Adenauer Superstar
Der "größte Deutsche" oder: Die Sehnsucht nach dem starken Mann
Man hätte auf ihn wetten sollen: Konrad Adenauer (1876-1967), Bundeskanzler von 1949 bis 1963, ist der "größte Deutsche". Das fanden zumindest 778.984 ZuschauerInnen der TV-Show "Unsere Besten", die am 28. November im ZDF ausgestrahlt wurde. Martin Luther (556.298) und Karl Marx (500.442 Stimmen) belegten die Plätze zwei und drei, gefolgt von den Geschwistern Hans und Sophie Scholl sowie den Herren Brandt, Bach, Goethe, Gutenberg, Bismarck und Einstein.
Einwände gegen die blödsinnige Fragestellung und das armselige Niveau der Show mit ihren 30-Sekunden-Werbereden prominenter "Paten" für ihre fast ausnahmslos männlichen Idole sind nur allzu berechtigt. Sie können allerdings über eines nicht hinwegtäuschen: Auch ein Volksentscheid zum gleichen Thema hätte vermutlich kein anderes Ergebnis gebracht. Denn Adenauer ist der Kandidat all derer, die sich nach dem starken Mann und nach klaren Verhältnissen sehnen. Natürlich wird er hauptsächlich mit dem "Wirtschaftswunder" der 1950er Jahre identifiziert. Bewundert wird er aber auch als derjenige Politiker, der die deutsche Kriegsniederlage in einen Sieg verwandelte; als Kanzler des "Wiederaufbaus" sorgte er mit dafür, dass eine selbstkritische Auseinandersetzung mit den deutschen Menschheitsverbrechen unterblieb.
Dabei half, dass er sich selbst zum Verfolgten des NS-Regimes stilisierte. Oberbürgermeister von Köln seit 1917, wurde er im Juli 1933 von den Nazis seines Amtes enthoben - seine Partei, das katholische Zentrum, wurde nicht mehr gebraucht, nachdem ihre Reichstagsabgeordneten im März geschlossen für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatten. Adenauer begab sich in die "innere Emigration". Obwohl er Anwerbeversuche aus Kreisen des konservativen Widerstandes gegen Hitler zurückwies, wurde er 1944 für einige Wochen eingesperrt, blieb allerdings ansonsten "ziemlich unbehelligt", wie er selbst schrieb. Nach Kriegsende wurde er von den amerikanischen Besatzungstruppen als Kölner Oberbürgermeister eingesetzt, im Oktober 1945 aber schon wieder entlassen. Dass er den Besatzungsbehörden "unbequem" war, wie er in seinen Erinnerungen schrieb, mag wohl stimmen: Der Machtmensch Adenauer hielt es offensichtlich für geboten, gegenüber den Befreiern neues deutsches Selbstbewusstsein zur Schau zu tragen. Auch dafür wird er noch heute bewundert.
Von der Last des Amtes befreit, konnte er sich ganz der Parteiarbeit widmen und zum mächtigsten Mann der neu gegründeten CDU aufsteigen. Im September 1949 wurde er mit einer (seiner eigenen) Stimme Mehrheit zum ersten Bundeskanzler gewählt. Zur Kennzeichnung seiner Außenpolitik (Adenauer war bis 1955 auch Außenminister) müssen hier ein paar Stichworte reichen: "Westbindung" und "Aussöhnung" mit Frankreich, "Wiederbewaffnung" und NATO-Beitritt, also die Wiederbelebung des deutschen Militarismus, der wenige Jahre zuvor endgültig zerschlagen schien. Das ging nicht ohne erhebliche innenpolitische Widerstände. Umstritten war auch die Politik der "Wiedergutmachung" gegenüber Israel. Dass diese alsbald "politische Dividenden" abwerfen würde, hatte Adenauer erkannt. "Angesichts des großen Einflusses des Judentums in den USA ist alles, was er in dieser Hinsicht unternimmt, auch ein Gebot der Staatsklugheit", lobte sein Biograph Hans-Peter Schwarz.
Im Inneren ging es Adenauer vor allem darum, die alten Nazis für seine Politik zu gewinnen. So stellte er in seiner ersten Regierungserklärung von September 1949 eine Amnestie in Aussicht, weil man angesichts des Krieges und der "Wirren der Nachkriegszeit ... für manche Verfehlungen und Vergehen Verständnis aufbringen" müsse. Dem Volk der "Mitläufer" bescheinigte er, es habe "in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut". Während Nazis rehabilitiert und zum Teil in führende Positionen gehievt wurden, stand der Feind weiterhin links: "Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau" stand damals auf den CDU-Wahlplakaten, die Züge der Nazi-Propaganda gegen die "Untermenschen" annahmen. Nachdem 1956 die KPD verboten worden war, wurden KommunistInnen eingesperrt, entlassen und mit Berufsverbot belegt.
"Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau"
Bei den Bundestagswahlen 1957 errangen CDU und CSU die absolute Mehrheit. Adenauer regierte jetzt wie ein Monarch. Als 1962 sein Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß (CSU) mit illegalen Mitteln gegen den Spiegel vorging, wetterte Adenauer gegen den "Abgrund von Landesverrat" - durch einen bundeswehrkritischen Artikel des Nachrichtenmagazins. Aber die Spiegel-Affäre war schon der Anfang vom Ende, nicht nur des keineswegs amtsmüden Kanzlers, sondern auch der christdemokratischen Hegemonie. Zwischen seinem Tod und dem Beginn der Revolte gegen den in der Ära Adenauer konservierten "Muff von tausend Jahren" am 2. Juni 1967 lagen nur wenige Wochen.
Der ZDF-Chefhistoriker Guido Knopp, der für Adenauer den Paten gab, weiß das alles. Gleichwohl verkündete er: "Für Adenauer stand die Freiheit immer an oberster Stelle". Während man darüber noch herzlich lachen könnte, läuft es einem bei einem weiteren Knoppschen Ausspruch kalt den Rücken herunter: "Alles, was der große alte Mann für die Bundesrepublik erschaffen hat, hat bis heute Bestand."
Der amtierende Kanzler ging mit seinem Lob für Adenauer nicht ganz so weit: "Er war schon richtig für Deutschland damals." Er war aber auch moderner als gemeinhin angenommen. Kurt Schumacher, SPD-Vorsitzender bis zu seinem Tode 1952, lästerte noch über Adenauers 500-Wörter-Wortschatz. Was damals als Defizit wahrgenommen wurde, gilt in der von Adenauer begründeten "Kanzlerdemokratie" als hohe Schule der Rhetorik.
Js.