Offene Fragen und Räume
Kleines Stimmungsbild vom Kongress "Indeterminate: Kommunismus"
Die Buttersäure hatte die Falschen getroffen. Zugedacht hatte man sie wohl dem zwei Tage zuvor anwesenden Peter Hartz; leiden mussten unter ihr drei Tage lang die etwa 1.000 BesucherInnen des Kommunismuskongresses im Hörsaalgebäude der Uni Frankfurt. Die meisten trugen das mit Fassung.
Zumindest in formaler Hinsicht war von "radical chic" auf dem Kongress nicht viel zu merken: Eine höchst konventionelle Aufteilung zwischen AGs und Promi-Panels mit Dauer-Frontal-Vorträgen, teils besser, teils schlechter, teils gar nicht moderiert, ließen nicht wirklich den Eindruck entstehen, dass man eine andere - vielleicht "kommunistische" (?) - Debattenkultur anvisiert. Dafür offerierten gerade die Panels noch einmal die Differenz zwischen der Frankfurter und der Berliner Vorbereitungsgruppe (vgl. ak 476 und 477): Während erstere am Freitagabend zwei im perfekten Uni-Style (gepflegtes Jackett, gepflegtes Englisch, ordentliche Vorbereitung) auftretende ModeratorInnen u.a. auf (den eher langweiligen) Micha Brumlik und den (schwitzenden, klotzenden, zappelnden) Slavoy Zizek ansetzte, begleitete die Berliner Gang sehr viel weniger ordentlich am nächsten Tag die gleichwohl interessantere Abendveranstaltung mit der Kunst- und Theorieproduzentin Marion von Osten, Express-Redakteurin Nadja Rakowitz, b-books Autorin Katja Diefenbach, Moishe Postone ("Prof für Politik oder so") und "dem (Staatstheoretiker Joachim) Hirsch". Der sich dann mit Rakowitz ein zwar recht lahmes Duell um die Frage lieferte, ob denn im Kommunismus noch lohngearbeitet werden solle oder nicht - damit aber ein Problem aufgriff, das ansonsten auf dem Kongress eher wenig Beachtung fand; ebenso wie selten Begriffe wie "Klasse", "Ausbeutung" oder "Produktionsmittel" fielen.
Gleichwohl hörten auch den endlosesten Vorträgen stets geduldig mehrere hundert Leute zu, die meisten von ihnen wohl unter dreißig. Und im Unterschied zu den Großveranstaltungen kam es in manchen AGs durchaus zu lebendigen Diskussionen, in denen manchmal sogar die Frage danach aufgeworfen wurde, was "kommunistische Praxis" (im allerweitesten Sinne) eigentlich sein könnte - obwohl auch hier (aber vielleicht auch weil) die Themen eher assoziativ als systematisch ans Kongressthema angeschlossen waren: Es gab halt von allem etwas; ein bisschen Queer, ein bisschen Biopolitik, ein bisschen Migration und Globalisierung. Dafür war die konkrete Geschichte des Kommunismus praktisch gar kein Thema. Auch gegenwärtige soziale Bewegungen samt ihrer anitkapitalistischen Praxis kamen wenig zu Wort. Dass es sich bei dem Ganzen um einen - immerhin von der Bundeskulturstiftung gesponserten - Kulturkongress handelte, dürfte außerdem noch an den meisten BesucherInnen vorbei gegangen sein; war doch die Kultur aus dem Kongressgeschehen weitgehend ausgelagert. Und: Kommunismus ist nicht gerade billig. 42 Euro Eintritt für einen Kongress zu diesem Thema sind, wie Katja Diefenbach auf dem Samstagspodium bemerkte, schlicht ein Unding. Schließlich gab es auch jede Menge Promi-Hype, klar - doch nicht alle Promis waren auch wirklich gekommen. Alain Badiou sagte kurzfristig ab und auch Gayatri Spivak - die aus Protest gegen die westlich-weiß-dominierte ReferentInnenschar. Auch so eine Frage, die nur angerissen (z.B. von der Argentinierin Dora Dela Vega auf dem Abschlussplenum), nirgendwo aber ausgearbeitet werden konnte: Was wohl mit hiesigen Kommunismuskonzepten passieren würde, wenn man sie mit den Erfahrungen und Denkbewegungen des Südens konfrontieren würde?
Ziemlich klar schien jedenfalls zu sein, dass die Universitäten heutzutage nicht mehr der Ort relevanter oppositioneller Wissensproduktion sein werden; wohl, weil sie als Institution längst nicht bloß Opfer, sondern auch Umschlagplatz neoliberaler Ideologien geworden sind. Vielleicht sollte das bei zukünftigen Kongressen in Sachen ReferentInnenauswahl stärker berücksichtigt werden. So interessant es ist, wenn etwa der Frankfurter Philosoph Axel Honneth davon spricht, dass es ein unhintergehbares psychisches Begehren nach Kommunismus gibt - noch interessanter wäre zu erfahren, wer auf welche Weise gerade bereit und in der Lage ist, dieses Begehren ins gesellschaftliche Leben zu rufen.
So ist - was kaum anders zu erwarten war - letztlich offen, ob der Begriff "Kommunismus" über kurz oder lang den Weg aller Trends in die "out"-Rubrik gehen wird - oder ob nicht doch dieser gerade nicht rundum gelungene Kongress ein zartes Indiz dafür ist, dass der doppeldeutige argentinische Ruf "Que se vayan todos", der (streng genommen) sowohl bedeutet "Alle (Herrschenden) sollen abhauen" wie "(Wir) alle müssen losgehen", sich etwas vernehmbarer in den Ohren derjenigen einnistet, die die Schnauze von dem ganzen Scheiß voll und keine Lust mehr haben, friedlich und abgeklärt, resigniert oder saturiert hinter irgendwelchen Öfen hocken zu bleiben.
Denn obwohl allerorten unendlich viel Gemotze über die schlechte Vorbereitung der Panels/des Kongresses wie über einzelne Thesen, Diskussionen und Referate zu hören war, fiel doch auf, dass gerade dieses Gemotze praktisch nie mit altbekannter resignativer Genugtuung, sondern zumeist mit so viel Verve und Engagement vorgetragen wurde, dass der Eindruck nicht weichen wollte, hier würde etwas verhandelt, was nicht wenigen der Anwesenden ziemlich aktuell und ziemlich direkt an die Nähte geht. Genau für dieses "Etwas" hat der Frankfurter Kongress bei all seiner inhaltlichen und konzeptionellen Unperfektion doch drei Tage lang Räume geöffnet, und dieses Angebot ist angenommen worden. Und das ist schließlich, nach all dem Überwintern, all den Erklärungen zum angeblichen Ende der Geschichte und all der Resignation der 90er Jahre, durchaus ein beachtliches Symptom. Von was genau, werden zukünftige Kongresse und Bewegungen zeigen müssen.
efa