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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 477 / 17.10.2003

"Wir sind unter euch"

Die Gesellschaft für Legalisierung kämpft für die Rechte von MigrantInnen

"Vielleicht sind wir 500.000 oder eine Million, die hier zu Lande ohne Papiere leben. JedeR von uns wird von ein, zwei, drei, vier, fünf Leuten unterstützt, die mehr oder weniger geregelte Papiere haben. Wir sind unter Euch." (1)

Mit dem Slogan "Wir sind unter Euch" geht die Gesellschaft für Legalisierung (GfL) diesen Herbst auf Tournee. Die erste Station ist Berlin und im November folgt Hamburg. GesellschafterInnen sind in Berlin Gruppen wie kanak attak, RESPECT, die Medizinische Flüchtlingshilfe, ZAPO, Mujeres Sin Rostro (Frauen ohne Gesicht), Frauen-Lesben-Bündnis, Flüchtlingsinitiative Brandenburg und andere. In den vergangenen Wochen und Monaten erstellten sie ein Programm, das von einer aktionistischen Stadtrundfahrt bis zur abendlichen Performanceshow im SO 36 reicht. Hier wird von migrantischen Alltagskämpfen erzählt: "In der Show promoten wir Legalisierungsstrategien, die längst praktiziert werden. Wir kämpfen für politische und soziale Rechte für MigrantInnen, mit oder ohne papers and roses," erklärt das Bündnis.

Als Aktionstag hat die Gesellschaft für Legalisierung den 24. Oktober gewählt, unter anderem weil sich zu der Zeit der Bundeskongress von ver.di in Berlin trifft. Bisher gibt es kaum Menschen ohne Papiere, die gewerkschaftlich organisiert sind. Ihre Interessen finden keine ausreichende politische Artikulation und Repräsentation in den Gewerkschaften. Ein Zustand, der sich nach Ansicht der GLF bei ver.di ändern soll. Mehr und mehr MigrantInnen arbeiten in den Bereichen Hausarbeit und Sexarbeit, unter prekären und kriminalisierten Bedingungen. Statt ihre Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen zu unterstützen, ignorierten Gewerkschaften wie ver.di die neue Klientel, andere arbeiteten sogar mit der Polizei zusammen und unterstützten ihre Razziapolitik. Dabei könnten ausstehende Löhne vor jedem Arbeitsgericht eingeklagt werden, auch bei illegalisierten Arbeitsverhältnissen. Doch realistisch wäre diese Option oft erst dann, wenn die Gewerkschaften diese Fälle vor Gericht vertreten würden. Der Fall von Lohnbetrug auf einer Baustelle der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) in Berlin ist ein gutes Beispiel: Im Juni machten einige ArbeiterInnen, die um ihren Lohn geprellt wurden, zusammen mit verschiedenen anti-rassistischen Initiativen den Lohnbetrug öffentlich. Unter Druck gesetzt, willigte die WBM einem Vertrag zu, in dem sie die Verantwortung für die Baustelle und damit auch für die ausstehenden Löhne übernimmt. Innerhalb von zehn Tage sollte sie sich darum kümmern, dass der von ihr beauftrage Subunternehmer die Löhne auszahlt. Die Leute warten - drei Monate später - immer noch auf ihr Geld.

"Wenn wir von Illegalisierung sprechen, greifen wir gesellschaftliche Verhältnisse an, die uns Rechte und den Zugang zu gesellschaftlicher Partizipation verwehren. Auf der Straße, bei der Ticketkontrolle, am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche, in den Behörden, an der Schule, im Kindergarten, beim Standesamt und so weiter."

Illegalisierung wird hier nicht nur als Problem der Sans Papiers verhandelt. Auch wer ganz legal in Deutschland lebt, arbeitet, studiert etc. kann seine Rechte oft nicht in Anspruch nehmen. Solange beispielsweise Aufenthaltsgenehmigungen an Arbeitsverträge gebunden sind, sitzen UnternehmerInnen am längeren Hebel. Sich ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zu entziehen, ist eine häufig gewählte Form des Widerstands. Viele wechseln lieber den Job, als sich auf eine langwierige und riskante Auseinandersetzung einzulassen. Trotzdem bestehen viele MigrantInnen auf einem Recht, das es noch nicht gibt, das aber gerade dadurch jeden Tag neu erkämpft wird - nämlich zu leben und zu arbeiten, wo und wie sie wollen. Die Gesellschaft für Legalisierung kämpft vor diesem Hintergrund nicht einfach für die Regularisierung von Arbeitsverhältnissen. Ihr geht es darum, die Widerstandsbedingungen von allen hier lebenden MigrantInnen und prekarisiert Beschäftigten zu verbessern. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe, wie es in der Hartz-Reform geplant ist, wird für MigrantInnen einiges bedeuten: Wer arbeitslos wird, hat kaum Chancen auf einen unbefristeten Aufenthaltsstatus, von Einbürgerung ganz zu schweigen. Bislang hatte ver.di dazu wenig zu sagen.

"Die Gesellschaft für Legalisierung schließt keine förmlichen Gesellschaftsverträge ab, sie spricht eine Einladung zur Teilnahme aus. Ihre GesellschafterInnen ermächtigen sich selbst, dazu zu gehören und legalisierungsfördernde Maßnahmen durchzuführen. Werdet Teilhaber. Zeichnet Anteile. Der zu realisierende Gewinn ist eine andere Gesellschaft!"

Im November kommt die Legalisierungstour nach Hamburg. Hier rühmt sich die rechtspopulistische Regierung aus CDU und PRO, im letzten Jahr so viele Leute abgeschoben zu haben, wie noch nie zuvor. Was in der Statistik nicht vorkommt: Viele bleiben lieber ohne Papiere hier, als sich abschieben zu lassen. Ähnlich wie in Berlin werden sich die neuen GesellschafterInnen durch die Stadt bewegen, Orte des Alltagswiderstands von MigrantInnen besuchen und am Abend ein Fest feiern, mit Performance, Bands und DJs. Den ganzen November über organisiert die Gesellschaft im Metropolis eine Filmreihe über Migration, Illegalisierung und den alltäglichen Kampf um politische und soziale Rechte.

"Die Gesellschaft für Legalisierung braucht keine repräsentativen Büros. Ihre Geschäftssitze sind die Orte, an denen die alltägliche Autonomie der Migration stattfindet. Ihre Filialen sind die Städte, die Straßen, die Cafés, die Märkte, die Wohngemeinschaften, die Arbeitsplätze, die Flüchtlingsheime und Abschiebelager, in denen sich Leute tagein, tagaus ihrer Haut wehren. Ihre Vertretungen sind die Stellen, an denen beständig Solidarität praktiziert wird. Ihr avisierter Standort ist eine Bewegung, die das Recht auf Legalisierung und Mobilität durchsetzen wird."

Astrid Kusser

kanak attak Hamburg

Anmerkung:

Alle Zitate im Text sind aus dem Gründungsmanifest der Gesellschaft für Legalisierung. www.rechtauflegalisierung.de