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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 488 / 15.10.2004

Wenn Wahltag Zahltag ist

... kommt - zumindest unter den speziellen sächsischen Bedingungen - die NPD ins Parlament

Nach der Landtagswahl in Sachsen war allerorts davon die Rede, das Abschneiden der NPD sei eine "Quittung für Hartz IV", also lediglich Ergebnis einer "Protestwahl". Allerdings kommt der politische Rechtsruck in Sachsen alles andere als überraschend. Der NPD-Wahlerfolg ist eine Folge der soziokulturellen Verankerung rechtsextremer Szenen in diversen sächsischen Regionen; kein Denkzettel frustrierter WählerInnen.

Der Katzenjammer ist groß, seit klar ist, in welcher Dimension der Wahlerfolg der NPD in Sachsen ausfiel und welche Folgen das konkret hat. Beispielsweise ziehen die zwölf gewonnenen Landtagsmandate für die NPD ca. 30 Stellen für rechtsextreme GesinnungsgenossInnen in den Abgeordnetenbüros und der Landtagsfraktion nach sich. Oder: Nach der Konstitution des neuen Landtages werden die gewählten rechtsextremen StrippenzieherInnen nun auch Immunität vor Strafverfolgung genießen. Und alleine die Wahlkostenrückerstattung für die Landtagswahl wird der sächsischen NPD 160.000 Euro in die Kassen spülen. Damit erhielt die NPD in den vergangenen vier Jahren bundesweit 1,5 Mio. Euro an Steuergeldern für ihre stetig wachsenden Wahlerfolge. Geld, das in eine verbesserte Organisationsstruktur, eine breitere Verankerung und den Aufbau vergleichbarer Strukturen in anderen Bundesländern fließen wird. Zu erwarten ist, dass davon als nächstes die NPD in Mecklenburg-Vorpommern profitieren wird, ist hier doch die Ausgangslage ähnlich wie in Sachsen. (vgl. ak 486) Das "Aufbauprogramm" in den neuen Bundesländern geht in die nächste Phase.

Nach 15 Jahren geht die Saat auf

Das alles spielt in den Analysen der etablierten Politik keine Rolle. Statt dessen haben einfache und entlastende Erklärungsversuche Konjunktur: Die populistische Stimmungsmache der NPD mit dem Thema Sozialabbau und Hartz IV sei Grund für den Erfolg, heißt es unisono. In dieser Situation habe die NPD die enttäuschten Erwartungen vieler Ostdeutscher über das deutsch-deutsche Zusammenwachsen, die ausbleibenden blühenden Landschaften und den geringeren ökonomisch-sozialen Wohlstand im Osten bündeln und für sich nutzen können. Nun müsse man sich verstärkt mit diesen ProtestwählerInnen auseinander setzen und sie mit Argumenten zurückgewinnen. Ansonsten fällt den PolitikerInnen der demokratischen Parteien nur symbolischer Aktionismus ein, wie etwa dem sächsischen (noch) Innenminister Horst Rasch (CDU), der nun die Mittel für die polizeiliche Präventionsarbeit verdoppeln will und dabei verschweigt, dass diese Mittel schon vor der Landtagswahl bereitstanden.

Katzenjammer und Hilflosigkeit

Ansonsten herrscht Hilflosigkeit - und zwar bei allen demokratischen Parteien im Landtag, der jetzt mit sechs Fraktionen sehr bunt geworden ist. Symptomatisch ihr Verhalten am Wahlabend während der Live-Wahlberichterstattung: Da verlassen die SpitzenkandidatInnen nach den ersten rechtsextremen Ausfällen des NPD-Spitzenkandidaten Holger Apfel das Studio; warum sie das taten, erklären sie aber den ZuschauerInnen vor den Fernsehgeräten nicht. Andere PolitikerInnen hingegen wollen nun die NPD durch Sacharbeit bzw. -argumente "entzaubern", als hätte der braune Schmodder jemals Zauber besessen. Irgendwie scheinen die parteipolitischen Akteure einfach froh darüber zu sein, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Die SPD freut sich über die Aussicht auf Regierungsbeteiligung, die FDP und die Grünen freuen sich über den Einzug ins Parlament. Und die CDU ist erleichtert, dass der NPD-Wahlerfolg nicht noch höher ausfiel. Kein Wunder: Der CDU war, so berichten InsiderInnen, in einer internen Umfrage drei Wochen vor der Wahl sogar ein Wahlergebnis von 14% für die NPD prognostiziert worden. Diese Umfrage behielt man dann doch lieber für sich. Nicht auszudenken, wenn das die Presse erfahren hätte ...

Auch wenn man bei der Interpretation der NPD-Ergebnisse der diesjährigen Landtagswahl im Blick behalten muss, dass es bei den Landtagswahlen 1999 noch keine Absprache zwischen den Gruppierungen des rechten Spektrums gegeben hat, so kann trotzdem keine Entwarnung gegeben werden. Damals erzielte die extreme Rechte insgesamt 2,9%, verteilt auf NPD (1,4%) und Republikaner (1,5%). Zählt man aber auch die Pro DM-Partei von Bolko Hoffman mit zu diesen von rechtsextremen Wertvorstellungen geprägten Gruppen, kam man auch schon damals auf 5% in Sachsen.

Erweitert man dann auch noch den Blick auf das rechtsextreme subkulturelle Milieu aus Musikszene, Skinheadgruppen, Heimatvereinen, neuheidnischen Gruppierungen und Kameradschaften, so wird offenkundig, wie falsch das Bild ist, man habe es bei der Mehrheit der NPD-WählerInnen mit frustrierten Sachsen zu tun, die den etablierten Parteien nur einen Denkzettel geben wollten. Vielmehr fußt der NPD-Wahlerfolg auf einer strukturellen Verankerung rechtsextremer Milieus in Sachsen in für die BRD bislang unbekanntem Ausmaß. Dabei ist diese soziokulturelle Verankerung rechtsextremer Milieus eine Folge des langjährigen Einsickerns rechtsextremer Ideologie über einen Mix aus subkulturellen Codes wie Musik und Lifestyle sowie klassischer Bildungs- und Schulungsveranstaltungen. Rechtsextreme Szenen schaffen Gemeinschaftserlebnisse für Jung und Alt: Über Brauchtumspflege, nordische Mythen und "nationale Jugendarbeit" werden potenzielle SympathisantInnen angesprochen. Rechtsextreme Wertvorstellungen sind so "zunehmend Bestandteil des täglichen Lebens" in sächsischen Regionen geworden. (1) Kameradschaften werden als akzeptierte gesellschaftliche Akteure wahrgenommen, dürfen beispielsweise den Maibaum aufstellen oder als Ordner für Volks- und Schützenfeste fungieren. Ortsansässige Mittelständler mit offen rechtsextremen Wertvorstellungen, wie der Klempnermeister Michael Jacobi in Reinhardtsdorf-Schöna oder der Fahrschullehrer Uwe Leichsenring in Königstein, sind gesellschaftlich integriert und wählbar. Auch das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren trägt seinen Teil dazu bei. Da die wahren Gründe des Scheiterns des Verbotsverfahrens in der Öffentlichkeit und den Medien kaum reflektiert wurden, wird es von vielen BürgerInnen als "Demokratie-Gütesiegel" missinterpretiert. Oft trifft man die Argumentation an: "Da die nicht verboten ist, muss die NPD also eine demokratische Partei sein."

Schon bei den sächsischen Kommunalwahlen im Juni 2004 erreichte die NPD in ihren Hochburgen durchschnittlich 8,5% der Stimmen. (vgl. ak 486) Dies war nur möglich, weil die langjährige intensive Aufbauarbeit westdeutscher Kader vor dem Hintergrund einer nationalistisch-völkischen Stimmungslage bei einem Großteil der ostdeutschen Bevölkerung tragfähige Strukturen und funktionierende Vorfeldarbeit in Sachsen geschaffen hat. Diese soziokulturelle Basisarbeit unterscheidet die NPD diametral von der DVU oder den Republikanern. Hier wird nicht aus München ferngelenkt. Hier sind keine Abgeordneten zu erwarten, die der freien Sprache nicht mächtig sind und ihre Fraktion nach nur einem halben Jahr in Schutt und Asche legen, wie etwa 1998 in Sachsen-Anhalt bei der DVU nach ihrem Einzug ins Landesparlament. NPD-Arbeit heißt auch soziokulturelle Vorfeldarbeit, bedeutet enge Kontakte zur Szene der freien Kameradschaften und Skinheadgruppen. Dabei gedeiht rechtsextremes Milieu dort besonders gut, wo öffentliche Angebote für Jugendliche unterrepräsentiert sind und kommunale VerantwortungsträgerInnen kein Problembewusstsein entwickeln und die extreme Rechte walten lassen.

Es braucht Angebote auf allen Ebenen

Zu den rechtsextremen Hochburgen zählen nicht erst seit diesem Jahr die Sächsische Schweiz, Ostsachsen, der Muldentalkreis, Riesa-Großenhain, Annaberg und das Mittlere Erzgebirge. Bereits im Ergebnis der Kommunalwahlen 1999 waren die heutigen NPD-Hochburgen, wenn auch auf kleinem Ergebnisniveau, zu erkennen. Mit ihren überdurchschnittlichen Wahlergebnissen stachen die Gemeinden Königstein (1999: 11,8%, 2004: 21,1%), Sebnitz (1999: 6,5%, 2004: 13,2%) sowie Trebsen (1999: 6,6%, 2004: 11,7%) und Wurzen (1999: 5,1%, 2004: 11,8%) schon damals hervor und wurden überregional bekannt. Aber auch die Wahlergebnisse von Riesa (1999: 3,1%, 2004: 8,8%) und Annaberg-Buchholz (1999: 2,3%, 2004: 9,0%) gaben schon damals Anlass zur Sorge. (2) Auch der Vergleich der Landtagswahlergebnisse in ausgewählten Wahlbezirken zwischen 1999 und 2004 zeigt das schon 1999 vorhandene überdurchschnittliche Wählerpotenzial für die NPD in einzelnen sächsischen Regionen. (vgl. Tabelle) In Sachsen geht heute die Saat auf, die die einen seit 15 Jahren pflegen und die anderen seit Jahren ignorieren.

Die Protestwahl-These greift eindeutig zu kurz, da sie die Entstehung stabiler StammwählerInnen-Milieus in einigen Regionen Sachsens verleugnet. Sie kann nicht erklären, warum die NPD ihr Potenzial gerade in ihren Hochburgen mehr als verdoppelt hat. In dieser falschen Perspektive erscheinen alleine die aktuellen oder drohenden Wahlentscheidungen für rechtsradikale Parteien als Problem, nicht aber die Einstellungen und Gesinnungen, die hinter dieser Wahlentscheidung stehen.

Will man Einstellungsveränderungen erreichen und den Einfluss der NPD zurückdrängen, braucht es Angebote auf allen Ebenen: überregional, regional, lokal. Das sächsische Schulsystem braucht frischen Wind: Lehrer benötigen Fortbildungsangebote für Schülerbeteiligung und Demokratieentwicklung im Schulalltag. Sie brauchen Information über rechtsextreme Erscheinungsformen und die Gelegenheit, sich konkret damit auseinander zu setzen. Kommunen und lokale Initiativen benötigen konkrete Beratungsangebote, wie sie die Mobilen Beratungsteams und Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt bieten, die seit drei Jahren in Ostdeutschland arbeiten - in Sachsen allerdings ohne Kofinanzierung durch das Land. Lokale Initiativen gegen Rechtsextremismus und jugendkulturelle Angebote für nichtrechte Jugendliche müssen gefördert und anerkannt werden. Beispiele zeigen, dass rechtsextreme Aktivitäten in Sachsen zurückgedrängt werden können, wenn der extremen Rechten die logistische Basis entzogen wird. Die Schließung des Jugendhauses des Nationalen Jugendblocks in Zittau, der Neuaufbau der Jugendarbeit in Bernsdorf oder der Aufbau Mobiler Jugendarbeit im Weißeritzkreis und im Landkreis Sächsische Schweiz machen deutlich, dass rechtsextreme Dominanzverhältnisse aufgebrochen werden können.

Das alles erfordert aber den politischen Willen der Entscheidungsträger in den Kommunen, im Land und im Bund - aber auch eine Vorbildwirkung im Parlament. Die platte Totalitarismustheorie, wie sie von Seiten mancher Konservativer geäußert wird, nach der Links- und Rechtsextremismus gleichermaßen gefährlich und zu bekämpfen wären, verklebt die Augen vor der sächsischen Realität. Wer heute noch, wie drei Tage vor der Wahl der sächsische CDU-Generalsekretär Winkler, vor "rot-grün-braunem Chaos" warnt oder die PDS mit der NPD gleichsetzt, verharmlost weiter den braunen Ungeist. Was Not täte, wäre, dass die demokratischen Parteien klar Position gegen Rechts beziehen. Das allerdings würde bei der noch immer tonangebenden CDU in Sachsen eine strategische Veränderung erfordern.

Friedemann Bringt, Dresden

Anmerkungen:

1) Bericht der 1. sächsischen Präventionstagung staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, vgl. www.weiterdenken.de

2) Quelle: www.statistik.sachsen.de