"Das hier ist kein Erholungszentrum"
Hamburger Senat will Frauenhaus schließen - gegen massiven Widerstand. Ein Gespräch
Dass, neoliberaler Glaubenslehre zufolge, allüberall und insbesondere unter der Rubrik "Soziales" gespart werden muss, ist sattsam bekannt. Interessant ist gleichwohl, mit welchen politischen Argumenten welcher sozialpolitische Kahlschlag begründet wird. Der rechtsliberale Hamburger Senat demonstriert exemplarisch, was es heißt, Standort- und Familienideologie zu verknüpfen - im Generalangriff auf Frauenprojekte und Strukturen. Über Hintergründe und Auswirkungen dieser Politik und den Protest dagegen sprach Stefanie Graefe mit Marion Klußmann, Mitarbeiterin im 1. Hamburger Frauenhaus.
ak: Wenn es nach dem Hamburger Senat geht, wird das 1. Hamburger Frauenhaus zum 31. 12. diesen Jahres geschlossen. Die Bewohnerinnen sollen bis Ende diesen Monats (Oktober) das Haus räumen. Wie ist es dazu gekommen?
Marion Klußmann: Wir haben seit mehreren Jahren intensive Verhandlungen mit der Behörde für Soziales und Familie in Hamburg geführt. Dabei ging es der Stadt zum einen darum, Kosten einzudämmen und zum anderen darum, auch inhaltliche Veränderungen vorzunehmen. Höhepunkt war der 13. Mai diesen Jahres, als die Behörde in einem normalen Verhandlungsgespräch dem 1. Frauenhaus in einer fünfminütigen Pause mitteilte, man beabsichtige, die Zuwendungen zum 31. 12. 2004 zu stoppen. Kurz darauf kam es dann schriftlich: Ab 1. 10. dürfen wir keine Frauen mehr aufnehmen, zum 31. 10. soll die letzte Frau ausgezogen sein, damit das verbleibende Personal noch zwei Monate Zeit bis Jahresende hat, das Haus zu räumen. Gegen all dies haben wir natürlich Widerspruch eingelegt und eine einstweilige Verfügung beantragt auf Weiterführung des Betriebes. Im Moment warten wir auf einen Termin vorm Verwaltungsgericht.
Wie begründet die Behörde die Notwendigkeit der Schließung?
Es gibt eine rechnerische und eine inhaltliche Begründung. Die rechnerische nennt sich "Städtevergleich". Das heißt, man vergleicht die Städte München, Berlin und Hamburg im Hinblick auf das Verhältnis von EinwohnerInnen und Frauenhausplätzen. In München gibt es ein Verhältnis von eins zu 16.000, in Berlin von eins zu 11.000 und in Hamburg liegen wir überdurchschnittlich gut mit eins zu 8.000. Fällt das 1. Frauenhaus weg, liegen wir im Schnitt zwischen Berlin und München. Aber: Was sie in Berlin und München nicht mitgezählt haben, ist das Platzangebot, das die Städte vorhalten für Frauen und Kinder in so genannter "zweiter Wohnstufe". Das sind Frauen und Kinder, die nicht mehr den unmittelbaren Schutz im Frauenhaus, wohl aber Unterstützung vom Frauenhaus brauchen. Diese Plätze müssten in einem Vergleich mitgezählt werden, das ist aber nicht passiert. Mit der Begründung Städtevergleich sollen jetzt auch sämtliche Psychologinnenstellen in allen Hamburger Häusern gestrichen werden: In den anderen Städten gäbe es in keinem Frauenhaus fest angestellte Psychologinnen. Auch das ist falsch, denn es gibt nicht nur in anderen Großstädten, sondern mittlerweile in fast jeder Kleinstadt an Frauenhausarbeit angrenzende Beratungsstellen, wo Psychologinnen beschäftigt sind. Die machen Präventivberatung und nachgehende Beratung, aber in diesem "Städtevergleich" werden die nicht mitgezählt.
Die Berliner Frauenhäuser sind aber doch auch von Schließung bedroht?
Ja, auch in Berlin ist die Situation erschreckend. Grad kürzlich bekamen wir einen Aufruf, in dem stand, dass noch mal ein Berliner Frauenhaus 24 Plätze abbauen muss. Berlin hat insgesamt 6 Frauenhäuser, aber mit mehr Plätzen. (1) Hier in Hamburg haben sechs Frauenhäuser insgesamt 207 Plätze, das größte davon ist das 1. Frauenhaus mit 44 Plätzen. Wenn die wegfallen, sind das 20% des Angebots. Das kann von den anderen Häusern nicht aufgefangen werden, weil alle das ganze Jahr über zu 100% belegt sind.
Und die inhaltliche Begründung?
Die sagt, es gibt seit 2002 ein neues Gewaltschutzgesetz und in Hamburg seit November 2003 eine Interventionsstelle. Diese Interventionsstelle berät gewaltbetroffene Frauen, die in ihrer Wohnung bleiben. Jetzt heißt es, mit Einführung des Gewaltschutzgesetzes und dieser Interventionsstelle werden die Frauenhäuser nicht mehr so stark frequentiert werden.
Was vermutlich nicht stimmt.
Was nicht stimmt. Es gibt Vergleichszahlen aus andern Bundesländern und aus Österreich, die das genaue Gegenteil belegen: Mit Einführung des Gewaltschutzgesetzes ist die Nachfrage nach Frauenhausplätzen deutlich gestiegen.
Wie kommt das?
Weil Gewalt gegen Frauen und Kinder mehr Thema wird in der Öffentlichkeit. Frauen, die sich bisher nicht vorstellen konnten, ins Frauenhaus zu gehen, sehen das jetzt eher als Lösungsmöglichkeit; Frauen, die lange in Misshandlungsbeziehungen gelebt haben, begreifen es jetzt möglicherweise eher als ihr Recht, Schutz und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Auf diesen Zusammenhang haben wir der Behörde gegenüber immer wieder hingewiesen. Dann wiederum heißt es - und zwar wörtlich: "Es stehen ausschließlich fiskalische Interessen im Vordergrund."
Auf diese Weise wird ein Gesetz, das zum Schutz von Frauen erkämpft wurde, als Argument für die Schließung von Frauenprojekten eingesetzt - eine perfide politische Strategie...
Allerdings. Denn in der Tat greift dieses Gesetz eine alte Forderung der Frauenhäuser auf: Misshandler aus der Wohnung raus, damit nicht die Frauen und Kinder den Wohnraum verlassen müssen, sondern die Täter. Und genau das fällt uns jetzt auf die Füße, muss als Begründung für die Behauptung herhalten, dass Frauenhausplätze angeblich nicht mehr so notwendig sind.
Das heißt, der - auch rechtliche - Umgang mit den Tätern hat sich mit dem Gewaltschutzgesetz verändert?
Ja. Jetzt gibt es die so genannte "Wegweisung". Das heißt, eine gewaltbetroffene Frau hat die Möglichkeit per einstweiliger Anordnung den Mann erst einmal für zehn Tage aus der Wohnung zu weisen, d.h. er darf sich nicht der Wohnung und auch nicht der Frau und den Kindern nähern. Diese zehn Tage sollen der Frau Zeit geben, sich zu orientieren, Beratung zu holen etc. Gibt der Mann nach zehn Tagen keine Ruhe, kann er noch mal für weitere zehn Tage weg gewiesen werden, so dass die Frau maximal 20 Tage Zeit hat, sich ein eigenständiges, angstfreies Leben aufzubauen, was natürlich sehr knapp ist. Denn es geht dann ja auch darum, kann ich die Wohnung alleine weiter finanzieren, sind meine Kinder sicher in Schule und Kindergarten, kann ich weiter zur Arbeit gehen, bin ich da sicher und wenn nicht, was gibt es für Lösungsmöglichkeiten.
Wird diese Möglichkeit der Wegweisung denn in Anspruch genommen?
Ja. Auch die Angebote der Interventionsstellen werden gut nachgefragt. Die Interventionsstellen arbeiten sehr eng mit der Polizei zusammen. Das heißt: Wenn die Polizei gerufen wird in eine Wohnung wo es häusliche Gewalt gibt, ist ja der erste Weg immer, die Opfer und Täter von einander getrennt zu befragen und zu beraten. Der Frau wird dann dieses Angebot Interventionsstelle nahe gelegt, sie hat die Möglichkeit zuzustimmen, dass die Polizei ihren Namen an die Interventionsstelle weitergibt. Die Interventionsstelle wird dann bei der Frau nachfragen, ob sie Unterstützung braucht. Das nennt sich "pro-aktiver Ansatz". Und das wird in der Tat gut nachgefragt. Aber dieses Angebot wird eben nicht alternativ zum Frauenhaus in Anspruch genommen, sondern das ist eine Gruppe von Frauen, die gar nicht ins Frauenhaus gekommen wäre. Es gibt verschiedene Gruppen von Betroffenen. Man kann die eine Arbeit nicht durch die andere ersetzen.
Für Migrantinnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus ist diese enge Zusammenarbeit von Interventionsstelle und Polizei natürlich ausgesprochen heikel.
Das ist richtig. Es ist aber so, dass mit Einführung dieses Gewaltschutzgesetzes Gewalt gegen Frauen zum Offizialdelikt geworden ist, d.h. es ist nicht mehr "Familienangelegenheit". Die Polizei muss jetzt eben nicht wieder gehen, wenn die Frauen sagt, ach, es war doch gar nichts, sondern sie muss es als Fall betrachten. Das finde ich richtig. Aber es ist natürlich hoch problematisch für Migrantinnen mit ungesichertem oder ohne Aufenthaltsstatus.
Welches sind - neben den "fiskalischen" - die inhaltlichen Eingriffe in die Frauenhausarbeit?
Mit Zugang des Zuwendungsbescheides für 2004 dürfen keine Frauen mehr im Frauenhaus aufgenommen werden, die eine Aufenthaltsgestattung oder -duldung haben. Ein schöner Satz von einem Behördenangestellten diesbezüglich war: "Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht die Leistung Frauenhaus nicht vor". Deshalb dürfen diese Frauen nicht mehr zu uns kommen. Das Asylbewerberleistungsgesetz mag diese Leistung nicht vorsehen, aber die "Leistung Frauenhaus" ist in gar keinem konkreten Gesetz vorgesehen, sondern betrifft die grundlegenden Menschenrechte. Dieser Ausschluss von Frauen, die das Asylbewerberleistungsgesetz betrifft, ist deshalb eine Menschenrechtsverletzung - die darüber hinaus die Grundprinzipien der Frauenhäuser angreift: Schutz und Hilfe zu bieten für jede Frau, die von Gewalt bedroht oder betroffen ist - unabhängig von Aufenthaltstatus oder sozialer Herkunft. Auch da haben wir natürlich Widerspruch eingelegt.
Außerdem besteht die Behörde darauf, so genannte "Pseudonymisierungs-Listen" zu bekommen. Jede Frauenhaus-Bewohnerin soll registriert werden, nach folgender "Verschlüsselung": die ersten zwei Buchstaben vom Vornamen, die ersten zwei Buchstaben vom Nachnamen, das Geburtsdatum, und wenn die Frau Kinder hat, dann noch die Anzahl der Kinder. Dazu sollen wir Referenzlisten führen mit den kompletten Namen der Frauen und in die Behörde schicken. Auch in diesem Punkt liegen wir im Widerspruch. Wir haben ein niedrigschwelliges Angebot, zu uns kommen Frauen, weil sie genau wissen, dass sie anonymen Schutz und Hilfe finden. Kein Name wird jemals durchs Telefon gesagt oder auf irgendwelche Listen geschrieben, die nach außen gehen. Mit uns ist das nicht zu machen.
Auch das gefährdet insbesondere Frauen, die in der Illegalität leben.
Natürlich. Es ist indiskutabel.
Wieso eigentlich ausgerechnet das 1. Frauenhaus?
Weil es das größte in Hamburg ist. Die Behörde hat bewusst in Kauf genommen, dass sie einen Skandal provoziert. Und so einen Skandal leistet man sich nicht so oft. Da macht man lieber einmal einen großen Schnitt. Offiziell heißt es außerdem, es gäbe in unserem Stadtteil zwei Frauenhäuser und zwei Frauenhäuser seien in einem Stadtteil nicht notwendig. Was Nonsens ist. Denn Frauenhäuser haben anonyme Adressen, und es kommen gerade nicht die Frauen aus dem Stadtteil in die Häuser - das wäre viel zu gefährlich. Deshalb ist es unerheblich, ob es zwei in einem Stadtteil gibt.
Man könnte meinen, dieser Angriff auf Frauenprojekte und feministische Regierung sei eine Spezialität des Hamburger CDU/FDP-Senates. Das Beispiel Berlin spricht allerdings dagegen. Trotzdem: Wäre es unter Rot-Grün anders gekommen?
Rot-Grün hätte auch zu drastischen Sparmaßnahmen geführt, aber nicht in dieser Dramatik. Viele SPD-Politiker, mit denen ich gesprochen habe, sagen, wir hätten auch hart gespart, aber uns nicht so auf die Frauenprojekte fokussiert. Die Spezialität der jetzigen Hamburger Sozialsenatorin ist es ja, "die Familie" in den Vordergrund ihrer politischen Bemühungen zu stellen - und den Sparhammer genau da anzusetzen, wo Frauen vor 25 oder 30 Jahren angefangen haben, sich eigene Beratungsstellen, eigene Zentren aufzubauen. Nicht umsonst titelte die Hamburger Morgenpost kürzlich einen Artikel über Senatorin Schnieber-Jastram mit dem Satz "Ich bin keine Feministin". Wenn die Senatorin erklärt, wie sehr ihr die Familie am Herzen liegt, vergisst sie nur immer, dass die Gewalt, von der wir hier sprechen, gerade auch aus "der Familie" kommt. Es ist die Rama-Frühstücksfamilie, an die Frau Schnieber-Jastram glaubt.
Hat sich eigentlich in der Zeit, seit es Frauenhäuser gibt - fast dreißig Jahre - etwas an der Gewalt gegen Frauen verändert?
Ganz deutlich: nein. Weder bei der so genannten "Klientel" (ich benutze das Wort nicht gerne), noch in der Massivität der Gewalt. Ich befürchte eher, dass es mit den weiteren sozialen Einschränkungen zum nächsten Jahr noch drastischer wird. Eine aktuelle Studie der Bundesregierung belegt (3), was wir immer schon sagten: Jede vierte Frau in der Bundesrepublik ist von massiver Gewalt bedroht. Das kannst du also auf der Straße abzählen: eins, zwei, drei, vier, du bist dabei. Gewalt gegen Frauen wird nicht abnehmen, so lange sie immer noch nicht gesellschaftlich geächtet wird, weil Täter meist unbehelligt bleiben von Nachbarin, Chef, Lehrerin oder Kollege, selbst wenn die genau mitkriegen, was läuft. Es ist natürlich richtig, dass es Schutzeinrichtungen gibt für Frauen und Kinder, aber man muss außerdem an die Männer ran. Was nicht unsere Aufgabe ist. Aber gemacht werden muss es.
Der Angriff auf die Frauenprojekte hat ja - nicht nur in Hamburg - eine ganze Reihe von Gegenaktivitäten provoziert . Ist das so eine Art paradoxer positiver Nebeneffekt - eine (Wieder-)Belebung feministischer Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung?
Auf jeden Fall. Das, was wir seit Mai diesen Jahres an Öffentlichkeitsarbeit gemacht haben, das haben wir vielleicht in den vier Jahren davor zusammen genommen gemacht. Und wir haben noch eine Menge Aktionen vor uns. Wir haben Unterschriften mit 23.000 Unterschriften gesammelt, die am 18. Oktober dem Ersten Bürgermeister von Hamburg, Ole von Beust, durch eine Gruppe Prominenter übergeben werden. (2) Vom 13.-15. November wird es eine Mahnwache auf dem Hamburger Rathausplatz geben - mit Übernachtung - um darauf aufmerksam zu machen, was es bedeutet, wenn Frauen nicht wissen, wohin. Und für den 30. Oktober, also den Tag, an dem die letzte Bewohnerin das Haus verlassen haben soll, mobilisieren wir nach Hamburg zu einer bundesweiten Demonstration. (3) Bundesweit passiert auch viel. Alle autonomen Frauenhäuser sind vernetzt und unterstützen sich gegenseitig in den Aktivitäten; natürlich auch über Frauenhäuser hinaus, der Angriff betrifft ja alle möglichen Frauenprojekte, gerade auch hier in Hamburg, aber auch in anderen Städten.
Gibt es darin Momente, die über den reinen Abwehrkampf hinausweisen auf eine Art Re-Politisierung der Frauenbewegung?
Re-Politisierung, also das wäre ja fast ein Traum. Ich weiß es nicht. Wünschen würde ich es mir jedenfalls, denn ich glaube, dass wir uns über die Institutionalisierung unserer Projekte schon sehr eingegraben haben und manchmal auch vergessen haben, dass es rechts und links von unserer Arbeit auch noch was gibt.
In der Tat könnte man sich heute ja fragen, ob das, was passiert ist, nicht auch Reflex einer "historischen Schwäche" der Frauenbewegung ist, die darin bestand, dass sich die Bewegung irgendwann in eine Radikalisierung in Richtung autonome Szenepolitik einerseits und eine Institutionalisierung von Frauenpolitik in Behörden, Universitäten etc. und schließlich in Frauenprojekte "zwischen Staat und Autonomie" aufspaltete. Möglicherweise ist jetzt der Punkt gekommen, einen Schritt hinter diese Trennung zurückzugehen ...
Vielleicht. Aber ich glaube, diese starke Frauenbewegung wie Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre wird es nicht wieder geben. Die nächste oder übernächste Generation von Frauen hat aus meiner Sicht gar nicht den Wunsch, sich als Frauen zu organisieren. Das erlebe ich oft, wenn ich mit Frauen spreche, die vielleicht so Anfang 20 sind. Die profitieren sicherlich von dem, was die Frauenbewegung erkämpft hat, aber es nicht ihr Ziel, sich in ähnlicher Weise zu organisieren. Sie betrachten uns eher als Dinosaurier. Sie haben andere Ziele, individuellere vielleicht - oder wollen sich eben eher "gemischt" organisieren. Und ob "wir" das noch schaffen, "wir", die wir jetzt so Mitte dreißig, 40 oder 50 sind, noch mal aus unserer Institutionalisierung heraus zu gehen und was Starkes zu starten, weiß ich nicht. Was wir gerade tun, geht zwar in so eine Richtung, aber es ist auch unglaublich Kraft zehrend. Aber vielleicht ist es ja tatsächlich ein Neuanfang, und ich kann ihn nur nicht sehen, weil ich so in der Alltagsarbeit stecke. Vielleicht werden wir ja bei den nächsten Demonstrationen ein paar tausend mehr und vielleicht klinken wir uns auch mal in größerer Zahl über unsere Demonstrationen hinaus in die Anti-Hartz-Aktivitäten und Montagsdemonstrationen ein...
Gibt es Anschlüsse in diese Richtung?
Ja, hier in Hamburg sind wir eingebunden in der "Sozialpolitischen Opposition" und arbeiten partiell mit ver.di zusammen. In diesem Zusammenhang haben wir auch schon eine große öffentliche Pressekonferenz zum Thema Spar-Kahlschlag gemacht - Frauenhäuser zusammen mit Schwimmbädern, Drogeneinrichtungen, Volkshochschule, Berufsschulen, Feuerwehr, Filmförderung etc.
In einer Reflexion der Geschichte der Frauenhäuser, veröffentlicht zum 20-jährigen Bestehen der Frauenhäuser (4), wird noch mal deutlich, dass das Verhältnis von Frauenprojekten und staatlicher Finanzierung auch innerhalb der Frauenbewegung durchgängig umkämpftes Thema war; also die Frage, inwieweit lässt man sich auf Kompromisse mit dem Staat ein. Wenn man die Situation heute sieht, könnte man natürlich sagen, jetzt ist im Grunde genau das eingetreten, was man schon vor dreißig oder fünfundzwanzig Jahren befürchtet hat: Die Orientierung auf staatliche Finanzierung führt in die Auslieferung von Bewegungsprojekten dem Staat gegenüber.
Meine Haltung dazu ist: Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches Problem. Deshalb muss - z.B. - auch die Stadt Hamburg dafür bezahlen. Dafür zahlen, dass sie patriarchale Strukturen am Leben erhält oder sogar - nach dem Regierungswechsel - noch verstärkt. Dafür muss der Staat aufkommen.
Ob das für uns vor dreißig Jahren der richtige Weg war, weiß ich nicht. In Bezug auf den Streit, den du ansprichst, kann ich beide Seiten verstehen. Ich kann verstehen, dass Frauen gesagt haben, diese Arbeiten muss bezahlt werden, das ist qualitativ hochwertige Arbeit, deshalb muss sie auch bezahlt werden. Das hat auch was mit Akzeptanz zu tun. Denn das ist nun mal so, dass sich gesellschaftliche Akzeptanz im Kapitalismus auch in Entlohnung niederschlägt. Aber ich kann auch die andere Seite verstehen, die sagt, sobald du anfängst, staatliche Gelder zu nehmen, verkaufst du dich auch. Du verkaufst dich und du kannst nicht sagen, wir nehmen das Geld und wir entscheiden selber, wie wir's ausgeben.
Wir müssen über jeden Cent, den wir ausgeben, Rechenschaft ablegen. Das ist auch in Ordnung. Aber jetzt hat es eine neue Dimension bekommen. Jetzt versucht die Behörde zu bestimmen, welche Frauen kommen, wie lange sie bleiben. Nach dem Motto, strengen Sie sich mal ein bisschen an, das ist hier kein Erholungszentrum. Und: Wir geben euch Geld, aber nur noch zu unseren Bedingungen. Das ist der Kampf, den wir gerade führen: Wir wollen das Geld, aber zu unseren Bedingungen.
Gibt es so was wie einen Plan B? Es sieht ja nicht so aus, als würde das politische Rad absehbar in eine ganz andere Richtung gedreht...
Das bin ich in letzter Zeit schon öfter gefragt worden. Ob wir denn bereit sind, das Haus zu besetzen zum Beispiel. Das ist nicht so einfach. Wir könnten natürlich das Haus besetzen. Besetzung gibt uns aber kein wirkliches Druckmittel an die Hand, weil Mieterinnen des Hauses sind wir selbst, nicht die Behörde. D.h. potenzielle Mietschulden müssen wir selbst tragen, die Behörde ist raus aus der Verantwortung. Vor allem aber: Wir können das Haus nicht mit Bewohnerinnen besetzen. Denn ab dem Moment, wo wir besetzen, müssen wir auch an die Öffentlichkeit gehen. Damit verlieren wir die Schutzadresse. Das heißt, wir könnten in diesem Haus nie wieder ein Frauenhaus machen. Das ist schon recht kompliziert, zu diesem Thema sich so etwas wie eine öffentliche Besetzung zu überlegen. Kurz: Es gibt keinen wirklichen Plan B. Unsere ganze Energie zielt aber sowieso darauf ab, dass es dieses Projekt weiter gibt. Das ist auch das, was uns arbeitsfähig erhält: Wir gehen davon aus, dass wir diesen Kampf gewinnen. Das geht in Wellen, auf und ab, es gibt natürlich immer wieder Tiefs und Frustrationen. Aber es gibt immer auch eine, die sagt, wir schaffen das.
Vielen Dank für das Gespräch.
Anmerkungen:
1) In Berlin gibt es z.Zt. 6 Frauenhäuser mit insgesamt 326 Plätzen, dazu noch 40 "Zufluchtswohnungen" mit 266 Plätzen.
2) Am 18. Oktober tagt der Hamburger Sozialausschuss mit Expertenanhörung zum Thema Frauenhaus-Schließung. Die Anhörung ist öffentlich und freut sich über Publikum: Herrengraben 4, 2045 Hamburg, 17.00.
3) s. den Demoaufruf auf S. 5.
4) s. den folgenden Artikel.