Editorial
Es weihnachtet sehr. Lichterketten in den Einkaufszonen und Parfümwerbung auf allen Kanälen sind untrügliche Zeichen für verordnete Besinnlichkeit und Konsumrausch. Millionen von BundesbürgerInnen wälzen sich durch die Kaufhäuser auf der verzweifelten Jagd nach den letzten Präsenten, und Millionen von Maquila-ArbeiterInnen rund um den Globus produzieren das Spielzeug, die Sportklamotten und die High-Tech-Geräte, die hier über den Ladentisch gehen. Weihnachten, das Fest des Gebens: Myrrhe und Weihrauch, Spekulatius und Davidoff Cool Waters, aber vor allem Gold, Geld und Arbeitskraft: Geld für die Kassen des Einzelhandels, Arbeitskraft für das Geld für die Kassen des Einzelhandels, Arbeitskraft für die Produktion der Waren des Einzelhandels. Und jedeR, der/die jemals mit kaum verhohlener Gier die Verpackung von seinen/ihren Weihnachtspäckchen gerissen hat, weiß: Weihnachten ist auch das Fest des Nehmens. Am Geburtstag des Gekreuzigten entfaltet der linksradikale Begriff der "Aneignung" seine ganze Vielschichtigkeit.
Entkleiden wir also dieses Fest seiner christlich-anrührenden Verbrämung und bekennen uns zur Kampfansage an jede Form des Verzichts. "Buy nothing", die Forderung amerikanischer KonsumkritikerInnen, ist deshalb nicht nur putzig, sondern auch falsch: "Steal something" ist die bessere Parole, auch und gerade an Weihnachten. Es gehört zu den perfiden Ungerechtigkeiten des Kapitalismus, dass Raub, Diebstahl und Aneignung immer nur einzelnen vorbehalten blieb. Lohnraub, Enteignung von Kreativität und Energie, Diebstahl von Arbeitskraft: Für manche war und ist der Kapitalismus ein andauerndes Weihnachten, Aneignung in Permanenz. Einiges spricht dafür, dass die internationalen sozialen Bewegungen anfangen, dieser Aneignungspraxis von oben eine von unten entgegen zu setzen. Oft als individuelle Überlebensstrategie, wie unser Beitrag aus Barcelona zeigt, immer öfter aber auch als kollektives Handeln (siehe den Beitrag zu den Kämpfen der Maquila-ArbeiterInnen in Mittelamerika). Im Schwerpunkt dieser ak geht es folglich auch um Elemente einer linken Aneignungsperspektive. "Alles für alle" gehört genauso dazu wie der Verzicht, die eigenen Reproduktionsbedingungen als Forderungen an den Staat zu delegieren: "Wir nehmen uns, was wir brauchen." Wie das aussieht, wenn es nicht mehr nur um Zugang zu Freizeitbädern, sondern um Gesundheitsversorgung oder um die Umwälzung der Arbeitsverhältnisse geht, ist eine spannende Frage. "Expropriation der Expropriateure!" hat der größte Aneignungspropagandist aller Zeiten und drittbedeutsamste Deutsche der Neuzeit vor 150 Jahren gefordert. Auch jetzt ist dem eigentlich nichts weiter hinzuzufgügen.
Diese Weihnachts-ak hat aber nicht nur weihnachtliche Themen, sie hat auch neues Personal. Einmal mehr hat sich jemand gefunden, der es auf- und anregend findet, für lau bei einem linken Zeitungsprojekt mitzuarbeiten. Der Genosse pp ist nicht der Weihnachtsmann, sondern unser neuer Praktikant. Aber Geschenke in Form von Engagement, Lust und Laune verteilt er wie der mit der roten Zipfelmütze. Das nehmen wir gerne an. So gerne wie Geldgaben: Auch diesmal kommen wir nicht darum herum, euch auf unsere Spendenkampagne aufmerksam zu machen. Das einzige, was wir dafür geben können, ist die Steuerabzugsfähigkeit, die ak auf bewährtem Niveau und das Magazin Fantômas. Das, was wir an Ressourcen für ak und Fantômas brauchen, ist viel, und leider können wir uns das nicht einfach nehmen. Also sind unsere Präsente zwar mit Liebe gemacht, aber nicht umsonst. Mit dieser Einschränkung gilt jedoch auch für ak: Eignet euch uns an.
die ak-Redaktion