"Wir organisieren uns, ohne eine neue Organisation zu schaffen"
Interview mit AktivistInnen von ACT!
Das neue Jahr brachte auch einen neuen Akteur auf der politischen Bühne Berlins hervor. Eine Party zum 10. Jahrestag des zapatistischen Aufstands nutzte man zum ersten öffentlichen Auftritt. Die Rede ist von ACT!, einem Netzwerk aus derzeit vier Berliner Gruppen der radikalen Linken, in denen insgesamt rund 100 Menschen organisiert sind. ACT! existiert erst seit kurzem. Die politische Zusammenarbeit der vier Gruppen besteht jedoch schon länger. Die thematischen Schwerpunkte der Zusammenarbeit waren (und sind) Anti-Kriegs-Arbeit (vor allem "Krieg ist Frieden", ein Bündnis mehrerer Berliner wie überregionaler Gruppen), die Intervention in soziale Kämpfe (etwa in der Kampagne "Berlin umsonst!" und in der Initiative Berliner Sozialforum) und Aktivitäten in Sachen Globalisierungsbewegung und Internationalismus (vom G8-Gipfel in Evian bis zum ESF in Paris). Auf Grundlage dieser gemeinsamen politischen Praxis wollen die an ACT! beteiligten Gruppen zukünftige Aktionen koordinieren und gemeinsame Debatten über politische Ziele führen. Grund genug, sie dazu näher zu befragen. Mehr Informationen - u.a. das "Gründungsdokument" Kommuniqué Nr.1 - sind auf der ACT!-Homepage zu finden: http://act.so36.net.
ak: Was zeichnet ACT! aus? Wodurch hebt sich ACT! von anderen Ansätzen der Organisierung ab?
Marianne: ACT! ist der Versuch linksradikaler Gruppen, ihre bereits bestehende gemeinsame politische Praxis durch Zusammenschluss effektiver zu machen. Ich sage bewusst Versuch, weil es ist ja noch nicht gesagt, dass das so hinhaut.
Tomas: ACT! ist nicht das Ergebnis einer abstrakten Organisierungsdebatte. Am Anfang stand nicht - wie bei anderen - die Erkenntnis sich zusammenschließen zu wollen, sondern das war das Ergebnis einer gemeinsamen politischen Praxis unterschiedlicher Gruppen.
Wer sind die beteiligten Gruppen?
Tomas: Ich komme von FelS, Für eine linke Strömung. FelS ist 1991 aus der Kritik an autonomer Politik der 1980er Jahre entstanden. Seitdem versucht die Gruppe den Spagat zwischen linksradikaler Bewegungspolitik und nachhaltiger gesellschaftlicher Intervention hinzukriegen.
Peter: Autopool existiert seit ca. sieben Jahren als autonome Gruppe. Viele von uns haben eine autonome Geschichte. Bezugspunkte sind für uns die Globalisierungsbewegung, soziale Protestbewegungen wie im Wendland oder die Sozialforen-Bewegung. Unser Schwerpunkt liegt auf praktischer Handlungsfähigkeit.
Marianne: Aus unserem Selbstverständnis heraus, dass unterschiedliche Positionen, die manchmal auch widerstreitend sind, auch produktiv nebeneinander stehen können, haben wir uns an diesen Versuch von Organisierung beteiligt.
Tomas: An ACT! beteiligt sich außerdem die Antifaschistische Linke Berlin (ALB), die aus der Spaltung der Antifaschistischen Aktion Berlin vor einem Jahr hervorgegangen ist. Die ALB hat aus der Auflösung der AA/BO und dem Niedergang der Antifabewegung die Konsequenz gezogen, neben der Antifa-Arbeit ihren Focus vermehrt auf eine gesamtgesellschaftliche Perspektive zu verlagern, d.h. aktuell: Engagement in der Globalisierungsbewegung und den Protesten gegen Sozialabbau. Die vierte Gruppe ist subversion international, eine Gruppe, die vor allem aus Ost-Berlin kommt und hauptsächlich antimilitaristische Arbeit macht.
In euerem Kommuniqué Nr. 1 sprecht ihr davon, dass es jetzt gilt, die Konsequenzen aus der jüngsten Vergangenheit zu ziehen. Was meint ihr damit?
Marianne: Ich verstehe darunter nicht, dass wir uns in einem besonderen historischen Zeitpunkt befinden, der einen solchen Schritt notwendig macht. ACT! ist ja nicht der erste Versuch, sich stärker zu vernetzen. Aber Hintergrund ist schon die Zersplitterung und die Entwicklung der Linken. Besonders angesichts des Einflusses der sogenannten Antideutschen halten wir es aktuell für notwendig, sich organisierter gegen Positionen zu stellen, die bestimmte Essentials wie linken Internationalismus oder Versuche, gemeinsam mit Teilen der Bevölkerung etwas auf die Beine zu stellen, stark in Zweifel ziehen.
Tomas: ACT! ist die praktische Konsequenz aus einer praktischen Erfahrung: Wenn wir schon so viel zusammen machen, dann lasst uns das doch auf eine neue Stufe bringen und das auch gemeinsam nach außen vertreten. Gemeint ist damit aber auch, dass wir im Moment - jedenfalls für die radikale Linke - bezweifeln, dass man eine vereinheitlichende Organisation gründen könnte. Unabhängig von der Frage, ob man es überhaupt wollte, ist die Tragfähigkeit und Bündnisfähigkeit der radikalen Linken so weit nicht entwickelt.
Zum dritten ist es unsere Konsequenz aus der Fraktionierung der radikalen Linken. Sie führt zu einer Lähmung, die eine zerstörende Kraft hat. Wir wollen uns aber auf die Polarisierungsstrategie der verschiedenen Sekten nicht einlassen, sondern selbst einen positiven Orientierungspunkt geben und zeigen, dass es auch anders geht.
Was ist das neue, vorwärtsweisende an dieser Art von Organisierung?
Tomas: ACT! ist nur bis zu einem gewissen Grad ein Vereinheitlichungsprozess. Die beteiligten Gruppen sollen ihre Eigenständigkeit und Unterschiedlichkeit behalten. Wir sind eine verhältnismäßig lockere Assoziation mit einer Option auf mehr - wobei sich das Mehr aus der Praxis ergeben wird. Wir wollen keine feste Organisation schaffen und das Modell ACT! auch nicht als einen bundesweiten Organisierungsansatz verkaufen.
Peter: Wir organisieren uns, quasi ohne eine neue Organisation zu schaffen. Die Weiterentwicklung besteht darin, dass es regelmäßige Treffen der beteiligten Gruppen gibt, auf denen konkret die Zusammenarbeit besprochen wird. Das hat eine Kontinuität, die sich von dem lockeren Wir-schauen-mal-was-läuft auf VVs unterscheidet.
Wie funktioniert ACT!?
Marianne: Arbeitsstrukturen, die die Zusammenarbeit und die kontinuierliche Bearbeitung eines Themenfelds, einer Kampagne oder von Aktionen erleichtern sollen. Da kommen unterschiedliche Leute zusammen, mit unterschiedlichen Erfahrungen, unterschiedlichen Blickwinkeln in der Hoffnung, das sich das produktiv ergänzt.
Peter: Konkret gibt es eine Vollversammlung aller Gruppen, und Arbeitsgruppen, die sich in wöchentlichem oder zweiwöchentlichem Rhythmus treffen. Wichtige Fragen werden auf der VV geklärt. Ob wir bei einer Aktion als ACT! auftreten oder nicht, wird im Konsensverfahren entschieden.
Tomas: Und es gibt ein Delegiertentreffen. Diese Struktur bedeutet allerdings, dass wir nur relativ schwer spontan auf etwas reagieren können.
Marianne: Je länger man zusammenarbeitet, desto eher wird man sich darauf verständigen können, ob ein Sprechen auch für andere möglich ist, ohne sich immer abstimmen zu müssen. Momentan sind wir aber erst mal am ausprobieren, es ist ein Experiment. Aber ich kann mir vorstellen, dass es Ereignisse geben wird, wo man sich darauf verlassen wird, dass die anderen Gruppen keinen Mist erzählen, wenn sie eine gemeinsame Stellungnahme machen, weil es schnell gehen muss. Erstmal ist ein Vertrauen da. Wenn es schief läuft, kann man hinterher immer noch kritisieren und es das nächste Mal anders machen.
Tomas: Momentan ist das eine Art recht informeller Struktur. Solange wir nur vier Gruppen sind, die sich teilweise relativ gut kennen, geht das gut. Wenn wir aber mehr Gruppen werden sollten, dann wird diese Art der Abstimmung schwieriger, dann werden wir andere Kommunikationsstrukturen aufbauen müssen.
Eine Erweiterung ist angedacht?
Peter: Klar, wir sind grundsätzlich offen. Wenn man die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern will, muss man sich auch organisieren. Das alleine vor sich hinkrebsen, bewirkt nichts. Wie es aber genau weiter geht, wird sich zeigen.
Tomas: In der Gründungsphase gab es die Diskussion, wer eingeladen wird. Es war eine rein pragmatische Entscheidung, nur solche Gruppen einzuladen, die in den letzten zwei Jahren tatsächlich eine gemeinsame Praxis hatten. Und das nicht nur punktuell, sondern übergreifend und mit der Erfahrung, es funktioniert gemeinsam. Auch wollten wir nur mit wenigen Gruppen anfangen, damit ACT! überhaupt eine Stabilität kriegt - das ist der zweite Grund. Wir wissen, dass das in der radikalen Linken schnell als Ausschluss wahrgenommen wird. Aber wir waren überzeugt, dass so ein zartes Pflänzchen nur dann die ersten Fröste überstehen kann, wenn der Prozess überschaubar und kontrollierbar ist. Daraus ergibt sich allerdings auch die Herausforderung, wie es eine solche Struktur schafft, sich zu öffnen und sich nicht einzuschließen. Das wird noch auf uns zu kommen.
Ein Dilemma ist, dass ACT! nur für organisierte Gruppen offen steht. Wir haben keine Möglichkeit, Einzelpersonen zu integrieren. Es ist durchaus nicht unumstritten, ob das der Weisheit letzter Schluss ist. Auch deshalb vertreten wir ACT! nicht als das Modell für die Linke und die lang erwartete linksradikale Organisierung.
Die beteiligten Gruppen haben ja unterschiedliche Organisationserfahrungen. Zumindest FelS und die ALB waren bereits an bundesweiten Zusammenschlüssen beteiligt, die mehr (FelS) oder weniger (ALB) in die Brüche gegangen sind. Wie fließen diese Erfahrungen in den ACT! -Prozess ein?
Tomas: Diese Erfahrungen fließen in Gestalt der beschriebenen Vorsicht ein, nicht zu schnell voranzuschreiten, aber auch in der Tatsache, dass wir uns als Assoziation freier Gruppen verstehen. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, dass die einzelnen Teilgruppen ihre Autonomie bewahren und verantwortlich handlungsfähig bleiben sollen und nichts an einen irgendwo existierenden Apparat delegiert wird. Ich denke mir, dass ist eine Konsequenz, die bei den einen aus Überzeugung kommen mag, und bei anderen aus der Einschätzung, dass etwas anderes momentan kräftemäßig nicht zu leisten ist.
Peter: Wichtig für uns ist, dass sich keine Hierarchien institutionalisieren, auch wenn es immer informelle Hierarchien gibt. Hierarchien sollen abgebaut werden bzw. in der Zusammenarbeit mit anderen Gruppen nicht entstehen. Die schlechteste Lösung wäre, wenn wir parteiähnliche Strukturen entwickeln würden, wo nur eine Hand voll Leute die Dinge lenken. Uns ist es wichtig, dass Entscheidungen im Konsens getroffen werden bzw. dass da, wo es keinen Konsens gibt, gemeinsam eine Lösung gesucht wird.
Tomas: Das ist ein wichtiger Knackpunkt bei allen Organisierungsversuchen. Wenn du eine bestimmte Effektivitätsdiskussion konsequent weiterführst, kommst du nicht an Funktionären vorbei. Da stellt sich die Frage nach bezahlter politischer Arbeit. Ich denke, hier ist im Moment die Grenze für alle Beteiligten ganz klar gesteckt. Wir wollen eine Vernetzung ohne bezahlte politische Arbeit. Das ist etwas, was bei den Projekten linker Parteien, die zur Zeit laufen, von vorneherein ausgeschlossen ist. Das sind Projekte, die ohne Funktionäre nicht auskommen. Da entscheiden wir uns lieber dafür, kleiner zu bleiben und darauf zu verzichten.
Dass du mit Modellen informeller Organisierung immer an die Grenzen der Effektivität, der gesellschaftlichen Wirksamkeit stößt, vor dem Problem werden wir natürlich stehen. Je erfolgreicher wir sind, desto mehr werden wir damit konfrontiert sein. Dieses Paradox bleibt uns nicht erspart.
Hat ein Zusammenschluss wie ACT! auch Vorbildfunktion über Berlin hinaus?
Peter: Ich denke, dass ist überall möglich, wo Leute das wollen und die Bereitschaft besteht, zusammenzukommen und über Unterschiede hinweg nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Das ist der entscheidende Punkt.
Tomas: Von Vorbildfunktion würde ich insofern sprechen, weil viele Leute aus anderen Städten mit Interesse verfolgen, was in Berlin passiert. In Berlin, aber nicht nur hier, gibt es die Stimmung, dass die Zeit der Spaltung und Identitätsfindung durch Abgrenzung dem Ende entgegengeht. Dieser Stimmungswechsel zeigt sich u.a. darin das hier, wie auch hoffentlich anderswo, es Versuche gibt, das Gemeinsame zu finden. Das ist die Ausstrahlung, die ich mir von ACT! erhoffen würde.
Marianne: ACT! ist Ergebnis unserer praktischen Zusammenarbeit. Dass wir dem jetzt einen Namen gegeben haben, wirkt vielleicht spektakulärer als ein organisch gewachsener Zusammenschluss, der auch wieder aufhört, wenn das entsprechende Ereignisse nicht mehr auf der Tagesordnung steht. Das kann aber mit ACT! genauso passieren.
Tomas: Wir wollen es aber auch nicht klein reden. Erhofft ist natürlich schon eine Auswirkung auf die Politik der Linken, sonst würden wir das nicht machen. Jeder erfolgreiche Bündnisansatz sollte Hoffnung und Hunger auf mehr machen, ob er nun neu aus Berlin kommt oder anderswo schon längst praktiziert wird.
Kommt jetzt also zusammen, was schon immer zusammengehörte? Alle beteiligten Gruppen kommen doch aus einer autonomen Tradition?
Tomas: Das würde ich in diesem Kontext überhaupt nicht so formulieren. Wir haben es hier nämlich mit einem bewussten Prozess zu tun, der etwas zusammenführt, was nicht von selber zusammenwächst, sondern was eher der linksradikalen Differenzierungsdynamik unterliegt. Für die Bild-Zeitung sind wir zwar alle das selbe, aber unter uns sehen wir schon erhebliche Unterschiede. Jetzt wollen wir aber über diese Unterschiede hinweg eine Brücke bauen. Wir wollen nicht weiter wurschteln wie bisher, sondern wir fangen etwas an, von dem wir gar nicht so genau wissen, wie es enden oder weitergehen wird. Das Entscheidende ist, dass man den Optimismus hat, es auszuprobieren und sich auf diesen Prozess einzulassen.
Gibt es einen Grundkonsens, der über "in Bewegungen mitmachen" hinaus geht? Gibt es vielleicht schon ein größeres Projekt, das gemeinsam angegangen werden soll?
Peter: Zum 1. Mai könnte es etwas gemeinsames geben. Daneben werden wir uns wie in der Vergangenheit an den Mobilisierungen zu G8- oder EU-Treffen beteiligen.
Tomas: Wir setzen darauf, und sehen uns darin in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren auch bestätigt, dass die soziale Frage in der radikalen Linken wieder eine größere Rolle spielt. Wir finden es als undogmatische radikale Linke wichtig, hier in einer Weise präsent zu sein, die grundsätzlich antikapitalistisch und systemsprengend argumentiert, aber gleichzeitig den Kontakt zu dem Bereich der Linken, der nicht so weit geht, nicht scheut, sich also nicht einigelt und sagt, das ist verkürzte Kapitalismuskritik oder so etwas. Bei den Kontakten zu Sozialforen, zu attac muss angesetzt werden, das sind Leute, für die es auch eine Rolle spielt, was für linksradikale politische Gegenmodelle es gibt. Das ist für uns auch ein Punkt, an dem soziale Kämpfe und der Globalisierungsprotest zusammen kommen können. Natürlich werden wir uns am internationalen Protesttag gegen Sozialabbau am 3. April beteiligen, außerdem starten demnächst Aktionen gegen den Abschiebeknast und die NPD-Zentrale in Berlin-Köpenick. Längerfristig hoffen wir, 2007 eine starke Kampagne gegen den G8-Gipfel in Deutschland mitgestalten zu können.
Interview: mb., Berlin