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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 483 / 23.4.2004

Weder bündnisfähig noch gegen Sozialkahlschlag

DGB dominiert den Aktionstag gegen Sozialabbau

500.000 Menschen waren am 3. April in Berlin, Köln, Stuttgart, Frankfurt und anderen bundesdeutschen Städten unterwegs, um ihren Protest gegen Sozialkahlschlag und Agenda 2010 auf die Straße zu tragen. In Deutschland wurde der europäische Aktionstag gegen Sozialabbau jedoch sehr rigoros vom DGB dominiert - ein Umstand, der die Freude erheblich trübt.

Seit November 2003 wurden die Europäischen Aktionstage gegen Sozialabbau am 2. und 3. April 2004 aktiv vorbereitet - vom DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften sowie von den unterschiedlichen Strömungen, die die Demonstration am 1. November 2003 organisiert hatten. Bereits vor dem Europäischen Sozialforum in Paris hatten attac und DGB enge Kontakte für einen gemeinsamen Europäischen Aktionstag geknüpft. Die attac-Idee, Gewerkschaftsvorsitzende als Förderer solcher Aktionstage zu gewinnen, wurde zunächst durchaus positiv aufgenommen. Doch bei vielen unabhängigen Initiativen und Sozialbündnissen wich diese Freude seit Januar 2004 einem blanken Unmut. Schon als der Europäische Gewerkschaftsbund die Termine 2. und 3. April verkündet hatte, war klar, dass die deutschen Gewerkschaften das fragile Bündnis vom 1. November 2003 aus GewerkschafterInnen, Erwerbslosen und GlobalisierungskritikerInnen gefährden könnten.

Zwischen November 2003 und Januar 2004 trafen sich bei fünf Aktionskonferenzen so unterschiedliche Bündnisse wie die Initiative für einen Richtungswechsel in der Politik, attac mit den deutschen Sozialforen, das Rhein-Main-Bündnis, das ehemalige Berliner Demobündnis zum 1.11.2003 und viele andere soziale Städtebündnisse. Es ging darum, die Sozialbündnisse voranzutreiben, Termine für weitere Aktivitäten und Prioritäten zu diskutieren, politische Plattformen für die Bündnisarbeit zu erarbeiten und strategische Fragen des politischen Widerstands zu thematisieren.

Feindliche Übernahme

Interessant ist ein Rückblick auf die Aktionskonferenzen des Rhein-Main-Bündnis am 13.12.2003 sowie von attac am 17. und 18.1.2004. Am 13. Dezember 2003 diskutierten vor allem städtische Sozialbündnisse und Parteien wichtige Ansätze für eine strategische Diskussion zur Entwicklung des politischen Widerstandes und erarbeiteten eine politische Plattform für die zukünftige Bündnisarbeit. Auf der Aktionskonferenz am 17. und 18. Januar 2004 einigten sich linke GewerkschafterInnen, Erwerbslose und GlobalisierungskritikerInnen auf den "Frankfurter Appell gegen Lohn- und Sozialabbau" sowie eine gemeinsame Abschlusserklärung. Auf beiden Konferenzen kam es zu ersten Vorbereitungen "von unten" für Aktionswochen zwischen dem 20. März und dem 3. April 2004. Mit der "feindlichen Übernahme" durch den DGB-Bundesvorstand brach dieser gemeinsame Vorbereitungsprozess zwischen sozialen Bewegungen und Gewerkschaften quasi auseinander. Der DGB zog die inhaltliche und organisatorische Gestaltung des europäischen Aktionstages am 3. April 2004 an sich.

Am 22. Februar 2004 traf sich der Arbeitsausschuss zur Auswertung der Frankfurter Aktionskonferenz. Dort unterstützten linke GewerkschaftsvertreterInnen und attac offen das Konzept des DGB-Bundesvorstandes für drei Veranstaltungen in Berlin, Köln und Stuttgart. Die Ursprungsidee einer bundesweiten zentralen Demonstration war damit faktisch gestorben, obgleich der DGB mit seinem Konzept ein deutliches Desinteresse an der vor dem 1. November 2003 entstandenen Bewegung gegen Sozialkahlschlag bekundete. Während sich Gewerkschaftlinke und attac also dafür aussprachen, die großen Gewerkschaften mit "ins Boot" zu holen, wurde dies von den Sozialbündnissen und den Erwerbslosen kritisiert. Sie wiesen von Beginn an auf die Gefahr der Spaltung hin.

Das globalisierungskritische Netzwerk attac als so genannte regierungskritische NGO nahm eine Doppelrolle im Bündnisgeschehen ein. Es hat kritisches Potenzial gebunden und mit dem Aufsaugen linker Themen für deren mediale Wiedergabe gesorgt. Die Orientierung auf diverse Sozialforen hat darüber hinaus soziale Proteste auch aufgeweicht. Seit langem aktive, politisch erfahrene und kampferprobte soziale Initiativen werden ausgegrenzt. Die Akzeptanz durch Großorganisationen wie die Gewerkschaften hat das sicherlich befördert.

Wo liegt die Augenhöhe?

Der DGB-Bundesvorstand (DGB-BuVo) hatte bereits im Dezember 2003 alle Plätze und Demorouten in Berlin bei der Polizei angemeldet. Seit Januar begann er mit der Organisation des Aktionstages - in der Manier einer Dampfwalze. Bei der Organisation, der Zeit- und Ortsplanung, der RednerInnenauswahl und der Auswahl der BündnispartnerInnen wollte er sich zunächst nicht reinreden lassen. Das Berliner Bündnis gegen Bildungs- und Sozialraub (BBgSB) nahm im Januar 2004 Kontakt zum DGB Berlin-Brandenburg-Sachsen auf. Dieser Landesbezirk wies zwar auf seine organisatorische und inhaltliche Abhängigkeit vom DGB-BuVo, trug allerdings die Anliegen des BBgSB dort vor. Dadurch waren einige Einbrüche in die DGB-Dominanz möglich:

- Außendarstellung der gemeinsamen Vorbereitung im Infobrief

- Auftaktkundgebung mit Bühne mit Beginn ab 10.00 statt 9.30 Uhr

- Das BBgSB durfte für die Auftaktkundgebungen in Berlin jeweils die Hälfte der RednerInnen benennen

- zeitliche Verschiebung der Abschlusskundgebung

- die Erwerbslosenrede auf der Abschlusskundgebung

- gemeinsamer Aufruf mit dem DGB-Berlin und Leittransparent "Aufstehn - alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag"

- Aufnahme unterschiedlicher Aufrufe und Links auf die DGB-BuVo-Internetseiten.

Die allumfassende DGB-BuVo-Organisation blieb nicht ohne Widerspruch. So intervenierte der gemeinsame Arbeitsausschuss der Aktionskonferenz zum 17./18. Januar 2004 mit einem offenen Brief an den DGB. Darin hieß es u.a.: "Wir bitten den DGB eindringlich, die bisherigen Entscheidungen über die inhaltliche Gestaltung der Abschlusskundgebungen und den Demonstrationsverlauf in Köln, Stuttgart und Berlin zu korrigieren und gemeinsam mit den o.g. Gruppen und Bündnissen darauf hinzuwirken, dass dort die Positionen aller Beteiligten, auch die des Bündnisses ,von unten` auf der Grundlage des ,Frankfurter Appells gegen Sozial- und Lohnabbau`, berücksichtigt werden. Dass muss vor allem durch die Berufung der AbschlussrednerInnen aus allen vertretenen Bereichen signalisiert werden sowie durch die Beteiligung von VertreterInnen der sozialen Bewegung in den Organisationsgremien an den jeweiligen Demonstrationsorten." (1) Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG SHI) äußerte sich wie folgt: "Die diversen Bündnisse ... befürchten, dass der deutlich kämpferische und kritische Ton vom Herbst verstummt und die Regierung geschont wird." (junge Welt, 4.3.2004) Und der Arbeitslosenverband Deutschland e.V. schrieb: "Wir ..., die (wir) gemeinsam mit vielen weiteren Sozialpartnern auch dazu beitrugen, dass die Demonstrationen am 17. Mai und am 1. November 2003 in Berlin machtvolle Signale gegen den Sozial- und Lohnabbau wurden, registrieren, dass das ... sozialpolitische Anliegen des Europäischen Aktionstages in Deutschland leider immer mehr instrumentalisiert wird und zum ,Kampffeld' zur Austragung von persönlichen und institutionellen Interessen verkommt. (...) Das scheint uns ein sehr gefährlicher Kurs zu sein, der die Sozial- und Erwerbslosenbewegung in Deutschland ... spalten könnte. ... Wir denken, dass vor allem Erwerbslose und Betroffene - gerade aus dem Osten Deutschlands - im besonderen Gehör finden müssen." (2)

Andere Offene Briefe gab es von der Aktionskonferenz vom 6. März 2004 (an den Vorstand des DGB-Landesbezirks NRW), vom Anti-Hartz-Bündnis NRW, dem Sozialbündnis Lippe-Detmold und von attac. Sie alle drückten den Wunsch nach einem "Bündnis auf gleicher Augenhöhe" mit dem DGB-Bundesvorstand und seinen Gewerkschaften aus und betonten den gemeinsamen Kampf gegen Sozialabbau. In der Regel reagierte der DGB-BuVo nicht oder nur anmaßend. Er präsentiert damit ein sattes Maß an Ignoranz und verkommener politischer Kultur.

Trotz diesbezüglicher Zusagen befürchteten insbesondere die unabhängigen Erwerbsloseninitiativen, dass aus diesem Spektrum kein/e RednerIn zugelassen werden würde - eine Befürchtung, die sich auf entsprechende Erfahrungen im Umgang mit den Gewerkschaften stützte und die sich letztlich auch als zutreffend erwies. Für die Erwerbslosen sprach in Berlin eine gewerkschaftliche Erwerbslosenvertreterin, ostdeutsche Arbeitslose, unabhängige Erwerbslosengruppen, Euromärsche und Sozialhilfeinitiativen waren dadurch nicht vertreten. In Stuttgart sprach überhaupt kein/e ErwerbsloseR. Damit wurden nicht zuletzt auch die vielfältigen Aktivitäten und Mobilisierungsanstrengungen der verschiedenen Aktionskonferenzen, des BBgSB und vieler Erwerbsloser ignoriert.

Faktisch waren die Demonstrationen am 3. April 2004 sicherlich ein großer politischer Erfolg. Das Verdienst dafür kommt zunächst einmal sämtlichen AktivistInnen aus der Vorbereitung der Demo vom 1. November 2003 zu, die diesen Aktionstag überhaupt angeregt, angeschoben und den Gewerkschaften aufgedrängt hatten. Doch der Aktionstag selbst stand nicht in der Kontinuität des Frankfurter Appells. Trotz aller gegenteiligen Rhetorik: Die RednerInnen-Auswahl zeigte, dass sich der DGB-BuVo von alten, insbesondere sozialdemokratischen Bündnispartnern nicht wirklich trennen will. Nur durch Druck von unten sah er sich gezwungen, neue BündnispartnerInnen zu akzeptieren. Dass sich DGB-Chef Sommer im Alleingang aus den Spektren der sozialen Bewegung Leute herauspickte, deren Nase ihm gefiel, ist schlichtweg empörend. Der Einsatz des DGB-BuVo für ein breites Bündnis gegen Sozialabbau überzeugt nicht. Auch in Zukunft will er nicht mit Linken oder unabhängigen Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten - zumindest nicht offiziell. Zu sehr begreift sich der DGB als Ordnungsfaktor und Mitgestalter in der Gesellschaft in engem Schulterschluss mit der SPD, zu sehr agiert er aus der Position vermeintlicher Macht und Stärke.

Arroganz
der Macht

Wo für den DGB-BuVo die Augenhöhe angesiedelt ist, wurde bei der Reihenfolge der RednerInnen auf der Berliner Abschlusskundgebung klar. Sommer, Bernard Thibault von der französischen CGT und Martin-Michael Passauer, Generalsuperintendent der Ev. Kirche Berlin hatten ihren Auftritt mit ellenlangen Redebeiträgen. Schon in der Musikpause eilten viele Demo-TeilnehmerInnen zu den Bussen für die Rückreise und konnten die RednerInnen der Erwerbslosen, der Studierenden, von attac und der kritischen Wissenschaft nicht mehr anhören. Dass bei der Berliner Abschlusskundgebung mit Ottmar Schreiner und Niels Annen auch Vertreter von Regierungsparteien sprechen durften und in Köln der ehemalige CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm, war für viele, die seit Jahren gegen Soziaabbau kämpfen, ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht. Dazu passen im übrigen die Auftritte unzähliger KirchenvertreterInnen genauso wie der von Ursula Engelen-Kefer (immerhin Mitglied im SPD-Parteivorstand). Die hatte erst am 22. März 2004 die pünktliche Einführung des SGB II (Hartz IV) gefordert. (junge Welt, 23.3.2004) Trotz des Erfolges der Demonstration: Die Dominanz des DGB-BuVo am 3. April ist ein politisches Problem. Der Aktionstag wirkte so nicht zuletzt auch, als würden soziale Bewegungen allein durch die Gewerkschaften repräsentiert.

Anne Allex

Anmerkungen:

1) http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/
aktionen/europaimapril.html

2) http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/
aktionen/april-alv.pdf