Triumph der Ignoranz
Universität Hamburg streicht einzige deutsche Professur für Queer Theory
Während in Deutschland noch immer die wenigsten wissen, was "queer" eigentlich bedeutet, sind Queer Studies gleichzeitig Gegenstand wissenschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Wenn in Hamburg jetzt dier einzige Professur für Queer Theory abgeschafft wird, so markiert das nicht zuletzt die Ignoranz gegenüber einem herrschaftskritischen Forschungsprogramm.
Im englischen Sprachraum ursprünglich ein Schimpfwort für Lesben und Schwule, wurde "queer" während der AIDS-Krise der 1980er Jahre in den USA durch die act-up-Gruppen zu einer positiven Selbstbezeichnung umfunktioniert. Diese beinhaltete schon sehr früh eine Kritik an der Identitätsstrategie der Schwulen/Gay-Bewegung - eine Kritik, die sich u.a. darauf bezieht, dass zur Legitimierung der eigenen Bewegung eine "einheitliche" Identität ("die" Schwulen, "die" Frauen, "die" Arbeiter) konstruiert wird. Eine solche Identitätsstrategie geht nämlich immer mit Ausschlüssen (z.B. Unterdrückung von Minderheiten in der eigenen Identitätsgruppe) einher. "Queer" ist in diesem Zusammenhang ein unbestimmter Begriff, unter dem sich alle versammeln können, die den sexuellen Normierungen der Gesellschaft nicht entsprechen (wollen).
Im Zuge poststrukturalistischer Diskussionen und Identitätskritiken entwickelte sich dann Anfang der 1990er Jahre vor allem aus feministischen Theorieansätzen und den Gay-and-Lesbian-Studies in den USA die Queer Theory. Queer Theory bündelt aktuelle kritische Theorien - vor allem der Sozial- und Kulturwissenschaften. Sie beschränkt sich nicht nur auf die Analyse von sexueller Normierung, sondern versucht Geschlecht, Sexualität und andere Unterdrückungskategorien in ihrem miteinander verschränkten Wirken in der Gesellschaft zu analysieren und sie zu denaturalisieren. Sie dekonstruiert etwa die "Natürlichkeit" - also biologische Vorbestimmtheit - der Geschlechterrolle, und auch die - scheinbar biologische - Zweigeschlechtlichkeit und analysiert die kulturelle und soziale Konstruktion dieser Kategorien.
Ebenso wie "queer" eine radikale Antwort auf die in die Sackgasse der Anerkennungspolitik geratene Homo-Bewegung war, so ist Queer Theory als wissenschafts- und herrschaftskritische Disziplin zu verstehen. Auf Basis der bereits etablierten Gay-and-Lesbian-Studies konnte sich Queer Theory in den USA schnell an den Universitäten etablieren und ist mittlerweile aus vielen wissenschaftlichen Diskursen kaum mehr wegzudenken. (In den USA kann mensch Queer Theory an über 600 Universitäten studieren.) Neben der intellektuellen Debatte haben Erkenntnisse der Queer Theory in einigen sozialen Bewegungen Einfluss gefunden und werden dort "praktisch" ausprobiert. Auch in vielen anderen Ländern, insbesondere im englischsprachigen Raum, hat die Queer Theory einen Siegeszug angetreten. An Deutschland jedoch ist diese Entwicklung weitgehend unbeachtet vorbeigegangen. Die mit "queer" verbundenen Importe sind hier zu Lande oft wenig mehr als bloße Bruchstücke der Queer Theory, und die mittlerweile trendy gewordene Bezeichnung "queer" wird meist nur als Synonym für lesbisch-schwul benutzt.
An deutschen Universitäten sind es i.d.R. radikalen FeministInnen, die Queer Theory rezipieren und diskutieren. Es wäre wünschenswert, dass sich dieser Prozess fortsetzt und sich Queer Theory etablieren kann. Immerhin formuliert sie neue Fragestellungen und Kritiken, die für die stagnierenden Bewegungen und Strukturen mit (einst) emanzipatorische Anspruch von großer Bedeutung sein könnten.
Nichtsdestotrotz schlägt der Queer Theory im akademischen Lehrbetrieb und in den Universitätslandschaften oft die pure Ignoranz entgegen. Aktuellstes Beispiel ist Hamburg, wo die Auseinandersetzungen um eine Etablierung von Queer Theory am weitesten fortgeschritten sind. Hier hatten Studierende und Lehrende mit ihrem Kampf für ein Queer-Studies-Institut erreicht, dass ein interdisziplinärer und hochschulübergreifender Nebenfachstudiengang Gender Studies mit einem deutlichen Akzent auf Queer Theory eingerichtet wurde. Mit Geldern der Bundesfrauenförderung wurden an verschiedenen Fachbereichen Professuren für Gender Studies eingerichtet. Eine zentrale Rolle nahm dabei die Professur für feministische Queer Theory am Institut für Sozialwissenschaften ein, die deutschlandweit die erste Professur ihrer Art war. Nach einigem Hin und Her um die Besetzung dieser Professur wurde selbige zuletzt von Dr. Antke Engel vertreten.
Mittlerweile hat die Universitätsleitung jedoch beschlossen, gerade diese Professur zu streichen und sie durch die Stelle eines/r wissenschaftlichen Mitarbeiters/rin mit halber Besoldung zu ersetzen. Die Universität Hamburg will sich zwar mit diesem einmaligen Studiengang schmücken, ist aber nicht bereit, dafür in angemessenem Umfang Gelder zur Verfügung zu stellen. Fakt ist auch, dass ein Teil der Bundesfördermittel jetzt für andere Zwecke verwendet wird. Die Ignoranz der Universitätsleitung und des zuständigen Dekans wird auch in der Begründung für die Abschaffung der Professur ersichtlich. Dort heißt es, am Fachbereich gebe es einen ausreichenden Frauenanteil und die Professur sei daher nicht nötig. Diese Begründung weist nicht nur auf weit verbreitete homophobe Strukturen im Wissenschaftsbetrieb, sondern verdeutlicht auch die Orientierung auf Markt- und Verwertungslogiken an deutschen Universitäten.
Die Studierenden haben angefangen, sich gegen diese Entscheidung zu wehren. Mit einigen Aktionen im Rahmen der Studierendenproteste haben sie versucht, Aufmerksamkeit zu erzielen. Für die Entwicklung der Queer Theory in diesem Land ist zu hoffen, dass der Druck stark genug sein wird, um die Professur zu erhalten.
Jonas Becker-Tietz
Der Autor ist Mitglied im Fachschaftsrat Gender Studies und Referent im Schwulenreferat des AStA der Universität Hamburg