Reinhard/Marco Kuhn

Die Autoren sind Mitarbeiter des antifaschistisches informations- und dokumentationsprojekt (adip) Nürnberg/Fürth.

Informationen, vor allem zur fränkischen Neonazi-Szene liefert die im Sommer 2003 erschienene 100-seitige Broschüre "Spezialitäten aus Mittelfranken". Zu bestellen für vier Euro incl. Porto bei: adip, Königswarterstr. 16, 90762 Fürth. Weitere Informationen sind zu finden bei der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (A.I.D.A): www.aida-archiv.de.