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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 486 / 20.8.2004

Aufklärung und Propaganda

Der neue Michael Moore-Film ist besser als sein Ruf

"Purer Populismus" urteilte Andreas Bocholte im Spiegel über Michael Moores "Fahrenheit 9/11". "Ressentimentgeladenes Propagandawerk" und "anti-aufklärerisch" ist auch das Verdikt von Teresa Schweiger und Tobias Ofenbauer in der junge world. Und mit dem FAZ-Rezensenten Andreas Kilb sind sie sich auch in Sachen "Verschwörungstheorie" einig. Dabei hat dieser Film dieses Jahr die Goldene Palme von Cannes bekommen, und zwar (im Wesentlichen) zu Recht.

Moores Film ist ein Film über die Verstrickungen und Interessen des Bush-Clans sowie eine vehemente Kritik am Irak-Krieg. Und der Film ist ein Bestseller. Seit dem Kinostart im Juni hat er bis Ende Juli über 100 Mio. US-Dollar eingespielt. Als erster so genannter Dokumentarfilm schaffte es "Fahrenheit 9/11" auf Platz 1 der Kino-Charts. Damit ist der Streifen erstmals in Einnahmeregionen vorgestoßen, die ansonsten nur den Blockbustern aus Hollywood vorbehalten sind. Und es ist zunächst einmal dieser Durchbruch bei einem Massenpublikum, der den Film in den Augen der KritikerInnen verdächtig macht; schließlich gilt Publikumserfolg als erstes Indiz für Populismus - gerade bei einem politischen Film. Moores Intention sei nicht die Aufklärung, sondern er hoffe vielmehr auf die Dummheit des Publikums, wissen z.B. die jungle world-RezensentInnen. Sie reproduzieren dabei unter der Hand mal schnell das anti-amerikanische Klischee schlechthin, nämlich das Bild von den blöden, kulturlosen Amis, die jeden Scheiß aus den Filmfabriken für bare Münzen nehmen.

Skandal und Wahrheit

Ein beliebter Verweis auf Moores anti-aufklärerische Absichten besteht in dem Vorwurf, "Fahrenheit 9/11" unterschlage Fakten oder manipuliere sie. Eine eigentümliche Kritik, denn Fakten präsentiert der Film zu Hauf: Über die Manipulation der Präsidentschaftswahl 2000, als in Florida massenhaft Stimmen afroamerikanischer (und in der Mehrheit demokratischer) WählerInnen nicht gezählt wurden; über die Weigerung von Demokraten wie Republikanern im Senat, die Proteste von schwarzen Kongressabgeordneten zu unterstützen; oder über die Bespitzelung von FriedensaktivistInnen durch die neue Anti-Terror-Gesetzgebung. Es mag sein, dass viele dieser Informationen für den gebildeten Kritiker nicht neu sind, doch dies ist ein ebenso merkwürdiger Einwand wie der implizite Vorwurf der FAZ, Moore habe vieles nicht selbst gedreht, sondern "nur" Fremdmaterial übernommen.

"Fahrenheit 9/11" gilt als Dokumentarfilm, und aus irgendeinem unerfindlichen Grunde dürfen solche Filme offenbar keine parteiischen Botschaften vermitteln. Sie haben vielmehr "objektiv" und "neutral" zu sein und "alle Fakten" zu berücksichtigen. Es ist der Mythos des Echten, Wahren und Unverfälschten im dokumentarischen Bild, der sich in der Kritik an Michael Moore Bahn bricht. Doch der Blick durch die Kamera ist niemals neutral, das Foto niemals eine "reine" Wahrheit. Ein Film, der aus dokumentarischem Bildmaterial besteht, präsentiert immer die Wahrnehmung der Autorin von und ihre Interpretation der Welt. In diesem Sinne ist jeder Film und eben auch jeder (politische) Dokumentarfilm ein Propagandafilm; ein Umstand im übrigen, den Michael Moore niemals und an keiner Stelle verleugnet. Insofern geht er mit dem Medium des dokumentarischen Bildes sehr viel ehrlicher und offener um als seine KritikerInnen.

Doch der Film präsentiert durchaus auch Neuheiten: etwa die Bilder von verwundeten und gefallenen US-Soldaten, die Sequenzen von Razzien im Irak und von Demütigungen von Gefangenen, lange bevor die Folterfotos von Abu Ghraib um die Welt gingen. Alles Material, das genauso unter die Armee-Zensur gefallen war wie die Aufnahmen von Flaggen bewehrten Särgen oder die Interviews mit zunehmend verstörten und irritierten GIs. Nur: Das sind nicht die Bilder, die Moores KritikerInnen sehen wollen. "Auslassen unbequemer Tatsachen" lautet der von FAZ bis jungle world erhobene Vorwurf.

Gemeint ist damit immer, dass Moore konsequent dem US-Krieg gegen den Irak jegliche Legitimation und Legitimität abspricht. Für ihn ist dieser Krieg ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf einen souveränen Staat gewesen, der zu keiner Zeit die USA angriff oder einen US-Bürger in irgendeiner Weise getötet habe. Moore verweigert sich jeder Haltung, die dieses Gemetzel als Befreiungskrieg oder Akt einer Demokratisierung oder gar Zivilisierung feiert. Moores Haltung wird durch keinerlei Hinweise auf den Terror des Baath-Regimes relativiert (ohne dass man deswegen auch nur eine Sekunde lang auf den Gedanken käme, er würde mit Saddam Hussein sympathisieren). Es ist diese politische Aussage, die zu dem Wutgeheul seiner KritikerInnen führt und auch schon mal den Ruf nach Zensur anklingen lässt, etwa wenn Schweiger und Ofenbauer sich darüber empören, dass Moore die aktuelle US-Politik, die ihm "missfällt", "mit allen Mitteln attackieren darf."

Es ist wahr: "Fahrenheit 9/11" ist ein Anti-Bush-Film. Und es ist auch wahr, dass Moore mit diesem Film nicht nur den Verstand, sondern auch die Emotionen der Zuschauerin anspricht. Er gibt die Figuren der Macht der Lächerlichkeit preis, er denunziert das Verhalten der Bush-Administration als heuchlerisch, lügnerisch und unmoralisch. Und er zeigt die Opfer des Krieges - Soldaten wie Zivilisten - in teilweise aufwühlenden Bildern. Doch es war schon immer ein genauso falsches wie elitäres Verständnis von Aufklärung, das Verstehen, Erkennen und Begreifen nur als Akt des Intellekts akzeptiert hat. Im Gegenteil: Kein aufklärerischer Akt kommt ohne Wut, Trauer, Empathie und Mitleid aus. Emotionalität ist keinesfalls per se ein Merkmal von Verdummung und anti-aufklärerischen Haltungen. Das ist sie nur dann, wenn sie affirmativ eingesetzt wird und dem selbstständigen Denken und Handeln entgegensteht.

Woody Guthrie-
Patriotismus

So ist es weniger ein Ausdruck aufklärerischen Denkens als vielmehr von blankem Zynismus, wenn Michael Moore vorgeworfen wird, er sehe in der banalen "kapitalistischen Selbstverständlichkeit" einer Investition in Waffengeschäfte "bereits eine kriminelle Handlung" (jungle world, 28.7.2004). In einer der eindrucksvollsten Sequenzen von "Fahrenheit 9/11" begleitet Moore zwei Rekrutierungsoffiziere der Marines bei ihrem "Menschenfischen" in den Elendsvierteln von Flint, Michigan. Er zeigt, dass es im Irak-Krieg (wie in dutzenden Kriegen vorher) die Jugend der Armutsbevölkerung war, die für die Interessen der Bourgeoisie geblutet hat. Hier, wo Moore am intensivsten den Klassencharakter dieses Krieges beschreibt, können die jungle world-KritikerInnen nur das "Halluzinieren von Skandalen" erkennen.

"Fahrenheit 9/11" zielt erklärtermaßen auf ein Massenpublikum, doch er beschwört deswegen noch lange nicht den "Aufstand des gesunden Volksempfindens." (jungle world) Der Film argumentiert von der Position eines "Patriotismus der kleinen Leute" aus, von einem Woody Guthrie-Patriotismus des "This Land is your land", inklusive der Vorbehalte, die in dieser Haltung gegen Staat und Bürokratie angelegt sind. Aber wer das vorschnell denunziert, der verkennt, dass es in den sozialen Bewegungen der USA diesen Bezug auf ein Land und einen "American Dream", die nicht nur den Reichen und Mächtigen gehören, immer gegeben hat. Dieser Patriotismus von unten hat den sozialrevolutionären Syndikalismus der IWW genauso gespeist wie die AntifaschistInnen der Lincoln-Brigaden im spanischen Bürgerkrieg oder die Deserteure und PazifistInnen im Ersten und Zweiten Weltkrieg.

Die "Ressentiments gegen ,die da oben`" (Schweiger/Ofenbauer), die Moore anspricht, richten sich keineswegs gegen einen "blutleeren Rechtsstaat". Im Gegenteil: Dieser Rechtsstaat ist Moore genauso lieb und teuer wie die Ideale der amerikanischen Verfassung. Wogegen er polemisiert, ist deren Enteignung und schamlose Instrumentalisierung durch Großkonzerne und ihre politischen RepräsentantInnen. Eine, vielleicht die Kernaussage des Films formuliert am Ende Bush selbst. In einer Rede während eines Festessens von Top-ManagerInnen und Großaktionären spricht er seine ZuhörerInnen wie folgt an: "Manche nennen Sie ,Elite`. Ich aber nenne Sie ,meine Basis`".

Selbstverständlich hat ein solcher Patriotismus genauso Grenzen und Schwächen wie der Wunsch, ein möglichst breites, auch republikanisches Publikum zu erreichen. Und manche dieser Grenzen zeigen sich auch in "Fahrenheit 9/11". Die Verbindungen der Bushs mit den saudischen Ölmagnaten führen Moore in die Nähe nationalistischer Assoziationen von einer "Übernahme der amerikanischen Wirtschaft" durch "die Saudis". Und gegenüber Familie Bin Laden, deren Mitglieder sich um den 11. September herum in den USA aufgehalten hatten, kokettiert er relativ eng mit der Sippenhaft. Problematisch ist ebenfalls, dass sich der Film nahezu ausschließlich auf George W. Bush konzentriert, die anderen Mitglieder in Kabinett und Beraterstäben kommen völlig ungeschoren davon. Ein Zugeständnis an das Massenpublikum ist möglicherweise auch die relativ dünne Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Patriot Act. Dass die Anti-Terror-Gesetzgebung neben weißen, bürgerlichen Friedensgruppen vor allem People of Color und MigrantInnen trifft, erfährt man aus dem Film nicht. Auf den ersten Blick befremdlich ist auch Moores Kritik, Bush beschwöre die Terrorismus-Gefahr und kürze gleichzeitig die Etats von Polizei und regionalen Sicherheitsorganen. Moore beklagt jedoch offensichtlich nicht in erster Linie eine reale Schwächung der Sicherheitsapparate. Ihm geht es hier eher um Bushs Heucheleien und Lügen im Zusammenhang mit der angeblichen Bedrohung der nationalen Sicherheit.

Vor allem die Hinweise auf die vielfältigen persönlichen politischen und vor allem ökonomischen Verbindungen und Interessen der Familie Bush mit der Öl- und Kriegsindustrie sind der Hintergrund für den Vorwurf der Verschwörungstheorie. "Fahrenheit 9/11" behauptet in der Tat, auf Grund dieser Interessen habe Bush nach dem 11.9. die Mitglieder der Familie Bin Laden unbehelligt ausfliegen lassen. Der Film behauptet auch, bei der Intervention in Afghanistan wäre es in erster Linie um ein Pipeline-Projekt gegangen, an dem die Familie Bush beteiligt gewesen sei. Und der Film behauptet drittens, Afghanistan sei nur eine notwendige Zwischenetappe zum eigentlichen und seit langem anvisierten Ziel, dem Irak gewesen. Man kann darüber streiten, ob dies nicht allzu reduzierte und vereinfachte Interpretationen sind. Doch die Funktion, die direkte persönliche Beziehungen und die direkte Verbindung zwischen politischen und ökonomischen Interessen im US-amerikanischen Politik- und Machtgefüge haben, steht außer Zweifel; genauso wie die Tatsache, dass der Irak-Krieg für etliche Unternehmen "ein grandioses Geschäft" ist, wie es ein Microsoft-Sprecher formuliert.

Bellizistisches Moore-Bashing

"Fahrenheit 9/11" ist kein Meisterwerk, aber ein notwendiges, sehenswertes und unterm Strich auch gutes Stück politischer Propaganda im besten, d.h. aufklärerischen Sinne. In der jungle world vom 28.7.2004 sind zwei Standfotos aus dem Film direkt nebeneinander montiert: Das eine zeigt die erwähnten Headhunter der Marines bei ihrer Anwerbearbeit, das zweite zeigt einen Kriegsdienstverweigerer in Uniform und Michael Moore auf dem Capitol Hill. Die Bildunterschriften lauten: "Überzeugungsarbeit I" und "Überzeugungsarbeit II". Wie verhasst muss einem selbst eine linksliberale Kritik am Krieg sein, wenn man im Namen der Aufklärung dermaßen die Demagogiekeule schwingt. Der Vorwurf der "Dummheit, des Antiliberalismus, der Infantilität und der Lügenpropaganda" (jungle world) fällt auf die Kriegshetzer im Feuilleton zurück.

dk

Fahrenheit 9/11, USA 2004, 110 Minuten, freigegeben ab 6; Regie: Michael Moore