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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 483 / 23.4.2004

Zwischen Britneys und Whitneys

SISTARS** coacht junge Musikerinnen

Carl Ludwig Junkers Urteil war unmissverständlich: "Lächerlich!" Frauen mit Pauken und Trompeten, Flöten oder Trommeln, Hörnern oder Contrabässen, so mahnte der Philologe, Pfarrer und Komponist vor 221 Jahren an, hafte stets etwas Ungehöriges an. "Wenn wir ein Frauenzimmer, die Violin, oder das Horn, oder den Baß spielen sehen, so empfinden wir ein gewisses Gefühl des Unschicklichen, das (...) den Eindruck des vorgetragenen Stücks selbst schwächt". Junker stand nicht allein in seiner Zeit, vielmehr bediente er sich einer vornehmlich biologistischen Argumentation, mit der das erstarkende Bürgertum des ausgehenden 18. Jahrhunderts das Instrumentalspiel von Frauen vehement ins Abseits zu drängen versuchte. (1)

Mit der Begründung, es entspräche ihrem Geschlechtscharakter der intellektuellen und physischen Schwäche, wurden Frauen in den beengten Wirkungskreis Haus und Familie gepresst. Die vorgeblich wissenschaftliche Erkenntnis, es gäbe einen direkten Zusammenhang zwischen biologischen Eigenschaften und gesellschaftlichen Rollen, prägte die Auffassung, "der Stand des Weibes (sei) Ruhe". Dies wurde hinuntergebrochen bis in kleinste Bereiche des sozialen und ökonomischen Lebens. Bald galten kraftvolle Bewegungen bei Frauen als unschicklich und als widernatürlich.

Für Frauen tabu: Cello, Posaune, Flöte, Geige ...

Auch beim gemeinsamen Musizieren im bürgerlichen Haushalt, als wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen und familiären Verbindungen gepflegt, galten strenge Restriktionen für Frauen. Wegen des angeblichen Widerspruchs zwischen Spielbewegungen und Frauenkleidung, zwischen Instrumentalklang und weiblichem Geschlechtscharakter und auf Grund der unterstellten Ungehörigkeit bestimmter Spielhaltungen, waren bald zahlreiche Instrumente für Frauen tabu: Das Cello galt als unschicklich, weil es mit gespreizten Beinen gespielt wird. Trompeten, Posaunen und andere Holz- und Blechblasinstrumente wirkten unweiblich, da sie dem männlichen Sozialraum des Militärs zugeordnet waren. Flöten und Klarinetten waren zusätzlich sexuell konnotiert und damit anstößig. Die Geige galt als Soloinstrument, das "maskulin" gespielt werden musste. Klassische Begleitinstrumente wie Klavier und Laute hingegen, später auch die Gitarre, wurden als passend "zu den typisch weiblichen Eigenschaften der Einfühlsamkeit und Unterordnungsbereitschaft" gewertet. Die Stimme galt als das der Natur der Frau am ehesten entsprechende Instrument. Die musizierende Frau hatte die graziöse Hand- und Körperhaltung zu perfektionieren und ekstatische Gestik oder Mimik zu vermeiden.

Bildet Mädchen-Bands!

In einer im Jahre 2002 veröffentlichten Studie untersuchte das Frauenmusikzentrum f:mz die Präsenz von Musikerinnen auf Hamburgs Bühnen - mit frappierendem Ergebnis: Der Anteil von Frauen in den gebuchten Bands liegt bei fünf Prozent, davon waren knapp die Hälfte Sängerinnen; Schlagwerk und Blasinstrumente gelten nach wie vor als Männerdomäne. Die Kulturgeschichte des Bürgertums wirkt bis heute.

Noch nähren sich die Old Boys der Musikszene samt männlichem Nachwuchs gegenseitig in ihren fein gesponnenen Networks, in denen die Entscheidungen über Booking und Promotion, Tourmanaging und Ausbildung fallen. Für Steph Klinkenborg ist das eher Ansporn als Abschreckung. Die Hamburger Koordinatorin des bundesweiten Projektes SISTARS** setzt auf junge Musikerinnen, die selbstbewusst gegen den Strom schwimmen. Die Gegenstrategie von SISTARS ist simpel und langfristig effektiv: Mädchen und junge Frauen bis 27 Jahre, die in Bands Musik machen und sich professionalisieren wollen, finden hier Coaching, Kontakte und feministische Seilschaften. "Unser Ziel ist, dass mehr Instrumentalistinnen den Weg auch auf große Bühnen finden", betont Klinkenborg.

Im SISTARS**-Netzwerk ziehen feministische Musikinitiativen aus Hamburg, Hannover, Dortmund und Frankfurt an einem Strang und bieten jungen Musikerinnen aus allen Sparten der populären Musik ein paar Wochen lang Beratung und Auftrittsmöglichkeiten. Bewerben kann sich jede Band, in der Mädchen federführend sind. Durchweg weibliche Jurys wählen einmal im Jahr pro Region vier Bands für die bundesweite Runde. An Arbeitswochenenden schulen erfahrene Musikerinnen und Produzentinnen als Mentorinnen - u.a. Sandra Nasic /Guano Apes, Sandra Grether, Produzentin Andrea Canta, HipHop-Queen Pyranja und Bernadette la Hengst - den Nachwuchs in Sachen Promotion, Verträge, Finanzen, Technik etc.

2003 bewarben sich bundesweit mehr als 40 Bands, die sich im Haifischbecken Musikbusiness bewähren wollen. Dabei nicht auf Rollenklischees zurückzugreifen, ist ein Drahtseilakt. Schließlich ranken sich die Kategorisierungen von Mädchen und Frauen immer noch um die jahrhundertealte Achse zwischen Schlampe und Schutzbedürftige. Das Spannungsfeld, in dem Mädchen versuchen, ihre Identität zu finden, ist aufgeladen mit Bildern, die bestimmt sind von Schönheitswahn, Markenfetischismus und Sextalk. Was alle SISTARS**-Teilnehmerinnen eint, ist der Wunsch, unabhängig von ihrem Äußeren als Musikerin ernst genommen zu werden - in der medial durchtränkten Welt zwischen all den Britneys und Whitneys ein schier aussichtsloses Unterfangen.

"Wir brauchen mehr Angebote für Mädchen, an den Schulen Instrumente ausprobieren zu können," fordert Klinkenborg. Die Art der Musikförderung beeinflusse die Zugangsmöglichkeiten von Jungs und Mädchen zu Musik. Schülerbandfestivals wie School Jam zeigen, so Klinkenborg, was beim "völlig ungegenderten Angebot" passiert: "Die Jury ist nahezu rein männlich besetzt. Und es treten fast nur Jungs auf." Solange Bandworkshops fast ausschließlich von Männern geleitet werden, Übungsräume in Industriegebieten oder Bunkern und somit jenseits sicherer Sozialräume liegen und Mädchen nicht denselben Zugang zu Räumen und Instrumenten haben wie Jungs, ist ganz offensichtlich Gegensteuerung nötig.

Tina Fritsche

Im Sommer 2004 startet die Bewerbungsphase für die nächste SISTARS**Runde. Infos unter: www.sistars.info

Anmerkung:

1) Die Musikwissenschaftlerin Freia Hoffmann hat hierzu eine überaus spannende kulturgeschichtliche Abhandlung vorgelegt. Hoffmann, Freia: Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur. Frankfurt/M. 1991

Zum Weiterlesen empfohlen: Baldauf, Annette / Weingartner, Katharina (Hg): Lips Tits Hits Power? Popkultur und Feminismus. Bozen 1998

Niketta, Reiner/ Volke, Eva: Rock und Pop in Deutschland - Ein Handbuch für öffentliche Einrichtungen und andere Interessierte. Essen 1994