Anklage gegen Folter - halbherzig
Frankfurter Polizei-Vize Daschner muss vor Gericht
Im Namen des "Kampfs gegen den internationalen Terrorismus" werden immer mehr Freiheitsrechte eingeschränkt. Diese Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien macht in der BRD selbst vor dem uneingeschränkten Folterverbot nicht halt. Der "Fall Daschner" zeigt, wie schnell sich das Folterverbot aufweichen lässt. Die Anklage gegen den Frankfurter Polizei-Vize dürfte dabei nur zu einem weiteren Zwischenschritt werden, die Diskussion über eine begrenzte Zulassung der Folter voranzutreiben.
In einer ersten Reaktion begrüßte am 20. Februar ein breites Bündnis von Menschen- und Bürgerrechtsgruppen um die Humanistische Union, die Internationale Liga für Menschenrechte und den Republikanischen AnwältInnenverein die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, gegen den Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, öffentliche Anklage zu erheben. "Das Verfahren kann mit dazu beitragen, über die menschenrechtliche Bedeutung des absoluten Folterverbotes aufzuklären und verloren gegangenes Vertrauen in den freiheitlichen Rechtsstaat zurück zu gewinnen", hofft man.
Der Polizei-Vize hatte im September 2002 dem Entführer des Bankierssohn Jakob von Metzler mit Folter drohen lassen. Daschners Anweisungen seien als Anleitung zur schweren Nötigung anzusehen, erklärte die Staatsanwaltschaft am 19. Februar. Auch der Kriminalhauptkommissar, der die Drohung aussprach, muss sich wegen Nötigung unter Missbrauch seiner Befugnisse und seiner Stellung als Amtsträger verantworten. Der Beamte hatte auf Weisung des Vize-Polizeipräsidenten dem Tatverdächtigen schwere Schmerzen angedroht, um das Versteck der 11-jährigen Geisel zu erfahren.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft sprach von einem "verständlichen Motiv" bei Daschner, obwohl er als Amtsperson gegen elementare Verfassungsgebote und internationale Übereinkommen verstoßen hat. Es verwundert deshalb nicht, dass sie den Vize-Polizeichef und seinen Untergebenen erst nach langer "rechtlicher Prüfung" und dann lediglich wegen "Verleitung zur Nötigung" angeklagt hat. Die Staatsanwälte wanden sich um das eigentliche Delikt herum mit dem Argument, der Polizist habe ja kein Geständnis erzwingen, sondern ein Leben retten wollen. Also nur Nötigung. Der Anwalt des Entführers, Hans Ulrich Endres, bezeichnete die Anklage als Skandal: "Für das, was Daschner getan hat, gibt es ein Sonderdelikt, und das ist die Aussageerpressung."
Mit der Bewertung der Staatsanwaltschaft in der Mainmetropole wiederholte sich, was auch schon die Diskussion nach Bekanntwerden der Folterandrohung vor einem Jahr auszeichnete. Anstatt klar und eindeutig die Grenze zu ziehen, äußerten damals Ministerpräsidenten Verständnis, der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds bekundete Zustimmung, und allenthalben wurde über eine "Relativierung" des absoluten Folterverbots "in Ausnahmefällen" nachgedacht. Dabei zeigt Daschner selbst, dass er im September 2002 nicht aus einer wie auch immer definierten "Notlage" heraus gehandelt hatte, sondern dass hier ein Überzeugungstäter am Werke war. Im Focus forderte er, Gewalt "als letztes Mittel" in Verhören zuzulassen und zu diesem Zweck eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Für Geständnisse müsse der Schmerz nicht stark, aber lang sein, wusste er, und er gab sich auch als Experte aus, wie man foltern kann, ohne Spuren zu hinterlassen. Vor Gericht wird er seine Taten wieder verteidigen. Kurz vor Anklageerhebung hatten er und seine Verteidiger eine 150 Seiten starke Erklärung zur Staatsanwaltschaft gesandt. Darin reklamiere Daschner für die Ausnahmesituation im Entführungsfall einen "übergesetzlichen Notstand", da er das Leben der Geisel "mit allen Mitteln" habe retten wollen. Ebenso argumentierte er immer wieder, die Folterandrohung habe zur Gefahrenabwehr gedient, da die Fahnder fürchteten, von Metzler könne in seinem Versteck verhungern oder verdursten.
"Verständliches Motiv"
Diese Argumentation fällt auf fruchtbaren Boden. So schrieb Oskar Lafontaine zur Anklage Daschners in Bild: "Er muss, ebenso wie der Polizeibeamte, der an der Gewaltandrohung beteiligt war, freigesprochen werden. Warum? ... Für mich ist es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn im Krieg Unschuldige sterben, weil man Täter bestrafen will. Noch weniger verträgt es sich mit dem moralischen Empfinden der Menschen, wenn die Polizei ein Kind qualvoll sterben lässt, um die Würde seines Entführers zu wahren. Es ging hier um Gefahrenabwehr, bei der das Polizeirecht - um Leben zu retten - auch den gezielten Todesschuss erlaubt." (20.2.04) Was schert es den Populisten, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden: Beim "finalen Rettungsschuss" sind wenigstens Täterschaft, Bedrohungs- und Rettungssituation bei einer Geiselnahme klar gegeben. Der Folterer arbeitet dagegen mit Vermutungen und Hypothesen. Er foltert auf Verdacht.
Aber solche Kleinigkeiten sollen keine Rolle spielen, wenn sich die Chance auftut, Opfer zu retten, wollen uns die Werber für ein bisschen Folter glauben machen. "BedenkenträgerIn" ist, wer widerspricht und darauf hinweist, dass hier mit menschlicher Betroffenheit ganz andere Ziele verfolgt werden. Die Frage nach den Grenzen polizeilicher Gewalt ist durch das Folterverbot der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie nicht zuletzt der Strafprozessordnung klar geregelt. Daschners kalkulierter "Tabubruch" hat diese Frage neu aufgeworfen: Könnte unter gewissen Voraussetzungen, zur Abwehr einer akuten Lebensgefahr, nicht vielleicht doch ein bisschen Folter beim Verhör erlaubt sein? Selbst renommierte Strafrechtsprofessoren lobten seinen "Mut", im Extremfall den Zweck über die Mittel zu stellen. Die bei Folter frontal angegriffene Würde des Menschen ist aber nicht "abwägbar".
Folter als
"letztes Mittel"
Es ist Vorsicht angebracht. Als die Folterandrohung das erste Mal bekannt wurde, entwickelte sich eine Diskussion, in der das Schicksal der Geisel bald vergessen war und es um eine "qualifizierte Foltererlaubnis" im "Kampf gegen den Terror" ging. Unions-Hardliner wie der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm forderten die Gewaltanwendung plötzlich auch für Terrorverdächtige. "Diese Debatte zeigte", so der Berliner Tagesspiegel, "dass in diesem Fall mehr als Mitleid steckt." (20.2.04) Es gab einmal Zeiten, da überwog das Verständnis der Grund- und Menschenrechte als Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat - zumindest idealtypisch. Diese "rechtsstaatlichen Fundamentalgewissheiten" (Heribert Prantl) sind heutzutage umkämpft wie schon lange nicht mehr.
mb.