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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 486 / 20.8.2004

Aufmarsch Ost

NPD baut in Sachsen Hochburgen aus und gewinnt neues Terrain hinzu

Nachdem das Thema Rechtsextremismus lange Zeit keine bedeutende Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung mehr spielte, sind die Wahlerfolge der NPD und rechter Wählervereinigungen bei den jüngsten Kommunal-, Landtags- und Europawahlen jetzt wieder Thema. Dabei konnte die NPD nicht nur in Sachsen Erfolge feiern.

Die NPD erreichte bundesweit insgesamt 72 kommunale Mandate, davon 45 in Sachsen. Bemerkenswert sind ebenfalls die NPD-Ergebnisse der Stadtratswahlen von Saarbrücken mit 4,2% und Völklingen (Saarland) mit 9,6%. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt zog die NPD in je drei Kreistage und drei Stadträte ein. Die Erfolge bei den Wahlen zum europäischen Parlament und dem thüringischen Landtag bescherten den Rechtsextremen für die nächsten fünf Jahre staatliche Zuwendungen in Millionenhöhe. Man darf gespannt sein, wie das Geld in den nächsten Wahlkämpfen für antisemitische, rassistische und völkische Propaganda eingesetzt wird.

Die Wahlerfolge der Rechtsextremen in Sachsen kamen, wenn auch in ihrer Deutlichkeit unerwartet, für KennerInnen der Situation keineswegs überraschend. Es sind vornehmlich die altbekannten NPD-Hochburgen, in denen die Rechtsextremen bei den sächsischen Kommunal- und Kreistagswahlen am 13. Juni 2004 kräftig zulegten. Während das sachsenweite Kommunalwahlergebnis der NPD bei 0,9% liegt, kommen die Rechtsextremen in ihren Schwerpunktregionen, die wie bisher schon in der Sächsischen Schweiz, im Muldentalkreis um Wurzen und Trebsen, in Meißen, Riesa und Freiberg liegen, auf durchschnittlich 8,5%. Neu ist der Durchbruch rechtsextremer Wählervereinigungen in Chemnitz und Dresden. Das Wahlergebnis muss daher als Ausbau vorhandener Schwerpunkte und als Gewinn neuen Terrains gewertet werden.

Wahlerfolge zeigen strukturelle Verankerung

Rechtsextreme Wählervereinigungen und Parteien haben in Sachsen insgesamt 54 Mandate (1999: 12) errungen. Davon gingen 45 Mandate an KandidatInnen der NPD, sechs Mandate an das Chemnitzer Wahlbündnis unter Führung der REP und drei Mandate an das NPD-nahe Nationale Bündnis Dresden (NBD). Besondere Aufmerksamkeit haben die Wahlergebnisse im Landkreis Sächsische Schweiz erregt. Neben dem Kreistagsergebnis von 9,1% erzielte die NPD bei den Gemeinderatswahlen in Reinhardtsdorf-Schöna 25,2% (3 Sitze, 629 Stimmen), in Königstein 21,1% (3 Sitze, 788 Stimmen), in Sebnitz 13,2% (2 Sitze, 1.600 Stimmen), in Neustadt i. S. 7,8% (3 Sitze, 929 Stimmen) und in Pirna 6,6% (2 Sitze, 2.999 Stimmen). Von den 629 NPD-Stimmen in Reinhardtsdorf-Schöna gingen allein 526 Stimmen an den ansässigen Klempnermeister Jacobi. Der Kandidat mit den zweitmeisten Stimmen in Reinhardtsdorf-Schöna erhielt dagegen nur 298 Stimmen. Von den drei errungenen Gemeinderatssitzen kann die NPD hier nur zwei besetzen, weil sie nicht genügend KandidatInnen für den unerwartet hohen Wahlerfolg hat.

Das Wahlverhalten in Reinhardtsdorf-Schöna gibt einen Hinweis, worauf die Stärke der NPD in Sachsen beruht: Ihre KandidatInnen sind etablierte BürgerInnen wie der Hausarzt Müller in Sebnitz, der Fahrschullehrer Leichsenring in Königstein oder eben Klempnermeister Jacobi in Reinhardtsdorf-Schöna (jetzt alle auch Kreistagsabgeordnete). Die NPD-WählerInnen kommen aus allen Altersgruppen, fühlen sich von den gesellschaftlichen Entwicklungen benachteiligt und haben kein Problem mit rechtsextremer Ideologie. Sie sind der soziokulturelle Humus, auf dem die NPD reichlich Ernte einfahren kann.

Herausragende Ergebnisse erzielte die sächsische NPD auch in Wurzen (11,8%, 1.800 Stimmen, 3 Sitze), in Meißen (9,6%, 2.600 Stimmen, 2 Sitze), in Annaberg (9,0%, 2.300 Stimmen, 2 Sitze), in Riesa (8,8%, 2.300 Stimmen, 2 Sitze), in Pirna (6,6%, 2.999 Stimmen, 2 Sitze) und in Freiberg (5,3%, 2.512 Stimmen, 1 Sitz). Sie verdoppelte damit ihre parlamentarische Stärke in ihren bisherigen Hochburgen und zog in die Kreistage der Landkreise Sächsische Schweiz (2004: 9,1%, 15.200 Stimmen, 5 Sitze), Muldentalkreis (5,8%, 8.400 Stimmen, 3 Sitze), Meißen (5,1%, 8.100 Stimmen, 3 Sitze), Freiberger Land (3,0%, 5.100 Stimmen, 1 Sitz) und Chemnitzer Land (1,7%, 2.400 Stimmen, 1 Sitz) ein.

Überraschend waren die Erfolge rechtspopulistischer oder neo-nationalsozialistischer Wahlbündnisse in sächsischen Großstädten. So gewann ein Wahlbündnis aus DSU, Deutsche Partei (DP) unter Führung der Republikaner (REP) in Chemnitz mit 26.364 Stimmen 10,3% und zog mit sechs Abgeordneten und Fraktionsstärke in den Chemnitzer Stadtrat ein. In Dresden erreichte das NBD mit 20.564 Stimmen und 4,02% immerhin drei Mandate, darunter der kurzfristig nach Dresden gezogene stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD, Holger Apfel. Getragen wird das NBD von der NPD und ihrer starken sächsischen Propagandamaschinerie. Die Slogans und das Layout der Plakate in Dresden zeigen dabei nicht nur InsiderInnen, dass der Deutsche Stimme-Verlag Riesa hinter dem öffentlichen Auftritt des NBD steckt.

Diese neuen Vernetzungstendenzen innerhalb der sächsischen rechtsaußen- bis rechtsextremen Szene erlangen vor allem hinsichtlich der bevorstehenden sächsischen Landtagswahl am 19. September Bedeutung. Reicht das rechtsextreme Kommunalwahlbündnis in Chemnitz noch von DVU bis REP, so zeichnet sich bei den sächsischen REP jetzt eine weitergehende Entwicklung ab. Kerstin Lorenz, die (mittlerweile ehemalige) Vorsitzende der sächsischen REP, hinterging ihre Bundespartei gleich zwei Mal. Erst gründete sie das NBD in Dresden mit und verstieß damit gegen die von den REP gefassten Unvereinbarkeisbeschlüsse gegenüber der NPD. Danach nahm sie die sächsischen REP drei Tage vor Fristende von der Wahlliste für die Sächsischen Landtagswahlen. Damit machte sie für die NPD den Weg frei, das rechtsextreme Spektrum bei den Landtagswahlen alleine zu vertreten. Die DVU hatte schon frühzeitig angekündigt, in Sachsen nicht antreten zu wollen, um damit der NPD einen strategischen Vorteil zu verschaffen.

NPD bald
im Landtag?

Diese neuartige Konstellation und die "gefestigten Strukturen" einer "rechten Stammwählerschaft" machen einen Einzug der NPD in den sächsischen Landtag möglich, wie selbst der Präsident des Sächsischen Verfassungsschutzes, Reiner Stock, einräumt. (Sächsische Zeitung, 6.7.2004) Rechnerisch liegen die Rechtsextremen nach den sächsischen Europawahlergebnissen gemeinsam bei ca. 7%: REP 3,4% (1999: 2,5%) und NPD 3,3% (1999: 1,2%). Zwar dürfte die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl höher liegen als bei den Europawahlen, gleichwohl könnte die NPD vor diesem Hintergrund durch den Kandidaturverzicht von DVU und REP den Einzug in den Landtag schaffen. Eine aktuelle Wahlanalyse, die infratest dimap im Auftrag des MDR durchführte, lässt zumindest Schlimmstes befürchten. Nach dieser Umfrage können sich 14% der befragten Sachsen, darunter besonders viele Arbeitslose, vorstellen, bei den Landtagswahlen eine rechtsextreme Partei zu wählen. 5% würden dieser Umfrage zufolge sicher rechtsextrem wählen, davon geben 2,5% an, sicher NPD zu wählen.

Staatliche Behörden und nichtstaatliche Initiativen gegen Rechtsextremismus sprechen ohnehin übereinstimmend von einer hohen Gefährdungslage durch rechtsextreme Gruppen in Sachsen. So stieg die Zahl gewaltbereiter RechtsextremistInnen in Sachsen von 600 im Jahr 1997 auf 1.950 im Jahr 2003. Dabei geht nach wie vor der Trend innerhalb der rechtsextremen Szene von den rechtsextremen Parteien weg (1.400 Mitglieder 1998, 800 Mitglieder 2003) und hin zu autonomen rechtsextremen Kameradschaften, neo-nationalsozialistischen und völkisch-neuheidnischen Gruppen. Dieser Trend wurde durch die Debatte über ein Verbot der NPD in den Jahren 2001/2002 verstärkt. Dramatisch wachsen die (geschätzten) Mitgliederzahlen rechtsextremer Kameradschaften: Wurden im Jahr 2000 25 Kameradschaften mit ca. 400 Mitgliedern erfasst, sind es im Jahr 2003 schon 40 mit ca. 860 Mitgliedern. In den einzelnen Regierungsbezirken sind diese Strukturen unterschiedlich stark. Die Szene in der Sächsischen Schweiz ist nach wie vor hochgradig organisiert. Die im Juni 2004 überraschend abgeschlossenen Prozesse gegen Mitglieder der 2001 verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz hatten in dieser Beziehung kaum abschreckende Wirkung.

Während einerseits die soziokulturelle Verankerung rechtsextremer Szenen (Kameradschaften, "nationale Jugendarbeit", bürgerschaftliche Vereine etc.) in einigen Regionen Sachsens immer manifester wird, häufen sich andererseits die Versuche, in populistischer und rassistisch-völkischer Manier politische Themen zu besetzen, die viele BürgerInnen umtreiben. So traten rechtsextreme Akteure verstärkt auf Demonstrationen gegen den Irakkrieg auf bzw. beteiligen sich aktuell an Demonstrationen gegen Sozialabbau. (vgl. www.keine-agenda2010.de)

Die rechtsextreme Szene schafft Gemeinschaftserlebnisse für Jung und Alt. Über Brauchtumspflege, nordische Mythen und germanische Riten werden Jugendliche und Kinder angesprochen. Dabei gedeihen die Kameradschaftsszenen dort besonders gut, wo öffentliche Angebote für Jugendliche unterrepräsentiert sind und kommunale Verantwortungsträger kein Problembewusstsein entwickeln. Wie das Beispiel des 2003 nach monatelangem Druck von den Behörden geschlossenen Jugendhauses des Nationalen Jugendblocks Zittau (NJB) belegt, gehen Organisationsgrad und Aktivitäten der rechtsextremen Szene zurück, wenn deren Rückzugsräume und Organisationsstrukturen behindert werden. Bedenklich ist, dass rechtsextreme Gesinnungen und Akteure in manchen Kommunen zunehmend als Bestandteil des täglichen Lebens akzeptiert werden. Eine Umfrage weist zudem aus, dass sich 16 von 100 der sächsischen Befragten im Alter von 15 bis 27 politisch "rechts" einordnen. 14 von 100 geben an, "ein Zusammenleben mit Ausländern funktioniere nicht".

Ahnungslosigkeit, Verdrängung, Bestätigung

Die Haltung der allein regierenden CDU gegenüber dieser Situation zeugte lange von Ahnungslosigkeit, Verdrängung und Schönfärberei. Der damalige Ministerpräsidenten Biedenkopf meinte noch im Sommer 2000, die Sachsen seien "völlig immun gegenüber den rechtsradikalen Versuchungen. In Sachsen haben noch keine Häuser gebrannt, es ist auch noch nie jemand umgekommen". (Sächsische Zeitung, 28.9.2000) Diese Verharmlosung setzt sich in Teilen der CDU trotz des rassistischen Pogroms vom September 1991 in Hoyerswerda und vieler rassistisch motivierter Gewalttaten bis heute fort. Der CDU-nahe Politikberater Patzelt deutet die Wahlerfolge in der Sächsische Zeitung etwa als Protestwahl gegen die SPD in Berlin und die CDU in Dresden. (16.6.2004) Wer nicht PDS wählen wolle, "kann sich nur in Wahlenthaltung flüchten oder halt rechts wählen", erklärt Patzelt lapidar und empfiehlt seiner Partei aus staatspolitischen Gründen, den "rechten Rand" durch "nationale Rhetorik" einzufangen. Neben der "autoritären Prägung" der Menschen, die in der DDR "gut überwintern" konnte, macht er die Linke entsprechend verbreiteter deutsch-konservativer Stereotypen für den Wahlerfolg der Nazis verantwortlich: In der Sächsischen Schweiz, in der Nähe der tschechischen Grenze, spiele, so Patzelt, eine Rolle, dass in der DDR über das "Vertreibungsunrecht" nicht geredet werden konnte. "Darum mag auch die gutmenschenhafte Tabuisierung des Themas zu nationalistischen Ressentiments geführt haben", so der CDU-Berater.

Die Protestwahl-These greift eindeutig zu kurz, da sie die Entstehung stabiler StammwählerInnen-Milieus in einigen Regionen Sachsens verdrängt. Sie kann nicht erklären, warum die NPD gerade in ihren Hochburgen gewonnen hat. Sie verdrängt, dass rechtsradikale Wahlerfolge gerade in Ostdeutschland auch wesentlich auf langfristige rechtsradikale Orientierungen und Einstellungen zurückzuführen sind. In einer solchen Perspektive erscheinen alleine die aktuellen oder drohenden Wahlentscheidungen für rechtsradikale Parteien als Problem, nicht aber die Einstellungen und Gesinnungen, die hinter dieser Wahlentscheidung stehen. Wer sich mit kurzfristigen Rhetorikübungen begnügt, also anders handelt, als er spricht, will autoritären, antisemitischen und rassistischen Einstellungen, die für die Wahlentscheidung wesentlich waren, gar nicht entgegentreten. Er bestärkt sie vielmehr.

Friedemann Bringt
Kulturbüro Sachsen -

Mobile Beratungsteams, Dresden