Der Stammtisch frisst seine Kinder
Rechtskoalition in Hamburg geplatzt
Dienstag, am 9.12. um 4.30 Uhr morgens soll es gewesen sein, da hat Hamburgs Bürgermeister Ole v. Beust (CDU) endgültig die Faxen dicke gehabt. Schon seit vier Uhr wach, hat er beschlossen, die Koalition mit der FDP und den Rechtspopulisten von der Schill-Partei platzen zu lassen und Neuwahlen anzusetzen.
Erst vor einem Vierteljahr hatte von Beust Schill als Innensenator entlassen. Nun hat sich der als politischer Wiedergänger erwiesen. Mit stehenden Ovationen hat ihn seine Partei im November als Landesvorsitzenden in Hamburg bestätigt und gleichzeitig seinen Nachfolger als Innensenator und Intimfeind Dirk Nockemann als Beisitzer abgewählt. So isoliert Schill in der Rathausfraktion sein mag, die Partei ist seine Hausmacht.
Unmittelbar nach seiner Wiederwahl begann Schill mit einem Rachefeldzug, der mit gekränkten Eitelkeiten viel, jedoch mit politischem Geschick nichts zu tun hatte. Er ließ keine Gelegenheit aus, den Senat öffentlich zu kritisieren und zu beschimpfen. Auf normale Abgeordneten- und Ausschusstätigkeit verzichtete er, dies sei, so O-Ton Schill "eines Ex-Innensenators unwürdig." Dass seine Medienauftritte dabei immer grotesker wurden, focht den ehemaligen Richter dabei nicht an.
Schill mochte sich noch so verrückt aufführen und noch so offensichtlich die Koalition gefährden - die Königsmörder aus der eigenen Fraktion um den Bundesvorsitzenden, Bausenator und Zweiten Bürgermeister Mario Mettbach, haben vergeblich versucht, ihn in den Griff zu kriegen. Mettbach setzte ihn zwar kurzer Hand als Landesvorsitzenden ab, aber am Montag, den 8.12. eskalierte das Hauen und Stechen unter den ehemaligen Skatbrüdern zu einem aberwitzigen Spektakel: In der Hamburg Schill-Zentrale gab es zwei Landesvorstandssitzungen gleichzeitig, eine unter Vorsitz von Schill (der nebenbei Mettbach als Bundesvorsitzenden absetzen und aus der Partei ausschließen wollte), die andere geleitet von Mettbach (der jetzt seinerseits Schill aus der Fraktion ausschließen will).
Der organisierte Rechtspopulismus an der Macht zerlegt sich selbst, sofern die Führungsfigur zwar charismatisch, aber politisch gnadenlos inkompetent ist. Dass das Debakel der Schill-Partei gleichzeitig das Ende der Rechtskoalition in Hamburg ist, ist ein schöner Nebeneffekt. War die Entlassung Schills als Innensenator im August noch ein strategisch kluger und geschickt eingefädelter Schachzug, so hatte von Beust jetzt keinerlei Wahl. Eine Spaltung der Schill-Fraktion hätte ihn entweder sofort die nötige parlamentarische Mehrheit gekostet oder aber das Weiterregieren zu einem permanenten Drahtseilakt angesichts eines dezimierten und völlig unberechenbaren Koalitionspartners gemacht. Eine parlamentarische Niederlage etwa bei den Haushaltsberatungen hätte auch die CDU und ihren Spitzenmann beschädigt. Von daher ist es schon glaubwürdig, wenn von Beust und die CDU das Ende der Koalition und Neuwahlen geradezu aufatmend als Befreiungsschlag bezeichnen.
Welche politische Konstellation nach dem 29. Februar 2004 die Senatsriege stellen wird, ist unklar. Glaubt man den Umfrageergebnissen, dann wird die CDU zwar die Wahlen haushoch gewinnen, aber aus eigener Kraft nicht regierungsfähig sein. Von den bisherigen Koalitionspartnern dümpelt die FDP momentan bei zwei Prozent, und die Zukunft der Schill-Partei ist ungewiss. Schill hat bereits eine Partei-Neugründung angekündigt. Doch selbst wenn diese die 5%-Hürde schaffen sollte, wird sie nicht koalitionsfähig sein. Die "moderaten" Reste der alten Partei werden bei den Wahlen vermutlich keine Rolle spielen. Die soziale Basis des Rechtspopulismus ist zwar nach wie vor vorhanden, sie wird aber keinen eigenständigen organisierten Ausdruck finden.
Rein rechnerisch deutet alles auf ein rotgrünes Revival hin. Doch die Realität könnte anders aussehen. SPD-Spitzenkandidat und Wirtschaftsspezi Thomas Mirow mochte sich bisher nicht auf Rot-Grün festlegen und hält auch eine große Koalition nicht für ausgeschlossen. Die Grünen ihrerseits spekulieren öffentlich mit einem schwarz-grünen Bündnis. In Hamburg kann offensichtlich jeder mit jedem, grundsätzliche programmatische und politische Differenzen existieren nicht.
Ein Lagerwahlkampf wie vor zwei Jahren ist faktisch kaum zu erwarten. Dennoch sitzt das Trauma der Rechtskoalition möglicherweise so tief, dass für viele Rot-Grün zur einzigen Wahlalternative wird. Politisch ist das irrational. Die SPD hat bereits angekündigt, die Aufgabe des neuen Senats sei es nicht, "erstmal alles umzustoßen, was die Vorgängerregierung gemacht hat." So wird sich Rot-Grün auf eine etwas moderatere Privatisierungs-, Bildungs- und Kitapolitik reduzieren. Dabei bezieht sich "moderat" nicht so sehr auf die Inhalte, sondern auf die politische Vermittlung. Die Politik des Sozialkahlschlags hingegen wird sowohl von SPD wie auch von den Grünen ungebremst fortgesetzt, genauso wie die Entrechtung von Flüchtlingen, Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängerinnen. Wirtschafts- und Finanzpolitik sind auch für SPD und Grüne nichts weiter als Handelskammerorientierung und Sparlogik. Und in der Innen- und Ordnungspolitik hat sich die SPD bereits seit längerem der Schill-Partei bis zum Verwechseln angenähert - vom Brechmitteleinsatz gegen vermeintliche Drogendealer bis zur geschlossenen Unterbringung für Kinder und Jugendliche.
Die Linke wird bei diesen Wahlen keine Rolle spielen. Selbst wenn es zu einem wie auch immer gearteten linken Wahlbündnis käme: Ein relevanter Wahlkampf ist in der Kürze der Zeit nicht zu organisieren. Unter den gegeben Umstände wäre eine linke Wahloption ein buntes Sammelsurium programmatisch und kulturell sehr heterogener Gruppierungen und Einzelpersonen, ohne eine erprobte und belastbare gemeinsame politische Praxis. Es kann deshalb bei dieser Wahl nur darum gehen, überhaupt die Möglichkeit einer Protestwahl gegen die große Koalition von CDU bis Grünen zu ermöglichen. Statt parlamentarischer Präsenz wird es eher um einen Achtungserfolg gehen. Und vielleicht um den Sprung in ein Bezirksparlament.
dk