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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 491 / 21.1.2005

Tourismus als Ideologie

Ein Katalog widmet sich der Standardisierung von Tourismus-Erfahrungen

Im Sommer 2004 wurde der Stadtteil Poble Nou in Barcelona - traditionelles Arbeiterquartier mit Zugang zum Meer - von einem seltsamen Phänomen heimgesucht. Ein so genanntes Forum der Kulturen entstand dort nach Willen der Katalonischen Regierung. 2000 Millionen Euro wendete die Stadt für das Forum auf, wobei 1740 Millionen Euro für die Herstellung einer Infrastruktur (Hotels, Luxuswohnungen, Bürohochhäuser) bereitgestellt wurden. Man vertrieb Teile der eingesessenen Bevölkerung durch den Abriss von Mietwohnungen und räumte zwei Sinti-Camps.

Während der Planungs- und Bauphase erhoben zahlreiche Organisationen Einspruch, u.a. das Europäische Sozialforum, Greenpeace, lokale Stadtteilorganisationen, die Koordinierungsstelle der NGOs von Katalonien, amnesty international und der Katalonische Künstlerverband. Insbesondere die Vereinnahmung von Begriffen und Emblemen der Globalisierungskritik und Friedensbewegung stieß diesen Gruppen auf, aber auch der Einbezug multi-nationaler Konzerne, deren Politik in diametralen Gegensatz zum Untertitel des Forums - "Für Vielfalt, Frieden und Umweltpolitik" - stände. So zählten mit Coca Cola, El Corte Ingles, Telefonica, Agbar und Nestlé Firmen zu den Geldgebern, die für ihre ausbeuterische Unternehmenspolitik oder ihre Rüstungsimporte bekannt sind. Nach Abschluss des Forums siedeln sich diese Global Players nun in Poble Nou an.

Doch ist allein jene offenkundige Vereinnahmung politischer Widerstandsformen kritikwürdig und interessant? Um zu neuen Fragen und anderen Antworten zu kommen, hatten im Frühsommer 2004 kulturpolitische AkteurInnen aus Barcelona und anderenorts die Ausstellungsreihe "Tour-isms. The Defeat of Dissent" konzipiert, deren Ergebnisse nun als Katalog der Antoni Tàpies Foundació auf Spanisch/Katalan sowie auf Englisch vorliegen. Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung sind dabei jene Phänomene, die durch den Tour-ismus hervorgebracht werden, dessen hervorgehobenes Suffix "-ismus" ihn als ein Glaubenssystem, eine Ideologie, eine geistige Strömung kennzeichnet (vgl. www.wikipedia.de). Wird der Tourismus als ein strukturierendes Moment der eigenen Identität und Weltsicht, des Gemeinwesens und der Stadtentwicklung angesehen, wird seine Bedeutung offenkundig. Tour-ismus ist eine Form der Mobilität, deren produzierte und produzierende Effekte weit reichende Folgen für Reisende und Vor-Ort-Seiende haben, wie die AutorInnen nicht müde werden zu betonen. Davon ist niemand ausgenommen, auch diejenigen nicht, die vorgeblich nichts mit der "Tourismusbranche" zu tun haben. Denn jene Welt, die dem Tourismus zugänglich gemacht wird, ist nicht ohne Kontext, sondern wirkt sich unmittelbar auf jene aus, die in ihm leben.

Mobilität als Faktor sozialer Unterscheidung

Tour-ismus ist somit eine Form der Landnahme, die soziale Verhältnisse und Räume ebenso ausdrückt wie schafft - auf lokaler wie auf globaler Ebene. Denn während die einen als BesucherInnen umworben werden, sind andere von jeder Form des Tour-ismus ausgeschlossen, sei es weil sie die Visumsauflagen nicht erfüllen können oder das benötigte Kapital nicht haben. "Der Zugang zu umfassender Mobilität ist ein äußerst wichtiger Faktor sozialer Unterscheidung in unserer post-modernen Gesellschaft. Das Begehren in Bewegung zu sein, das Recht auf Konsum mögen global sein, doch nur sehr wenige kommen als KonsumentInnen in ihren Genuss", schreibt die Mitherausgeberin Nuria Enguita Mayo (S. 25, Übers. D.W.). Das heißt jedoch nicht, dass Marginalisierte keine Teilhabe an den Kartografien grenzüberschreitender Bewegungen hätten. Wie Ursula Biemann entlang der Kommentierung ihres Videos "Remote Sensing: The Visual Geography of Gender" ausführt, sind in Sextourismus, Heiratsmigration und Frauenhandel involvierte Frauen (und in geringerem Maße Männer) zwar einerseits zu einem außergewöhnlichen Grad kommerzielle Objekte geworden. Gleichzeitig entwickelten diese Frauen innovative Überlebens-Geografien, die als subversiv interpretiert werden könnten. So ist für viele in der Sexbranche arbeitende Frauen aus ost-asiatischen Ländern der Zugang zum Globalen Norden über ihre Freier möglich gewesen. Für Biemann ist es entscheidend, die subjektiven Selbstdarstellungen und Ambivalenzen im Leben dieser Frauen zur Darstellung zu bringen, Gegenbilder und Gegen-Kartografien zu entwickeln, "die Frauen innerhalb und außerhalb der so genannten Globalen Ökonomie entwickelt haben" (S. 283).

Hier zeigt sich auch, welchen großen Einfluss die Imagevermarktung auf soziale Verhältnisse hat, wie viele der AutorInnen hervorheben. Während die Geschichte des Tour-ismus beeinflusst, welche sozialen AkteurInnen zu touristischen BetrachterInnen werden und wer betrachtet wird, standardisiert sie im Verbund mit der Vermarktung mögliche Erfahrungen. Roland Barthes hat in "Der Eiffelturm" (1970) darauf hingewiesen, dass die Weltausstellung in Paris 1878 mit ihren magischen Laternen und Panoramabildern anderer Länder nicht nur den kolonialisierenden Gestus des touristischen Blicks offenbart. Vielmehr zeugt das Wahrzeichen der Weltausstellung, der Eiffelturm, von der Ablösung des Naturerlebnisses durch die Großstadt, die für die den Überblick bewahrenden TouristInnen zu einem "landschaftlichen" Spektakel wird.

Landschaftliche Spektakel

In Barcelona werden die ausgetretenen Wege der "Stadtbetrachtung" einerseits durch eine beispiellose Hinwendung zum Meer hervorgerufen, die keineswegs unumgänglich ist und vor allem "die komplexe und konfliktreiche Erinnerung an die Industrialisierung und die ArbeiterInnenklasse in den Hintergrund treten lässt. Diese Erinnerung hat Orte, die heutzutage spurlos verschwunden sind, Orte, die genau dort sind, wo sich die gesäuberten Strände der Stadt befinden", wie Mari Paz Balibrea mit Blick auf Poble Nou ausführt (S. 44). Andererseits sind es die prägenden Bilder des Marketing, die das in Besitz nehmen und vorfinden lassen, was sich den TouristInnen erschließen soll. Die Stadt wird so zu einem Themenpark, in dem Kultur zu einer neuen Größe wird, die dem Konsum preisgegeben wird.

Die Beiträge des Katalogs zeigen auf unterschiedliche Weise auf, welche Wege der derzeitige Tour-ismus beschreitet, ohne dabei zu vergessen, neue Routen aus der Misere aufzuzeigen. Ob wir wollen oder nicht: Das Reisen wird Teil des Lebens bleiben.

Doro Wiese

Nuria Enguita Mayo, Jorge Luis Marzo, Montse Romani (Hg.): Tour-isms: The Defeat of Dissent. Barcelona: Foundació Antoni Tàpies, 2004, 346 Seiten.