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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 478 / 21.11.2003

Von wegen Fakten, Fakten, Fakten

Focus fantasiert Berliner "Terroristen" herbei

"BKA enttarnt angebliche Extremisten" (Berliner Zeitung), "Feierabend-Terroristen auf der Spur" (Die Welt) oder "BKA kreist Militante ein" (Berliner Kurier) - die Vorabmeldung des Focus zeigte seine beabsichtigte Wirkung. Aus einer internen Quelle des Bundeskriminalamts (BKA) entsprechend versorgt, machte das "moderne Nachrichtenmagazin" aus München aus Mutmaßungen und Unterstellungen eine Skandalstory - das besondere Perdu: Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder durfte eine Statistenrolle spielen. Dass an der Sache nichts dran ist, musste selbst das BKA zugeben. Doch offenbar ist jedes Mittel recht, um den Druck auf die militante gruppe (mg) zu erhöhen und deren Gefährlichkeit ins Maßlose zu steigern.

Reißerischer geht es wohl kaum noch: Unter der Überschrift "Familienfoto mit Kanzler" (1) veröffentlichte der Focus die Geschichte seines Autors Josef Hufelschulte, der für seine intimen Kontakte zu den Staatsschutzbehörden sattsam bekannt ist. Handfestes hat der Staatsschutzschreiberling jedoch nicht zu bieten: Nach "zuverlässigen Focus-Informationen" habe das BKA vier Berliner im Alter zwischen "30 und 49 Jahren" identifiziert, "die zum konspirativen Kern der ,Militanten Gruppe` gehören sollen". Der Tipp sei vom Berliner Verfassungsschutz gekommen, die Personen stünden bereits längere Zeit unter Beobachtung, hätten aber alle keine "dicke Staatsschutzakte", wusste Focus zu berichten.

Die vier Berliner erfuhren erst aus der Presse, dass gegen sie wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung" nach §129a StGB ermittelt wird. Festnahmen und Durchsuchungen fanden bislang nicht statt. Zur Begründung liest sich das im Focus so: ",Uns fehlen noch ein paar hieb- und stichfeste Beweise, gibt ein Kenner des Falls unumwunden zu." Also baut das BKA Hand in Hand mit dem Focus schon mal vor. Das Magazin fabuliert geheimnisvoll, "niemand will ausschließen", dass es sich bei dem "enttarnten Quartett" nur um die "ideologischen ,Schreibtischtäter" handelt und "andere Komplizen die eigentlichen Brandsätze" zünden. Mit anderen Worten: Man hält sich alle Optionen offen. Entweder man legt nach und spitzt die Vorwürfe gegen die vier hinsichtlich "Rädelsführerschaft" zu, oder man hat so schon vorgesorgt, um die Sache sang- und klanglos fallen zu lassen.

Für die letztere Variante spricht einiges. Denn darüber, wie man die militante gruppe einzuschätzen habe, gibt es offenbar zwischen den verschiedenen Staatsschutzbehörden erhebliche Differenzen. Die mg war nicht zuletzt durch Diskussionen um eine Vernetzung militanter Gruppen und über die Frage nach dem Grad der Militanz bekannt geworden. (2) Eine ihrer ersten Aktionen war die Verschickung von scharfen Patronen an Mitglieder der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft". Daneben ist sie vor allem im Raum Berlin mit zahlreichen Anschlägen in Erscheinung getreten, zuletzt am 29. Oktober auf zwei Fahrzeuge der Entsorgungsfirma Alba wegen deren Entlassungs- und Ausbeutungspolitik.

"Der Berliner Verfassungsschutz betrachtet die Gruppe eher gelassen", so Otto Diederichs im Berliner Tagesspiegel. (15.5.02) Der ausgewiesene Experte in den Bereichen "Innere Sicherheit", Polizei und Geheimdienste verweist auf die Berliner VS-Chefin, Claudia Schmidt, die im parlamentarischen Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses letztes Jahr die Meinung vertrat, mit Angriffen der mg auf Personen sei nicht zu rechnen, dies sei "in der Szene nicht zu vermitteln". Auch im aktuellen Berliner VS-Bericht nimmt man die vollmundige Verbalradikalität der mg nicht für bare Münze: "Mit ihren militanten Aktionen hebt sich die ,mg` nur unwesentlich von anderen militant agierenden Gruppierungen ab. Der Unterschied zu Brandanschlägen und sonstigen Sachbeschädigungen durch andere autonome Gruppierungen ... besteht in der Art der Selbstbezichtigung. Hier verwendet die ,mg` einen theoretisch-abgehobenen Duktus, der sich am Stil der ,Roten Armee Fraktion` (RAF) orientiert." Es gebe keine Erkenntnis "über eine Eskalation der militanten Aktionen", so die Berliner Verfassungsschützer. (3)

Beweise: Fehlanzeige

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln fällt die Bewertung anders aus. Laut Welt attestiert man dort der mg und anderen autonomen Gruppen eine "zunehmende Bereitschaft", neben "sachschadenorientierten" auch "personenschadenbezogene Praktiken" anwenden zu wollen. (10.11.03) Spiegel Online berichtete zeitgleich mit der Vorabveröffentlichung des Focus über eine vertrauliche Analyse der Kölner GeheimdienstlerInnen, in der davon die Rede sei, die mg treibe "maßgeblich die Vernetzung von Untergrundzellen" voran. (8.11.03) Gemeint ist damit wohl die von der mg angestoßene so genannte Militanzdebatte, die seit 2001 in der Berliner Szenezeitschrift interim geführt wird. (vgl. ak 477) Die Kölner VS-AnalystInnen warnen in ihrem Bericht vor einer bevorstehenden Anschlagsserie. Hintergrund laut Spiegel Online: Mitte Oktober seien an acht Orten in einer "bundesweit koordinierten Aktion" Anschläge auf Arbeitsämter verübt worden. "Die Behörden erwägen deshalb, eine Sondersitzung der ,Koordinierungsgruppe Terrorismus` (KGT) einzuberufen." An der KGT nehmen unter Federführung des Bundesamts für Verfassungsschutz u.a. VertreterInnen des BKA, der Länderpolizeien und der Bundesanwaltschaft teil. Wollte da jemand durch seine Indiskretion gegenüber dem Focus für eine entsprechende mediale Vorbereitung sorgen? Focus wusste jedenfalls zu berichten: "Die BKA-Fahnder stehen seit Monaten unter Druck."

Wer treibt da wen?

Während man im Bundesamt für Verfassungsschutz also meint, vor einer "latenten Bereitschaft zu terroristischen Aktivitäten" warnen zu müssen, hat das BKA keine Hinweise auf geplante Anschläge gegen Personen. "In den Sicherheitsbehörden gibt es derzeit keine einheitliche Linie", konstatiert die Welt. (10.11.03) Es kann vermutet werden, dass diese Feststellung auch für das BKA zutrifft. Die Focus-Veröffentlichung ist zumindest nicht die erste Indiskretion aus Reihen des BKA im Zusammenhang mit der mg. Im April machte die Bild mit der Schlagzeile auf, fünf Jahre nach der Selbstauflösung der RAF würde sich eine neue "linke Terrorszene" bilden. Als Beleg präsentierte Bild eine Namensliste potenzieller Attentatsopfer, die - so Bild - laut BKA die mg erstellt haben soll. Das BKA dementierte umgehend die Existenz einer solchen Liste. Offensichtlich gibt es eine undichte Stelle im BKA, die Interesse daran hat, den Fahndungs- und Ermittlungsdruck auf die mg zu erhöhen.

Dass das BKA "offenbar die Anführer einer gefährlichen linksradikalen Gruppierung enttarnt hat", wie Focus weismachen will, darf getrost bezweifelt werden. Um die magere Kost aufzuwerten, musste dann eine zufällige Begegnung zwischen einem Beschuldigten und Gerhard Schröder herhalten. Der war mit Frau, Kind und Schwiegereltern italienisch essen - am Nebentisch der Kanzler nebst Gattin, wobei das "Familienfoto mit Kind" entstand. Mehr als Banalitäten, die unter den Händen von Staatsschutz und Staatsschutzjournaille ins gewünschte "Terror"-Bild gepresst werden, bietet die Focus-Story nicht. Das BKA will durch abgehörte Telefonate von dieser Begegnung erfahren haben, so Focus. Dass sich der Beschuldigte seit über einem Jahr gegen seine Telefonüberwachung - von der er nur durch Zufall erfahren hat - anwaltlich wehrt, verschweigt man dann lieber, passt das doch nicht ins Bild eines "gemeingefährlichen Terroristen". Stattdessen dreht man die Sache um, und spricht von einer "fatalen" Fahndungspanne. Überrascht wird man beim Focus wahrscheinlich gewesen sein, dass sich der Beschuldigte presserechtlich gegen die Veröffentlichung wehrt - und zwar mit Erfolg: Der Berliner Kurier musste bereits eine Gegendarstellung veröffentlichen.

Nicht nur die aktuelle Focus-Veröffentlichung zeigt das gesteigerte Interesse der Staatsschutzbehörden an der mg. Laut Berliner Zeitung hat das BKA bestätigt, dass sich die Ermittlungen nicht nur auf die vier Berliner beschränken. (10.11.03) Dass die Staatsschutzbehörden mit allen Mitteln in dieser Sache Erfolge erzielen wollen, zeigt auch das Beispiel Magdeburg. (vgl. ak 477) In der Elbstadt war es seit 2001 zu vier Brandanschlägen gekommen, zu denen sich verschiedene Kommandos bekannt hatten. Nach monatelanger Totalüberwachung der Magdeburger linken Szene präsentierte die BAW erst zwei, dann drei Szeneaktivisten, denen momentan in Halle der Prozess wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung" nach §129a StGB gemacht wird. Für das angebliche "Zusammenwirken" in einer "militanten Offensive" mit der mg blieb in der Anklage nichts übrig, auch wenn etwa der VS Berlin die Festnahmen in Magdeburg als "erste Exekutivmaßnahme gegen eine an der Militanzdebatte beteiligten Gruppierung" gefeiert hatte. Ob diese Bewertung dem Urteil des zuständigen Oberlandesgerichts Naumburg standhält, daran gibt es momentan Zweifel.

Desinformation als Mittel zum Zweck

Der Magdeburger §129a-Prozess wie auch die Focus-Veröffentlichungen zeigen deutlich: Bei der Kriminalisierung gegen Linke ist die über Jahrzehnte eingeübte Repressionslogik der bundesdeutschen Sicherheitsapparate trotz aller gesellschaftlichen Brüche und des Bedeutungsverlustes der radikalen Linken ungebrochen. Ist der Apparat erst einmal auf die Spur gesetzt, kommt das gesamte, umfangreiche Arsenal polizeilicher und geheimdienstlicher Ermittlungsmethoden zum Einsatz - inklusive Desinformation. Die Wette gilt: Das Focus-Beispiel war nicht das letzte seiner Art.

mb., Berlin

Anmerkungen:

1) alle Zitate, soweit nicht anders gekennzeichnet, aus; Focus Nr. 46, 10.11.2003

2) dokumentiert unter: www.geocities.com/militanzdebatte/

3) www.berlin.de/seninn/verfassungsschutz/Publikationen/jb_akt.htm