Spielball zwischen den Blöcken
Die USA, die EU und die "demokratische Revolution" in der Ukraine
Die Bewertung der Kiewer "Revolution" durch die Mehrheit der PolitikerInnen der USA und der EU sowie der Mainstream-Medien folgt dem bekannten Muster: Schon nach den Ereignissen von Beslan forderte eine Gruppe "internationaler Persönlichkeiten" auf Initiative US-amerikanischer Konservativer in einem "Offenen Brief" an die NATO und die EU eine Korrektur der bisherigen kooperativen Russlandpolitik.
Tatsächlich wurde bei den Wahlen in der Ukraine manipuliert, allerdings von beiden Seiten. WahlbeobachterInnen berichten nicht nur über Verstöße aus dem Lager von Janukowitsch, sondern auch über "signifikante Manipulation" durch Juschtschenko-Anhänger im Westen der Ukraine. Hierüber findet sich im Eurasischen Magazin ein höchst aufschlussreiches Interview mit dem britischen Journalisten John Laughland, Mitglied der "British Helsinki Human Rights Group", der zur Wahlbeobachtung vor Ort war. Im veröffentlichen Mainstream erscheinen dagegen nur Berichte über Verfehlungen im Janukowitsch-Lager - und über Putins Einmischungen.
Putin hat sich in der Tat eingemischt, Russland hat Interesse an einer autoritären Stabilisierung der Ukraine und bringt dieses Interesse auch deutlich zum Ausdruck. Damit wird jene Entwicklung zumindest behindert, die gemeinhin als Demokratisierung bezeichnet wird. Aber was sind die Putin-Auftritte in Kiew gegen die von Bush Senior, Madeleine Albright und Zbigniew Brzezinski, die Kiew im Verlauf dieses Jahres besucht haben? Was sind sie gegen die 600 westlichen Berater, die in den Stäben Juschtschenkos gearbeitet haben, was gegen die 105 Millionen Dollar, die Juschtschenko nach offiziellen Angaben aus Washington als Wahlhilfe erhielt, ganz zu schweigen von den Geldern, die inoffiziell über den Geldmagnaten Soros oder über die zahllosen NGOs an die Opposition flossen? Ohne diese Millionen wären die Kundgebungen, die Laser-Light-Shows, die gewaltigen Bühnenaufbauten, die riesigen Videoleinwände, das Rockkonzert undenkbar gewesen.
Was ist das für eine Demokratisierung, die die Ukraine seit dem Ende der Sowjetunion Schritt für Schritt systematisch an die NATO und an Europa bindet, sie aber zugleich von einer Mitgliedschaft in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ausschließt? Faktisch wurde die Ukraine zum Armenhaus, zum Frontstaat, zum Aufmarschgebiet zwischen Russland und der "einzig verbliebenen Weltmacht" USA, die seit dem Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan systematisch daran arbeiten, Russland auf einen Kernbestand zu reduzieren, um die "Filetstücke" - Öl, Gas und die sonstigen Ressourcen Eurasiens - neu zu verteilen. Wer es nicht glaubt, lese Zbigniew Brzezinskis "Einzige Weltmacht" und vergleichbare Äußerungen von konservativen US-Strategen, die gerade die Abspaltung der Ukraine aus dem ehemaligen russischen Verband als besonders dringlich bezeichnen. "Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr", schrieb Brzezinski. Die EU-Strategen, weniger offen, aber nicht weniger begehrlich, sprechen verschämt von der "strategischen Ellipse", die Objekt einer gezielten europäischen Sicherheitspolitik sein müsse. Diese "Ellipse" zieht sich von Saudi-Arabien über den Iran, Afghanistan, die kaspische Region, den Kaukasus bis nach Nord-Russland. Die Ukraine ist Teil davon - und ein besonders wichtiger, wie aus den neuesten Veröffentlichungen der regierungsnahen Zeitschrift Osteuropa hervor geht, die kürzlich unter dem Titel "Europa unter Spannung - Energiepolitik zwischen Ost und West" erschienen sind.
Welche Politik daraus für die "einzige Weltmacht" folgt, ist in Brzezinskis Buch an vielen Stellen nachzulesen. Dort wird der Ukraine die Rolle eines "geostrategischen Dreh- und Angelpunktes" auf dem "eurasischen Schachbrett" zugewiesen. Was daraus für die Ukraine folgt, ist gegenwärtig zu beobachten: Spaltung des Landes und Eingriffe von außen, die die Ukraine zum Frontstaat zwischen Russland und dem Westen degradieren.
Ins Niemandsland zwischen NATO, EU und Russland gedrückt, ist die Ukraine zum politischen Spielball zwischen den Blöcken geworden. Der Ausgang der jetzigen Wahlen, wie sehr im Detail auch manipuliert worden sein mag, ist dabei nicht in erster Linie Ergebnis von äußeren Eingriffen, seien es russische oder westliche. Das faktische Unentschieden ist authentischer Ausdruck der Situation: Die Ukraine ist ein gespaltenes Land, das zur Zeit nicht weiß, ob seine Zukunft in einer Wirtschaftsunion mit Russland liegt, die 2004 mit Aussicht auf eine Zollunion unter Einschluss von Kasachstan, Weißrussland und Moldawien gebildet wurde; oder ob sie eine Mitgliedschaft in der EU anstreben soll, die jedoch in unerreichbarer Ferne liegt.
Noch in seinem Lob für die "demokratische Revolution" erklärte EU-Vertreter Solana, eine Mitgliedschaft der Ukraine in der EU komme auf lange Sicht nicht in Frage. Offensichtlich ist die Munitionierung der Ukraine als Bollwerk gegen Russland auch für die EU wichtiger als deren Stabilität, so dass man auch eine drohende Spaltung in Kauf zu nehmen bereit ist, wenn sie nur Russland schwächt.
Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de
Das neue Buch von Kai Ehlers trägt den Titel: Erotik des Informellen. Impulse für eine andere Globalisierung aus der russischen Welt jenseits des Kapitalismus. Von der Not der Selbstversorgung zur Tugend der Selbstorganisation. Alternativen für eine andere Welt. edition8, Zürich 2004, 192 Seiten, 16,80 EUR