Online-Demo vor Gericht
Ziviler elektronischer Widerstand oder Computersabotage?
Am 20. Juni 2001 brach die Webseite www.lufthansa.com unter einem nie da gewesenen Besucheransturm zusammen. Um gegen die Abschiebungen mit Lufthansa-Maschinen zu protestieren, hatten tausende Internet-NutzerInnen während der Aktionärsversammlung des Konzerns zeitgleich die Seiten aufgerufen. Ob es sich bei der ersten großen Online-Demonstration in Deutschland um eine Modernisierung des Demonstrationsrechts handelte oder um eine Straftat, wird nun - dreieinhalb Jahre später - vor dem Amtsgericht Frankfurt/Main verhandelt: Die Staatsanwaltschaft wirft dem Domain-Inhaber von www.libertad.de "Nötigung" und "Aufruf zu Straftaten" vor. Die Initiative Libertad! hatte u.a. mit kein mensch ist illegal und Kanak Attak zu der Demonstration aufgerufen.
Über 13.000 Personen beteiligten sich laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft am 20. Juni 2001 an der Demonstration. Manchen TeilnehmerInnen sei es gelungen, die Seiten der Lufthansa innerhalb von zwei Stunden bis zu 25.000 Mal aufzurufen. Die OrganisatorInnen hatten eine Online-Protest-Software programmiert, mit deren Hilfe die DemonstrantInnen automatisiert Fluganfragen an die Datenbanken der Buchungsserver stellen konnten. (vgl. ak 450) Die Lufthansa AG, die sich bei der Aktionärsversammlung im Zeichen des Internet-Booms als "Netzkonzern" präsentieren wollte, scheute keine Mühe, um ihre Homepage erreichbar zu halten. Zusätzliche Serverkapazitäten waren angemietet worden; bei Überlastung schalteten die Techniker kurzfristig zwischen verschiedenen Breitbandnetzen hin und her. Vom Deutschen Forschungs-Netz, an das der Großteil der Hochschulen angeschlossen ist, war der Zugriff auf die Lufthansa-Homepage pauschal gesperrt worden. Vielerorts waren unter lufthansa.com trotzdem nur leere Bildschirme zu sehen: "Die Antwortzeiten für bei der Lufthansa anfragende Interessenten und Kunden in dem genannten Zeitraum (lagen) zeitweise zwischen drei bis zehn Minuten, was zu einem deutlichen Buchungsrückgang und damit verbundenen Einnahmeausfall bei der Gesellschaft führte", so resümiert die Anklageschrift die Wirksamkeit der Demonstration.
Versammlungsort: www.lufthansa.com
Schon im Vorfeld war es zu Kontroversen über die Legalität der neuen Protestform gekommen: "Die Bundesregierung spricht einer solchen Demonstration im virtuellen Raum ihre Rechtmäßigkeit ab", erklärte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums, denn: "Die im Artikel 8 Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit ist nur auf die physische Anwesenheit im realen öffentlichen, und nicht im virtuellen Raum zu beziehen." Das Ministerium riet der Lufthansa AG zur Anzeige und wies darauf hin, dass Datenveränderung als Computersabotage mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet würde. Die OrganisatorInnen indes pochten auf ihr Recht und argumentierten, das Netz sei ein öffentlicher Raum wie das Straßenland: "Wenn man im Internet schmutzige Geschäfte machen kann, kann man da auch demonstrieren." Um die Legalität zu unterstreichen, hatten die OrganisatorInnen vorab garantiert, dass keine Daten zerstört werden und jeder Demonstrationsteilnehmer durch seine IP-Adresse erkennbar sein werde. Die Demo war öffentlich angekündigt und beim Ordnungsamt Köln per Email angemeldet worden ("Versammlungsort: www.lufthansa.com"). Von den Strafandrohungen zeigten sich die OrganisatorInnen unbeeindruckt. Sie wiesen darauf hin, dass das Demonstrationsrecht "auch historisch gegen den Widerstand der Mächtigen durchgesetzt wurde".
Vier Monate nach der Demonstration zeigte sich, dass dies noch notwendig sein wird. Im Oktober 2001 brachen BeamtInnen der politischen Polizei die Tür des Frankfurter Dritte-Welt-Haus auf. In dem dort befindlichen Libertad!-Büro sowie in der Wohngemeinschaft des Inhabers von libertad.de beschlagnahmten die BeamtInnen insgesamt zehn Computer sowie CD-ROMs und Festplatten. (vgl. ak 455) Durch die Hausdurchsuchungen wurde die Initiative, die sich gegen staatliche Repression und für die Freiheit politischer Gefangener einsetzt, kurzfristig arbeitsunfähig. Seitdem befinden sich die Computer im Besitz der Frankfurter Polizei, die keine Bereitschaft erkennen lässt, die Rechner zurückzugeben. Vielmehr unterbreitete die Staatsanwaltschaft Libertad! ein Angebot, das Verfahren einzustellen; allerdings gegen ein Schuldeingeständnis, den Verzicht auf Schadensersatz und den Verzicht auf Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände. Die Initiative lehnte das Geschäft ab, darauf hin wurde im Januar 2005 Anklage erhoben.
Jetzt geht die Auseinandersetzung in eine neue Runde. Dreieinhalb Jahre hat Oberstaatsanwalt Jörg Claude benötigt, um eine fünfseitige Anklageschrift wegen der Online-Demonstration vorzulegen. Darin wird die Auffassung vertreten, Libertad! habe "durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat - Nötigung gemäß §240 StGB - aufgefordert". Konkret wird dem Domain-Inhaber von libertad.de vorgeworfen, Texte und Aufrufe zur Online-Demo auf der Webseite der Initiative publiziert zu haben. Das Strafmaß bewegt sich bei Aufruf zu Straftaten, in diesem Falle Nötigung der Lufthansa, zwischen Geldstrafe und drei Jahren Haft. Als ZeugInnen will die Staatsanwaltschaft neben BeamtInnen des Bundeskriminalamts und des Frankfurter Staatsschutzes auch die Lufthansa-Pressesprecherin Bettina Adenauer aufbieten. Sie wird Rede und Antwort stehen müssen. Libertad! hat angekündigt, einen offensiven Prozess zu führen, um das Demonstrationsrecht zu verteidigen und auf das Ziel der Online-Demonstration hinzuweisen, Kritik an Abschiebungen zu üben.
Präzedenzfall Internet- Demonstration
Die Online-Demonstration hatte einige internationale Vorbilder. Das New Yorker Electronic Disturbance Theatre koordiniert seit Jahren "zivilen elektronischen Widerstand" im Internet. In Deutschland hat die Online-Demonstration bislang leider keine NachahmerInnen gefunden. Von Medien- und PolitikwissenschaftlerInnen sowie JuristInnen wurde das Phänomen allerdings ausführlich in Fachzeitschriften diskutiert; die Aktion war auch Thema von Dissertationen. Mit dem Prozess wird Internet-Protest in Deutschland nun erstmals eine juristische Würdigung erhalten. Es wird darum gehen, ob Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, auch im Internet übertragbar sind, wie es u.a. der Richter und Experte für Online-Recht, Sierk Hamann, fordert. Auf Grund des Präzedenzcharakters werden Internet-Rechtsexperten das Verfahren genau beobachten. Die zuständige Amtsrichterin indes ist bislang nicht als Fachfrau für Internet-Recht in Erscheinung getreten. Bekannt ist sie vielmehr durch ihre konsequente Aburteilungen von DemonstrantInnen, die während des Irak-Kriegs an der US-Airbase in Frankfurt protestiert hatten.
Weil der Protest im Internet trotz allem nur als Ergänzung zu dem auf der Straße gedacht war, demonstrierten Libertad! und kein mensch ist illegal im Juni 2001 auch vor und in der Lufthansa-Aktionärsversammlung. Wenn Protest angeklagt wird, ist es das mindeste, darauf auch mit Protesten zu antworten. Im Zusammenhang mit der Prozesseröffnung wird es in Frankfurt eine Protestkundgebung geben, zu deren Teilnahme bereits herzlich eingeladen wird.
Libertad!