Der Iran im Visier der Großmächte
Frankreich, Deutschland und die USA ringen um Einfluss
Seit längerem bildet die Einflussnahme im Iran, der immer noch eine potenziell mächtige Regionalmacht bleibt, einen Streitpunkt innerhalb der EU, aber vor allem auch zwischen den EU-Mächten und den USA. Gänzlich isoliert war die Islamische Republik nie - wo geostrategische und ökonomische Interessen berührt sind, tritt die mehr oder weniger ehrliche Empörung über die blutige Diktatur in den Hintergrund.
Noch ist unbekannt, welche gesellschaftlichen Kräfte letztendlich von den aktuellen Umbrüchen im Mittleren Osten profitieren werden, die mit der Invasion im Irak angestoßen wurden. Die USA? Die islamischen Fundamentalisten? Oder sollten es gar progressive Kräfte sein, wie manche Optimisten meinen? Dagegen weiß man bereits, wer definitiv zu den Verlierern gehört: Den Irak verlassen muss die Organisation der aus dem Iran stammenden Mujahedin-e Khalq (ungefähr: "Kämpfer des Volkes"). Dazu wurde sie vom provisorischen Regierungsrat, den die von den USA geführte Koalition eingesetzt hat, ultimativ aufgefordert. Der Irak war bisher das wichtigste Hinterland der autoritären Oppositionsbewegung, nachdem diese bereits im Juni 2003 aus ihrem internationalen Hauptquartier in der Nähe von Paris vertrieben worden war.
Die Organisation ist auch in der iranischen Bevölkerung verhasst. Dabei spielen ihre autoritären Methoden eine Rolle, aber vor allem auch die Tatsache, dass sie als Teil der regulären Armee der irakischen Diktatur nach dem Ende des achtjährigen blutigen Krieges zwischen beiden Nachbarstaaten im Herbst 1988 im Westiran einfiel. Die Mujahedin glaubten damals, als "Befreier" sehnsüchtig erwartet zu werden. Tatsächlich aber hatte die kriegsmüde Bevölkerung keinerlei Bedarf an einer Truppe, die nur neues Blutvergießen und im Falle ihres Erfolges eine neue, eigene Diktatur gebracht hätte.
Doppeltes Spiel mit den Mujahedin
Die USA spielten lange Zeit mit den Mujahedin ein doppeltes Spiel. So ließ das State Department, das Außenministerium der USA, die Organisation auf die Liste "terroristischer Organisationen" setzen, während man in Kreisen rund um das Pentagon im Laufe des Frühjahrs 2003 damit liebäugelte, die Mujahedin als Stütze bei einer Bekämpfung des Regimes in Teheran zu benutzen. Offenkundig hat sich aber die erste Linie durchgesetzt. Ähnlich zwiespältig war lange Zeit die Haltung der Europäischen Union. Auch in der EU stehen die Mujahedin mittlerweile auf der Liste der terroristischen Organisationen. Das war nicht immer so: Im Mai 1989 hatte ein Votum des EU-Parlaments die Mujahedin und den von ihnen dominierten "iranischen Widerstandsrat" noch als einzig legitime Vertreterin der iranischen Bevölkerung anerkannt.
Anfang der 1980er Jahre waren die Mujahedin, die 1962 (durch einen anfänglich maoistisch beeinflusst harten Kern) gegründet worden waren und die sich später an der "Allianz aus Islam und Sozialismus" versuchten, tatsächlich eine äußerst populäre Organisation im Iran gewesen. Vor allem die zwischen verschiedenen Einflüssen hin- und hergerissenen Mittelklassen setzten nach der Revolution gegen das Schah-Regime auf die Mujahedin. Sie erblickten in ihnen eine vermeintlich "gemäßigte" Alternative, da sie nicht "zu islamistisch" seien (wie die Anhänger der Khomeni-Fraktion) noch "zu sozialistisch in ihren ökonomischen Zielen" wie etwa die guevaristischen "Feddayin des Volkes".
Die Mujahedin, die zeitweise bis zu 300.000 Mitglieder hatten, nahmen zu Beginn der Konterrevolution aber auch an den Repressionsmaßnahmen der neu gegründeten Islamischen Republik teil. 1981 traf die brutale Unterdrückung auch die Mujahedin, Zehntausende ihrer Mitglieder wurden barbarisch gefoltert und hingerichtet. Ihr Anführer Massud Radjawi ging eine merkwürdige Allianz mit dem liberal-bourgeoisen Staatspräsidenten Abolhassan Bani Sadr (den Khomeni zu verdrängen suchte) ein, die seine Anhänger aber erst recht desorientierte. Im Juli 1981 flogen Bani Sadr und Radjawi in dem selben Flugzeug aus und landeten in Paris. Als das Europäische Parlament im Mai 1989 abstimmte, hatte die Organisation bereits alles verloren, was sie einstmals hatte, vor allem ihren Masseneinfluss im Iran, nachdem sie dort Zehntausende meist junger Menschen als "Märtyrer" verheizt hatte.
Mit der jüngsten Entwicklung deutet sich an, dass die Interessen der USA und des iranischen Regimes in der Region zumindest teilweise übereinstimmen. Das betrifft nicht nur den Umgang mit den Mujahedin, sondern auch die Verwaltung des besetzten Irak. Denn die schiitischen Parteien setzen, anders als der extremistische Teil der sunnitischen Islamisten, nicht auf den bewaffneten Untergrund. Ihre Strategie ist längerfristig angelegt: Sie bauen darauf, dass die Schiiten die Bevölkerungsmehrheit im Irak stellen und daher die Zeit für sie arbeitet. Da der Iran 2002 auch die Auslieferung von auf seinem Staatsgebiet festgesetzten Kadern der Al-Qaida prinzipiell akzeptierte, stellt er für die US-Außenpolitik in der Region derzeit zumindest einen berechenbaren Faktor dar.
Faktisch, wenn auch nicht erklärtermaßen, war das Regime seit seiner Begründung im Jahr 1979 in die US-Regionalpolitik integriert. Auf der Ebene der Rhetorik dominierte zwar während der 1980er Jahre auf beiden Seiten die Konfrontation. Das hinderte die US-amerikanische Rechte aber nicht daran, noch zur Amtszeit des Demokraten Jimmy Carter 1979/80 hinter den Kulissen mit der Umgebung des Ayatollah Khomeni zu verhandeln.
Irangate - ein Waffendeal mit dem Regime
Auf dem Tisch lag ein Vorschlag, demzufolge die Geiseln aus der 1979 besetzten US-Botschaft in Teheran gegen Waffen ausgetauscht werden sollten. Einigkeit wurde bald erzielt, doch die Geiselbefreiung wurde hinausgezögert - der um seine Wiederwahl kämpfende Carter sollte als Schwächling präsentiert werden. Die US-Geiseln kamen dann im Januar 1981 frei, genau 20 Minuten nach der Amtseinführung des neuen, rechten Präsidenten Ronald Reagan. Alsbald folgten die Waffenlieferungen: eingefädelt durch die USA, durchgeführt durch die Israelis (wie der damalige Verteidigungsminister Ariel Sharon im Oktober 1982 einräumen sollte), finanziert durch das verbündete Saudi-Arabien. Nach seiner Aufdeckung 1987 wurde der Deal als Irangate bezeichnet. Damals ging es für die USA wie für andere westliche Großmächte darum, den Krieg zwischen Iran und Irak möglichst lange im Gang zu halten. Ferner hatte das islamistische Regime aus ihrer Sicht zumindest einen Vorteil: Es hatte die drohenden "kommunistischen" Entwicklungspotenziale der Revolution gegen den Schah wirkungsvoll zerschlagen.
Seit dem Tod des Ayatollah Khomeni 1989 setzte sich unter dem neuen Präsidenten Ali Akbar Rafsandjani ein, vor allem in ökonomischen Fragen, relativ pragmatisch-liberaler Kurs in Teheran durch. Doch bereits zuvor hatten die USA eher auf eine Mischung aus Eindämmung des Iran, was seine äußere Machtentfaltung betrifft, und begrenzter Kooperation gesetzt. Heute, da der Iran von Ländern umgeben ist, in denen die USA direkt militärisch präsent sind (Türkei, Irak und Afghanistan), ist zumindest die Frage der Einbindung nach wie vor aktuell.
Allerdings sind die zwischenstaatlichen Beziehungen auf dem Stand der späten 1980er Jahre stehen geblieben. Denn einerseits unternahm ein Teil des US-Establishments ab 1995/96 mit den Helms-Burton-Gesetzen, die Handel mit dem Iran einschränken sollten, einen neuen Versuch zu stärkerer "Eindämmung" des Iran. Das hinderte allerdings auch US-Konzerne nicht daran, im Iran Geschäfte zu machen, nämlich auf dem Umweg über Lizenzen in den Nachbarländern.
Die BRD als Komplizin der Islamisten
Andererseits hat auch bisher keiner der iranischen Machthaber den Willen erklärt, offene politische Beziehungen mit den USA, deren Botschaft in Teheran seit der Geiselaffäre von 1979 geschlossen ist, zu knüpfen. Die französische Wirtschaftszeitung Les Echos (vom 23.4.2003) mutmaßt allerdings, dass das nicht zuerst an mangelndem Willen liege, da in Kreisen der Machthaber ein "Dialog" mit den USA allgemein als strategische Notwendigkeit gelte: "Derjenige, der das schafft, wird im Iran als großer Mann gelten. Deswegen wird jeder politische Führer, der eine Annäherung an Washington versucht, von den anderen aus dem Weg geräumt werden, weil so viel Macht niemandem gegönnt werden wird." Dabei dürfte die Existenz rivalisierender Fraktionen im Machtapparat erschwerend hinzu kommen, von denen eine jede die jeweils anderen misstrauisch beäugt.
Im Jahr 2002, als es mehrfach zu studentischen Unruhen im Iran kam, wandte George W. Bush sich mitunter in Reden an die aufsässige iranische Jugend und stellte sich als Unterstützer von "Demokratiebewegung" und "regime change" dar. Daraufhin äußerten auch manche Teile der (bürgerlichen, liberalen oder monarchistischen) Exil-Opposition aus dem Iran sich in einer Weise, die erhebliche Illusionen über die Politik der US-Administration erkennen ließ. Zwar hat ein Teil des US-Establishment eine Zeit lang erwogen, auf stärkeren Konfrontationskurs gegenüber dem Regime in Teheran zu gehen und auf dessen Ablösung hin zu arbeiten. Diese Kreise konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Angesichts ihrer Schwierigkeiten im Irak ist der Mainstream der US-Außenpolitik derzeit nicht auf neuen trouble in unmittelbarer Nachbarschaft bedacht.
Zwar stimmt es, dass es heute im Iran unzweideutig eine junge Generation gibt, die sich (aktiv oder passiv) gegen den Tugendterror auflehnt, der ihr aufgezwungen wird. Das geht auch oftmals mit einer "pro-westlichen" kulturellen Grundstimmung einher. Gleichwohl dürfte allen halbwegs realistischen US-PolitikerInnen klar sein, dass es ein Irrglaube wäre, die IranerInnen würden nur auf die USA warten. Bereits im Irak - unter einer für die Periode seit 1997 noch härteren Diktatur zuzüglich einer Zermürbung durch zwölf Jahre Embargo - ist eine ähnliche Rechnung ja nicht ganz aufgegangen. Daher dürfte es weiten Kreisen des US-Establishments eher angeraten scheinen, auf die "vernünftigen Kräfte" innerhalb des iranischen Machtblocks zu setzen.
Die durch die USA bisher, seit dem Sturz des eng mit ihnen verbündeten Schah, im Iran gelassene Lücke versuchten die europäischen Mächte stets zu füllen. Eine der ersten, die rücksichtslos in den Iran drängten, als andere westliche Staaten dort nur hinter den Kulissen wirkten, war die Bundesrepublik. Der erste westliche Außenminister, der nach der islamistischen Konterrevolution Teheran besuchte, war Hans-Dietrich Genscher (am 20. Juli 1984). Später ging die Kohl-Regierung noch weiter in der Komplizenschaft: Im Oktober 1993 empfing der damalige Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer den iranischen Geheimdienstchef Ali Fallahian in Bonn, nachdem er öffentlich den Kölner Dom mit ihm besichtigt hatte. Justizkreise begannen Ermittlungen gegen den Mann aufzunehmen, der nicht unbeteiligt an der blutigen Repression im Iran ist, doch diese wurden niedergeschlagen. Stattdessen vereinbarten Schmidbauer und Fallahian, "im Kampf gegen den Terrorismus" zu kooperieren, womit der Bock zum Gärtner gemacht war.
Die westdeutsche Industrie war zu allen Zeiten ein geschätzter Partner der iranischen Eliten, der in den frühen 1980er Jahren besonders vom relativen Rückgang US-amerikanischen Einflusses profitierte. Dass sie gleichzeitig auch im Irak investierte und dort vor allem im militärischen Sektor, während ihre Investitionstätigkeit im Iran breiter gestreut war, störte dabei nicht; ein ähnliches doppeltes Spiel mit beiden Kriegsparteien spielten damals fast alle Großmächte.
Frankreich sucht neue Verbündete in der Region
Diejenige europäische Großmacht, die dagegen einige Jahre lang eher zurückhaltend im Iran präsent war, weil sie fest an der Seite des Irak stand, war Frankreich. Allerdings fand man bereits in den frühen 1990er Jahren Werbung für französische Automobilmarken am Mehrabad-Flughafen von Teheran. Und schon einige Jahre zuvor hatte Paris, freilich unter dem Druck von Attentaten (auf iranische Initiative hin explodierten im September 1986 einige Bomben in Kaufhäusern und an öffentlichen Orten der französischen Hauptstadt), wichtige Zugeständnisse an Teheran gemacht. Das betraf die mehr oder minder erzwungene Ausreise des Mujahedin-Führers Massud Radjawi von Paris nach Bagdad im Frühjahr 1986. Es betraf aber auch die sensible Frage der nuklearen Zusammenarbeit.
Seitdem das Regime von Saddam Hussein nicht mehr existiert, hat Frankreich allerdings eine Charme-Offensive im benachbarten Iran gestartet. Eine der sichtbarsten Gesten dabei war sicherlich die Auflösung des internationalen Hauptquartiers der Mujahedin-e Khalq in der Pariser Vorstadt Auvers-sur-Oise im Juni 2003. Nach 18 Jahren Präsenz der - zweifellos undemokratischen - Oppositionsbewegung hatte der französische Staat plötzlich "entdeckt", dass diese eine terroristische Vereinigung sei. In Wirklichkeit handelte es sich wohl eher um ein diplomatisches Geschenk an Teheran.
Parallel dazu drängt Frankreich seit April 2003, zeitgleich mit dem Verlust des ehemaligen geostrategischen Verbündeten im Irak, auf den iranischen Markt. Mitte April wurde die Kommission für wirtschaftliche Angelegenheiten des französischen Senats in Teheran vorstellig. Am 23. April 2003 traf Außenminister Dominique de Villepin dort ein, einige Wochen später folgte der Minister für Außenhandel, François Loos.
Vereinbart wurden unter anderem eine verstärkte Kooperation des französischen Energiekonzerns Total mit der iranischen Staatsfirma Nioc bei der Erdgasförderung und ein Einstieg des Automobilkonzerns Renault in die Entwicklung einer lokalen iranischen Autoproduktion. Bereits davor fand im Iran eine Endmontage von Automobilen statt, bei Iran Khodro mit Bauteilen von Peugeot und bei Saipa mit Komponenten von Citroën.
Bernhard Schmid, Paris