Verdichtung oder Wahrheit?
Ein Buch über "postfordistische Naturverhältnisse" und internationale Regulation
Das Buch "Postfordistische Naturverhältnisse" von Ulrich Brand und Christoph Görg stellt den Versuch dar, die globalen Konflikte um die genetischen Ressourcen und die Internationalisierung des Staates im Postfordismus zu fassen. Es ist aus einem Forschungszusammenhang hervorgegangen, an dem außerdem Karin Blank, Joachim Hirsch und Markus Wissen beteiligt waren. Mit dem Buch wollen die Autoren eine Perspektive eröffnen, welche die übliche Unterscheidung zwischen ökologischen und sozialen Problemen auf der einen und Macht- und Herrschaftsverhältnisse auf der anderen Seite überwindet. Gleichzeitig geht es um die Frage, inwieweit lokale Akteure auf internationale Konfliktterrains Einfluss haben.
In der Studie werden die Umweltkonflikte in einem komplexen Macht- und Interessenfeld verortet und anhand des Konzepts der "gesellschaftlichen Naturverhältnisse" konkretisiert und differenziert. Bezugnehmend auf Gramsci und Poulantzas beschreiben die Autoren ein Konfliktfeld, in dem Nationalstaaten wie subalterne lokale Gruppen, NGOs wie Transnationale Konzerne, WTO (Welthandelsorganisation) und WIPO (Weltorganisation für geistiges Eigentum) um die Durchsetzung ihrer Interessen kämpfen. Hierbei werden die unterschiedlichen Ressourcen der einzelnen Akteure gesehen und dennoch die Bedeutung auch von marginalisierten Positionen und Akteuren herausgearbeitet.
Anhand der Regulationstheorie werden die verschiedenen Konfliktterrains analysiert und miteinander verbunden. Der Begriff der Regulation meint hierbei, dass die kapitalistische Gesellschaft infolge der ihr innewohnenden Widersprüche kein steuerndes Zentrum haben kann. Vielmehr finden permanente Auseinandersetzungen zwischen widerstreitenden Akteuren statt. Diese Auseinandersetzungen können zu dauerhaften Kompromissen führen, welche sich in spezifischen Institutionensystemen manifestieren und so eine gewisse Bestandsfähigkeit ermöglichen.
Durch die Herausbildung spezifischer Regulationsweisen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene breitet sich ein transnationales Konfliktfeld aus, in dem sich der Kampf um die Hegemonie bestimmter Interessen abspielt. Nationalstaaten werden hierbei als Verdichtung spezifischer nationaler Kräfteverhältnisse gesehen und agieren im internationalen Rahmen wiederum als Akteure, wodurch es zu einer "Verdichtung zweiter Ordnung" kommt. Hierbei stellen einzelne Staaten allerdings immer weniger die dominanten Steuerungszentren von Ökonomie und Gesellschaft dar, sondern treten als Moderatoren auf, die die verschiedenen Interessen und Akteure miteinander in Beziehung setzen. Dabei werden staatliche Gestaltungsmöglichkeiten ökonomischen Vorgaben untergeordnet; postfordistische Politik handelt immer stärker nach vermeintlichen Sachzwängen.
Supermarkt der Life Sciences Industrie
Insgesamt verbindet sich im Postfordismus eine Vergrößerung der Ausbeutungsrate mit einem neuen Schub der Unterwerfung weiterer gesellschaftlicher Bereiche unter den kapitalistischen Verwertungsprozess. Es geht um die globale Durchsetzung des Inwertsetzungsparadigmas, welches durch geistige Eigentumsrechte (Patente, Copyright, Sortenschutz) unterstützt und vorangetrieben wird. Bei der Durchsetzung dieser - oft internationalen - Rechte spielen die Nationalstaaten als Inhaber des "Monopols legitimer physischer Gewaltsamkeit" eine zentrale Rolle. Der Prozess der Globalisierung und die von den Autoren bezeichneten Prozesse der "Internationalisierung des Staates" bedeuten also nicht das Wegfallen regionaler, nationaler oder lokaler Ebenen, sondern deren Neuanordnung.
Das Konfliktfeld wird anhand verschiedener Fallstudien konkretisiert. Die "Regulation der Biodiversität" zeichnet sich dadurch aus, dass sich hier globale Umwelt- und Verteilungskonflikte überlagern. Am Fall von Chiapas zeigen die Autoren die Durchdringung der verschiedenen Ebenen auf. Hier treffen die nationalen Inwertsetzungsstrategien von Wissen und genetischen Ressourcen des mexikanischen Staates und die Interessen der Life Sciences Industrien auf den lokalen Widerstand der indigenen Bevölkerung. Am Beispiel des Internationalen Saatgutvertrags, der die Patentierung bestimmter Kulturpflanzen verbieten sollte, wird gezeigt, wie Strategien, die sich gegen die fortschreitende Privatisierung von genetischen Ressourcen richten, vereinnahmt und überformt werden. Nicht nur ist heute der Schutz vor Patenten auch im Rahmen des Internationalen Saatgutvertrags fraglich. Dieser scheint sich im Gegenteil durch die Bereitstellung von genetischen Ressourcen zu einem "Supermarkt" für die Life Sciences Industrien zu entwickeln.
Am Beispiel der Verhandlungen innerhalb der WTO und zwischen verschiedenen Vertragswerken wird aufgezeigt, dass dominante Akteure, wie die EU oder die USA, die internationalen Abkommen im Sinne eines "shop around" nutzen. Wird innerhalb eines Konfliktfeldes die Hegemonie bestimmter Interessen gefährdet, wenden sich diese Akteure anderen Abkommen zu, bei denen sie hoffen, ihre Interessen besser durchsetzen zu können.
Die Stärke des Buches liegt u.a. im Versuch, lokale und globale Prozesse zusammen zu denken. Besonders am Beispiel des Widerstands in Chiapas ist dies gut erkennbar. Leider wird die Bedeutung von lokalen Akteuren an anderen Stellen weniger berücksichtigt. Der Anspruch der Autoren, konkret zu untersuchen, inwieweit internationale Konfliktterrains und globale Strategien auch von "unten" nach "oben" beeinflusst werden, wurde nur partiell eingelöst. Hier hätte der Fokus stärker auf den lokalen Akteuren und Kämpfen liegen können.
Insgesamt ist das Buch gut lesbar und verständlich geschrieben. Zum Teil handelt es sich um sehr spezielle Diskussionen, die für "Themen-Neulinge" eine Herausforderung darstellen können. Wer diese jedoch annimmt, wird mit einem sehr spannenden und anregenden Buch belohnt!
Joscha Wullweber
Ulrich Brand, Christoph Görg (Hrsg.): Postfordistische Naturverhältnisse, Westfälisches Dampfboot, Münster, 2003, 262 Seiten, 24,80 Euro