Zwischen radical chic und radikaler Kritik
Ein Gespräch mit zwei Berliner Mitorganisatorinnen des Kommunismuskongresses
Das folgende Gespräch mit den beiden VertreterInnen der Berliner Kongressvorbereitungsgruppe, Kritik und Praxis (KP) Berlin, führte Georg Wissmeier.
ak: Christiane und Sabine, warum ist es für euch heute wichtig, an dem Kommunismusbegriff weiterzuarbeiten?
Sabine: Letztlich geht es noch immer um die Abschaffung des Kapitalismus. Dafür steht der Begriff des Kommunismus. Wie ein kommunistisches Projekt zur Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse aussehen könnte, wie eine radikale Kritik zu denken ist, das kann auf dem Kongress wohl nicht letztendlich bestimmt, aber zumindest in die Diskussion gebracht werden.
Christiane: Es heißt, der Kommunismus sei tot, die Demokratie habe gewonnen. Wir fragen: Warum nennt man das überhaupt Realsozialismus, war das von der Ökonomie her gedacht wirklich ein sozialistisches Projekt, oder war es nicht analog zum Wohlfahrtsstaat des Westens ein Versuch, Kapital zu akkumulieren, auf eine spezielle Weise? Das kommunistische Versprechen, Reichtum für alle zwar nicht zu produzieren, sondern kapitalistisch produzierten Reichtum umzuverteilen, setzte andererseits die westlichen Staaten unter Druck; heute scheint der Kapitalismus die bestmögliche, weil tatsächliche Welt. Es geht also darum, die Demokratie mit ihrem scheinbar ganz Anderen zu konfrontieren. Daraus müsste man eine Neuformulierung treffen. Das geht aber nur mit Politikvorstellungen, die sich nicht abkoppeln von einer radikalen Kritik der Ökonomie.
Ihr seid ja noch ganz schön jung. Und dann so ein Riesenprojekt wie dieser Kommunismuskongress. Größenwahnsinnig oder mutig?
Christiane: Das Ganze ist eine Initiative von den Frankfurtern gewesen, die einen Antrag bei der Bundeskulturstiftung gestellt haben. Wir, also die Gruppe Kritik und Praxis Berlin, sind dazu eingeladen worden - vermutlich, weil man Anbindung suchte an Gruppen, die schon länger in politischen Kämpfen engagiert waren und sind. Erst später haben wir gemerkt, dass das wirklich ein Mammutkongress ist.
Was waren eure Beweggründe, da mitzuarbeiten?
Sabine: Als wir gehört haben, dass es einen Kommunismuskongress gibt, fanden wir das erstmal super. Wir haben nach dem Antifa-Kongress in Göttingen selbst schon überlegt, nochmal einen linken Kongress zu organisieren. Mit dem Kommunismuskongress gab es dann die Möglichkeit, mit viel Geld einen großen Kongress zu veranstalten, wo man Leute einladen kann, die man interessant findet, die man immer schon mal sehen wollte, mit denen man diskutiert, was ein kommunistisches Projekt sein könnte. Außerdem passt das zu unserem Anspruch, Theorie und Praxis zu verbinden. Wir sind eine Gruppe, die beispielsweise eine linksradikale Demo am 1. Mai organisiert, die jetzt die Demo zum 3. Oktober vorbereitet, die praktische Politik, aber auch Veranstaltungen macht und dabei immer versucht zu reflektieren, wie man sich das, was gesellschaftlich passiert, erklärt und wie linksradikale Strategien aussehen können.
Christiane: Praxis und Theorie zu verbinden, ist ja in der Linken immer ein schwieriges Projekt gewesen ist. Wir wollten in diesen Kongress ReferentInnen einbringen, mit denen wir z.B. anknüpfen können an die aktuellen Debatten der Antiglobalisierungsbewegung, und wir wollten die Diskussion über die Inhalte des Kongresses nach Berlin holen.
Gruppen, die z.B. den Begriff Kommunismus als Firmenschild führen, tauchen im Programm gar nicht auf. Statt dessen viele, die sich noch nicht einmal auf eine kommunistische Praxis oder Politik oder Theorie beziehen ...
Christiane: Ja, das ist auch Gegenstand des Streits zwischen Frankfurt und Berlin. Dieser Kongress heißt Kulturkongress: Damit ist die Schärfe der kommunistischen Kritik an sozialer Ungleichheit gleich schon mal in den freien Bereich der Kultur verbannt. Dabei muss es doch darum gehen zu skandalisieren, dass nur wenige "befreit" sind, um Kultur oder Kunst machen zu können und darum, in der Kultur selbst die sozialen Widersprüche aufzudecken. Der andere kontroverse Punkt betrifft den Begriff des Kommunismus selbst. Unser Eindruck war, Kommunismus soll eine Lücke auffüllen, bleibt aber so unbestimmt, dass er Gefahr läuft als bloße Provokation mit und im "radical chic" unterzugehen. Von einer systematischen Herangehensweise an den Begriff ist auf diesem Kongress hingegen wenig zu sehen, was etwa die Aufarbeitung der konkreten Geschichte des Kommunismus z.B. in der Sowjetunion angeht. Es gibt auch nur ganz wenige ReferentInnen aus den osteuropäischen Ländern. Alles, was mit der konkreten Vergangenheit des Kommunismus zu tun hat, wird despektierlich ein bisschen wie Schmutz auf der Jacke behandelt.
Sabine: Uns geht es stärker darum: Wie wird eigentlich die Gesellschaft heute begriffen, also auch um Fragen wie: Was ist Klasse, wie gestalten sich konkret soziale Widersprüche oder wie kann ein Kampf gegen den Kapitalismus aussehen und was ist in dieser Hinsicht kommunistische Geschichte gewesen, was kann man daraus lernen, was muss man verwerfen und was hat nach wie vor seine Berechtigung?
Was mir im Programm auffällt: Nicht nur das Historische fehlt, sondern auch das Aktuelle. Genau diese Diskussionen - um Klassenanalyse z.B. - werden ja gegenwärtig geführt; vielleicht nicht in einer radikalen Linken, aber in einer linkssozialdemokratischen, erneuerungskommunistischen, wie auch immer man sie nennt - diese Diskussion findet ja statt. Nur nicht auf dem Kommunismuskongress ...
Christiane: Was die linkssozialdemokratischen Diskussionen angeht, interessiert uns das auf einem Kongress über Kommunismus, ehrlich gesagt, nicht besonders. Die Begriffe wie der der Klasse tauchen auf dem Kongress schon auf, aber in einer ganz bestimmten Sicht, eine, gegen die wir uns abgrenzen, die etwa meint, dass es darum ginge, den Klassenbegriff abzuschaffen, weil damit die Diktatur des Proletariats durchgesetzt wurde. Bloß verstanden als zwanghafte Einheit, die für politisch-emanzipatorische Subjekte nichts taugt, wird "Klasse" damit auch als gesellschaftliches Herrschaftsverhältnis ad acta gelegt.
Man muss den Begriff ja nicht übernehmen, aber doch eine Diskussion darum führen, neue Untersuchungen machen, zu neuen Ergebnissen kommen. Selbst bürgerliche Ökonomen sprechen von "Klasse", und es geht doch darum, diesen Begriff gerade nicht umstandslos gleichzusetzen mit "Diktatur des Proletariats".
Christiane: Deshalb haben wir ja auch versucht, noch Leute in den Kongress einzubeziehen, von denen man in Frankfurt fürchtete, dass die zu orthodox-marxistisch sein könnten, wie etwa die Leute aus dem Umfeld der Zeitschrift Argument, die ja jetzt auch vertreten sind. Aber es war schon so: Einerseits heißt es, sprechen wir über Kommunismus, andererseits muss man darum kämpfen, dass diese Begriffe überhaupt wieder auftauchen. Der Titel "Kulturkongress" impliziert bereits eine Kulturalisierung von Politik, die von Produktion, Arbeit, Klasse nichts mehr wissen will.
Sabine: Diese ganzen Differenzen haben aber nicht dazu geführt, dass man den Kongress nicht mehr zusammen vorbereitet, sondern dazu, dass man eher als eine Art Bündnis zusammenarbeitet. Es gibt Veranstaltungen, die von der KP vorbereitet werden und Veranstaltungen, die von Frankfurt aus vorbereitet werden und man versucht eher, die unterschiedlichen Perspektiven zusammen in einen Rahmen zu stellen. Aber klar ist ja auch, dass das nicht zwei marginale Positionen sind, die hier aufeinander treffen, sondern dass sie mehr oder weniger die Diskussion repräsentieren, die auch auf dem Kongress zu erwarten ist. Und viele Punkte, die uns wichtig sind, werden auf dem Kongress Gegenstand der Diskussion sein: Auf dem Forum "Kitik der politischen Ökonomie" beispielsweise werden u.a. Moishe Postone, Nadja Rakowitz und Joachim Hirsch darüber diskutieren, wie sich der Kapitalismus heute konkret gestaltet.
Nochmal: Was ist mit Gruppen, die sich de facto auf Kommunismus heute beziehen, zum Beispiel die DKP oder die Kommunistische Plattform, warum tauchen die im Programm gar nicht auf? Wenig chic, wenig interessant - oder einfach ganz anderer Kommunismusbegriff?
Sabine: Es ist schon eine andere Vorstellung von dem, was unter Kommunismus zu verstehen ist, wenn man keine wirkliche Aufarbeitung dessen macht, was im Realsozialismus passierte und keine Konsequenzen daraus zieht - oder ob man sagt, es geht darum, die Idee des Kommunismus aufrechtzuerhalten und in der Auseinandersetzung mit dem, was aus dem Kommunismus geworden ist, auch eine Veränderung eben jener Politik zu betreiben, wie sie jetzt z.B. die DKP macht.
Aber diese Leute gibt es doch. Wo es diese Diskussion nicht gegeben hat, ist innerhalb der so genannten radikalen Linken. Diese Diskussionen fanden vor zehn bis fünfzehn Jahren statt - zugegebenermaßen zu spät, aber dennoch. Dieser Bruch innerhalb der verschiedenen linken Strömungen bildet sich auch in diesem Kongress nicht ab.
Christiane: Der ist vielleicht auch gar nicht so leicht zu überwinden in Deutschland. In Italien z.B. mag es noch mehr aktive Kommunisten geben, die sich mit gegenwärtiger Politik auseinander setzen und sich auch neu bestimmen, aber in Deutschland treten die PDS oder die DKP nicht als ernst zu nehmende politische Kraft in Erscheinung.
Sabine: Was klassische orthodox-marxistische Gruppen angeht, spielt natürlich auch deren Verständnis von Deutschland eine Rolle. Wie begreifen sie den Staat heute und was ist ihre Kritik daran? Es scheint, dass sie die antinationalen Diskussionen, die in der Linken stattgefunden haben, überhaupt nicht mit vollzogen haben und sich damit diskreditiert haben.
Christiane: Es ist aber sicher auch ein Fehler der Radikalen Linken gewesen, immer in dieser Abwehrhaltung zu bleiben. Zum Beispiel: Die Totalitarismustheorie kommt, und wir legen jetzt unser schützendes Händchen über den Realsozialismus - damit gibt man die notwendige Kritik auf und wird unglaubwürdig, weil man niemandem den Realsozialismus als emanzipatorisches Projekt verkaufen kann. Natürlich muss man gleichzeitig über die Totalitarismustheorie hinaus. Auf der anderen Seite sind auf dem Kongress ganz gezielt Leute ausgespart worden, dazu gehört zum Beispiel diese Ostberliner Kulturlinke rund ums Berliner Ensemble, die sich mit Brecht, Müller auseinander gesetzt haben. Die wurden vorgeschlagen und abgelehnt.
Wie geht es nach dem Kongress weiter? Das alte Spiel? Man macht eine Demo und anschließend Ende der Veranstaltung, ähnlich macht man einen Kongress und versucht nicht darüber hinaus, verschiedene Kräfte miteinander ins Gespräch zu bringen ...?
Christiane: Unser Anspruch ist auf jeden Fall auch, in so eine Bewegung wie z.B. die Antiglobalisierungsbewegung hineinzuwirken. Und mehr kann man gerade auch nicht machen - mehr, als eine Dynamik anzustoßen, Leute miteinander bekannt zu machen, versuchen zu klären, was ist das eigentlich, was wir wollen. Daraus einen Anspruch an weitergehende Organisierung abzuleiten, erscheint mir zu hoch gegriffen.
Sabine: Heute wird ja schon mehr als noch vor fünf Jahren über Kritik am Kapitalismus gesprochen. Nur kommt es eben darauf an, wie das vonstatten geht, ob etwa so wie bei Attac, wo es dann um die Tobinsteuer geht - oder darüber hinaus. Und zu diesem "darüber hinaus" soll der Kongress natürlich einen Beitrag leisten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Kongressprogramm und weitere Informationen unter www.kommunismus.de