Mauern. Berlin - Schengen, 1989 - 2004
Der Mauerbau des Instituts für Nomadologie in Berlin
Vor knapp 15 Jahren fiel die Berliner Mauer. Ende August stand sie wieder - für zwei Tage auf dem Berliner Alexanderplatz. Die Berliner Initiative "Institut für Nomadologie" protestierte mit dieser Aktion gegen die Asyl- und "Ausländerpolitik" der Europäischen Union.
Zwölf Meter lang, gut drei Meter hoch und der Berliner Mauer zum Verwechseln ähnlich war das Beton-Imitat, das das Institut für Nomadologie (InNo), unterstützt von MitarbeiterInnen der Berliner Geschichtswerkstatt, am 30. August auf dem Alex gebaut hat. "Niemand hat die Absicht, eine Festung Europa zu errichten", war dort in großen Lettern zu lesen, eine Anspielung auf Ulbrichts Aussage vom Sommer 1961, dass niemand beabsichtige, eine Mauer zu errichten. Bekanntlich sperrte die Regierung der DDR wenig später die Grenzen zu West-Berlin ab.
Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 symbolisierte weltweit das Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas; besonders die Deutschen begrüßten euphorisch die neue Bewegungsfreiheit. Gleichzeitig wurden aber seit 1989 rund um das im Vertrag von Schengen definierte Europa neue Mauern gebaut, ob an der Straße von Gibraltar oder an der polnisch-ukrainischen Grenze. Jedes Jahr sterben Hunderte von Flüchtlingen beim Versuch, die befestigten Außengrenzen der EU zu überwinden.
Darüber informierten Tafeln an der Mauer des Instituts für Nomadologie. Der imposante Nachbau provozierte und zog zahlreiche PassantInnen an, die sich hier über den Ausbau des europäischen Grenzregimes, seine konkrete Ausgestaltung an exemplarischen Orten und über die Opfer der inhumanen Abschottungspolitik der Festung Europa informierten. Performative Grenzkontrollen mit Visa-Vergabe erlaubten Interessierten, die Mauer zu durchschreiten und einen Projektionsraum mit Fotos und Filmen zum Thema Grenze zu betreten. Eine Videosequenz thematisierte die Bilder, die die Festung Europa in unseren Köpfen hervorruft: Was bedeutet Europa für die Menschen diesseits und jenseits der Schengen-Mauer?
"Der Bau dieser Schengen-Mauer wurde hier in Berlin beschlossen", hieß es auf einer Tafel. "Es ist vor allem die Bundesregierung, die auf die Abschottung der vermeintlich bedrohten Festung Europa drängt. Daher sind wir für ihre Opfer mitverantwortlich." Man wolle aber keineswegs die historisch unterschiedlichen Grenzregime der DDR und der EU gleichsetzen: "Unter anderem ließ die Berliner Mauer die DDR-BürgerInnen nicht heraus, während die Schengener Mauer MigrantInnen nicht hereinlässt. Beide Mauern soll(t)en vor allem Arbeitsmärkte regulieren und damit Systeme stabilisieren. Grenzmauern sind aber auch geistige Barrieren und ideologische Sichtblenden und dienen zugleich als Projektionsflächen der Fremd- und Selbstwahrnehmung."
Grenzkontrollen am Alexanderplatz
Die EU-Grenzsicherung beginnt weit jenseits der Grenzen der Union. In Sri Lanka etwa, war an der Mauer zu lesen, finanziert Brüssel seit Jahren den dortigen Grenzschutz, dessen Aufgabe es hauptsächlich ist, Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Norden an der Flucht außer Landes zu hindern. Jetzt schlägt der deutsche Innenminister mit Verweis auf die "täglichen Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer" vor, dass MigrantInnen aus Afrika in Lager in nordafrikanischen Ländern gebracht werden und von dort aus ihr Asylverfahren nach Europa betreiben sollen. Schily denkt dabei an Staaten wie das vom Diktator Ghaddafi beherrschte Libyen oder das von den Folgen des Bürgerkriegs gezeichnete Algerien.
Allerdings ist die illegale Einreise von MigrantInnen in die EU nicht in jedem Fall unerwünscht. Das war in einem Text und in einem Film des InNo über die Situation in Andalusien zu erfahren. Nach dem Beitritt Spaniens zur EU 1985 boomte dort die Wirtschaft, vor allem die industrialisierte Landwirtschaft. Um den Lohnkostenvorteil der Region zu erhalten, wurden Arbeitskräfte aus Marokko angeworben. Die begannen Mitte der neunziger Jahre, sich gewerkschaftlich zu organisieren und höhere Löhne zu fordern - und erhielten prompt keine Visa mehr. Legitimiert wurde dieses Vorgehen mit dem Abkommen von Schengen.
Natürlich brauchte die andalusische Landwirtschaft weiterhin billige Arbeitskräfte. Während die offizielle Einreise für MarokkanerInnen nahezu unmöglich wurde, stieg die Zahl der illegalen Grenzübertritte an der nur wenige Kilometer breiten Straße von Gibraltar an. Als illegalisierte Arbeitskräfte können die MigrantInnen keine Ansprüche auf höhere Löhne, soziale Absicherung oder gesundheitliche Mindeststandards stellen. Das gilt auch für jene Kontingente von SaisonarbeiterInnen, die zu den Erntezeiten über befristete Arbeitsvisa aus Marokko nach Andalusien gelangen. Hier dient die strikte Abschottung der EU-Außengrenzen weniger der Verhinderung von Arbeitsmigration, als vielmehr der Rekrutierung von billiger und rechtloser Arbeitskraft.
Die EU-Grenzsicherungen betreffen aber nicht nur die Außengrenzen der Union. Auch für Flüchtlinge, die es tatsächlich nach Europa geschafft haben, ist die Grenzsituation noch lange nicht vorbei. Zur Zeit erhalten in Deutschland nur 1,7% der Flüchtlinge Asyl, Tendenz weiterhin sinkend. Während des Asylverfahrens macht die "Residenzpflicht" selbst für seit langem hier lebende Flüchtlinge jede Landkreisgrenze zu einer nur illegal zu überwindenden Mauer. Wem kein Aufenthaltsrecht zugesprochen wird, hat binnen kurzer Frist die EU zu verlassen, andernfalls drohen Abschiebehaft und dann die Abschiebung. Viele Flüchtlinge werden in Lagern, sogenannten Ausreisezentren, konzentriert und psychologisch bearbeitet, damit sie "freiwillig" das Land verlassen.
Die Mauer
muss weg!
Auch die Anti-Lager-Action-Tour hat auf ihrer mehrwöchigen Reise durch Deutschland auf diese und andere diskriminierende Behandlungen von Flüchtlingen aufmerksam gemacht und dagegen protestiert, am 1. September machte sie in Berlin auf dem Alexanderplatz Station. Hunderte von Flüchtlingen und UnterstützerInnen versammelten sich vor der Mauer des InNo, verlangten nach den "Pässen" mit Informationen zum EU-Grenzregime und drängten in das Zelt, um sich die Filme anzusehen. Dann begann die Kundgebung der Anti-Lager-Action-Tour, unmittelbar danach bauten die NomadologInnen ihre Mauer wieder ab. "Hoffentlich werden auch die Schengen-Mauern so schnell fallen wie die Mauer hier auf dem Alex", sagte ein Nomadologe auf der Kundgebung. "Es ist ein Menschenrecht, überall sein Glück zu suchen - nicht nur jenseits der Berliner Mauer."
Angela Martin
Webseiten:
www.berliner-geschichtswerkstatt.de/mauern/
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Kontakt: info@in-no.org