Das Phantom der Einheit
Die DKP rauft sich zusammen
Auf dem 17. Parteitag der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), der am 12. und 13. Februar in Duisburg zusammentrat, blieb der von manchen Mitgliedern je nach Standpunkt erhoffte oder befürchtete Putsch gegen den Parteivorsitzenden Heinz Stehr aus. Die seit geraumer Zeit anhaltenden Kontroversen wurden in eher weichgespülter Form ausgetragen. Der Parteitag soll in einem Jahr mit einer zweiten Sitzung zur Verabschiedung eines neuen Programms fortgesetzt werden.
Die wenigen tausend KommunistInnen, die nach 1990 den Fortbestand der rapide geschrumpften DKP sicherten, taten dies mit dem Selbstverständnis, die ideologisch einheitliche marxistisch-leninistische "Partei der Arbeiterklasse" zu verteidigen. Als die Partei sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wieder aus den Katakomben hervorzuwagen begann, zeigte sich, dass es mit der sagenhaften Einheit und Geschlossenheit nicht mehr so richtig klappt. Interne Spannungen wurden zunächst vor allem als Ost-West-Problem wahrgenommen: In der ehemaligen DDR haben sich der DKP hauptsächlich solche früheren SED-Mitglieder (einige hundert an der Zahl) angeschlossen, deren Kritik an der SED darin besteht, dass sie nicht hart genug gegen oppositionelle Pfarrer durchgegriffen habe - eine Position, die in der West-Partei nicht konsensfähig ist.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sieht die DKP im Zeichen der Globalisierungsproteste und der Auseinandersetzungen um die Zerstörung des Sozialstaats wieder bessere Chancen für eine kommunistische Partei. Aber wie ist diesen Herausforderungen zu begegnen? Die Partei ist überaltert, die derzeit bei 4.500 liegende Mitgliederzahl dürfte die Talsohle noch nicht erreicht haben, weil der Zulauf junger GenossInnen das Wegsterben der alten Generation nicht kompensieren kann.
Seit 2001 wird über ein neues Parteiprogramm diskutiert. Dabei wurde klar, dass das Problem in der Auseinandersetzung zwischen einer Strömung, die einen Bedarf an Aktualisierung der Inhalte sieht, und den Gralshütern der altbewährten "marxistisch-leninistischen Identität" keinesfalls auf einen Ost-West-Konflikt reduzierbar ist und dass es im Streit um Geschichte und Zukunft des Sozialismus, Imperialismus und Globalisierung und um eine gleichberechtigt mit anderen kooperierende oder als "Avantgarde" auftretende Partei um mehr als bloß Einzelfragen geht. Die Parteivorstands-Mehrheit um Heinz Stehr versuchte, Zeit zu gewinnen; ihre stärker praxisbezogene "Politische Erklärung", die der Parteitag jetzt beschloss, ist als eine Art Versuchsballon zu verstehen.
Aber im Laufe des Jahres 2004 wurde an der Irak-Frage deutlich, wie verschieden die politischen Orientierungen in der DKP tatsächlich sind. Stehr, der die Beteiligung der irakischen KP am provisorischen Regierungsrat verteidigte und eine Solidarisierung mit den religiösen und nationalistischen Kräften des bewaffneten Widerstands ablehnte, weil ihnen linke, demokratische und emanzipative Inhalte fehlen, wurde von hart gesottenen AntiimperialistInnen als "Kollaborateur" und "Quisling" (1) beschimpft.
In den Auseinandersetzungen, die fast alle kommunistischen Parteien in Europa heute durchziehen, geht es im Kern um die Frage, ob die neoliberale "Globalisierung" eine qualitativ neue Entwicklungsphase des Kapitalismus darstellt, in der die postfordistische Umstrukturierung der Produktionsverhältnisse in internationalen Produktionsketten, einhergehend mit wachsender Prekarisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen, strategische Neuorientierungen erfordert; oder ob "Globalisierung" bloß die von bürgerlicher Propaganda erfundene Maskerade einer Wiederkehr der von Lenin 1916 beschriebenen Konkurrenz imperialistischer Staaten (bzw. Staatenblöcke) um den Zugriff ihrer Konzerne auf die Ressourcen der Welt ist. Von ihrer Beantwortung hängt ab, ob kommunistische Parteien sich auf ein neues Paradigma im Zeichen der "Globalisierungskritik" zubewegen oder auf ein Revival des klassischen "Antiimperialismus" setzen. Die großen Antipoden sind die italienische Rifondazione Comunista als Zugpferd eines "bewegungslinken" Neokommunismus und die griechische KKE als erstaunlich vitaler Dinosaurier einer verschärften Orthodoxie.
Mehr als ein Ost-West-Gegensatz
Orthodoxe kommunistische Parteien existieren in Europa als relevante politische Kräfte nur noch an der Peripherie, in Griechenland und Portugal, wo der soziale Strukturwandel ihre traditionellen industriellen und agrarischen Bezugsmilieus noch nicht so durchgreifend zersetzt hat wie in Mitteleuropa. Der Konflikt zwischen Erneuerungsströmungen und Orthodoxien betrifft das Verhältnis von "altem" und "neuem Proletariat". Es geht um die Frage der Formierung einer neuen politischen Subjektivität oder traditioneller Repräsentation der alten Kollektiv-Konstrukte, um länderübergreifende Verschmelzung der sich globalisierenden gesellschaftlichen Binnenkonflikte oder die Verteidigung der Nationalstaaten als Bollwerke der "Völker", um die "Zivilgesellschaft" als entscheidendes Terrain einer Transformation sozialer Kräfteverhältnisse oder etatistisches und geopolitisches Lagerdenken, um horizontale und interaktive oder vertikale und avantgardistische Organisationsmodelle. Mit alledem hängt zusammen, ob man die Überwindung des Kapitalismus als neu anzugehendes Projekt ansieht oder sich in Kontinuität zum Realsozialismus stellt.
In der DKP deuten sich solche Bruchlinien vage an, aber der Streit wird über die Inkubationsphase nie hinausgelangen, weil die Sorge um den Zusammenhalt und die "Identität" der Partei seine Austragung blockiert, zu der auch einfach das geistige Potenzial fehlt.
Orthodoxie oder Öffnung zu den Bewegungen
Während der Philosoph Hans Heinz Holz als Vordenker einer "griechisch-orthodoxen" Linie auftritt, gehen die innovativsten Impulse von dem ehemaligen Siemens-Betriebsrat Leo Mayer aus München aus, der in letzter Zeit oft und gern nach Italien reist, wo er einiges über die "alternative Linke" und die "neue Arbeiterbewegung" gelernt hat. Die Führung um Heinz Stehr übernimmt die von Mayer in Zusammenarbeit mit dem Münchener Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. (isw) entwickelte Imperialismusanalyse, die die transnationalen Konzerne in den Mittelpunkt stellt und sich von der Lenin-Orthodoxie in Richtung auf eine Globalisierungstheorie entfernt, sie übertüncht diese Neuerungen allerdings mit der alten Phraseologie der "wissenschaftlichen Weltanschauung".
Der Überhang von "Textbausteinen aus den 70er Jahren", wie ein Genosse aus dem Saarland es in einem Diskussionsbeitrag in der Parteizeitung Unsere Zeit (UZ) ausdrückte, wird öfters von DKP-Mitgliedern kritisiert, die aus praktischer Erfahrung wissen, wie wenig die formelhafte Beschwörung von "Kernschichten der Arbeiterklasse" usw. mit der Realität zu tun hat. Das bleibt aber folgenlos, weil der Glaube, eine "weltanschaulich" begründete "Identität" verteidigen zu müssen, nur eine kosmetische Erneuerung nach dem Motto "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" gestattet. Die für Theoriefragen zuständige stellvertretende Parteivorsitzende Nina Hager, Tochter des einstigen DDR-Chefideologen Kurt Hager, ist ihren alten SED-GenossInnen wegen ihrer kritischen Haltung zur DDR als zur "revisionistischen" West-Linie übergelaufene "Verräterin" zutiefst verhasst. Dabei ist das, was sie zu bieten hat, nur ein etwas entdogmatisiertes und modernisiertes Update des alten Lehrbuch-Marxismus.
Ein Verständnis der DKP erschließt sich nur aus ihren historischen Hintergründen. Das Verbot der KPD (1956) hat dazu geführt, dass KommunistInnen in der BRD im Untergrund regelrechte Sippen- und Clanstrukturen und eine Bunkermentalität entwickelt haben, in der das Festhalten selbst an offensichtlichen Anachronismen als Ausweis der Prinzipienfestigkeit gilt. Gleichzeitig musste die illegale KPD bündnispolitisch flexibel agieren. Beides wirkt in der DKP bis heute fort.
Es gab immer zwei Seelen in der Brust der DKP: einerseits die ideologische Orthodoxie, verbürgt durch absolute Loyalität zur KPdSU und SED, andererseits die pragmatische Bündnisorientierung. Diese ließ sich vor 1989 mit jener zwar nicht widerspruchsfrei, aber funktionstüchtig verbinden. Diese historische Dualität entlädt sich heute in Konflikten, deren Grenze sie zugleich markiert. Die Orthodoxie besteht, abgesehen vom Osten, vor allem aus Teilen der alten Clans und des ehemaligen Apparats, aber auch aus jungen Mitgliedern mit starkem Bedürfnis nach einer geschlossenen "Weltanschauung", das durch die Vollversion von Holz besser bedient wird als durch die Light-Version von Nina Hager. Die politische Linie der DKP und ihre theoretische Begründung legte früher eine hauptamtliche Funktionärselite fest. Hier konnten sich Möchtegern-Intellektuelle austoben, die noch heute die Diskussionsspalten der UZ mit Belehrungen über den "marxistisch-leninistischen Grundkonsens" volltexten. Unter den über Bündnisbereiche wie etwa die Friedensbewegung in die DKP gelangten, vorwiegend praktisch orientierten Mitgliedern dagegen bewahren sich viele ein starkes Bewusstsein der Verbundenheit mit anderen Linken durch gemeinsame Werte und Ziele und ein ganz pragmatisches Verständnis der Partei als Mittel zum politischen Zweck.
Bedürfnis nach geschlossener Weltanschauung
Vor allem sie sind es, die eine offenere, stärker "bewegungsorientierte" Partei und mehr Zusammenarbeit mit anderen Linken statt "identitärer" Abschottung wollen. In einer Partei, der die meisten Intellektuellen 1989/90 davongelaufen sind, fehlt es aber an theoretischer Kompetenz, um der praktischen Auseinandersetzung um den Stellenwert sozialer Bewegungen und die Rolle der Partei in ihnen begriffliche Bestimmtheit zu verleihen. Ist der Sozialismus eine "Alternative" (so wird er in der Politischen Erklärung bezeichnet), deren Legitimation nur eine demokratische sein kann - oder das Resultat einer historischen "Notwendigkeit", der notfalls erziehungsdiktatorisch auf die Sprünge zu helfen ist? Darüber wird politisch gestritten, aber der Streit mündet nicht in eine theoretische Klärung, die Grundlage einer politischen Neubestimmung sein könnte.
Ziemlich unumstritten (wenngleich in der Politischen Erklärung nicht erwähnt) scheint in der DKP immer noch zu sein, dass man sich unter Sozialismus unentwegt die staatliche Selbstverwirklichung der Lohnarbeit ("Recht auf Arbeit") vorstellt - statt der übereinstimmend von Marx und einer wachsenden Anzahl unserer proletarisierten ZeitgenossInnen angestrebten Emanzipation von ihr. Andererseits beginnt die Einsicht zu dämmern, dass man in Zeiten der 1-Euro-Zwangsverwertung von auf dem freien Markt nicht mehr nachgefragter Arbeitskraft nicht einfach "Arbeit" fordern kann, sondern wenigstens eine Präzisierung hinsichtlich ihrer Qualität vornehmen müsste, wodurch der "weltanschauliche" Selbstzweck-Charakter von "Arbeit" zumindest relativiert würde. Aber als eine Organisation, die hochgradig den Charakter einer Glaubensgemeinschaft trägt, vermag die DKP nicht zu erkennen, wie sehr die Realität ihre "Weltanschauung" unterminiert.
Dem Phantom der Einheit nachjagend, versucht die DKP zwischen dem Bemühen, die Partei anschlussfähig an neue Bewegungen zu machen, und den alten identitären Codes Kompromisse zu finden, die auch das künftige Programm bestimmen werden. Bei der Neuwahl der Parteiführung erlitten Heinz Stehr und Nina Hager Stimmeneinbußen, die aber nicht so dramatisch ausfielen, wie die Orthodoxen es wohl erhofft hatten. Man rauft sich zusammen und nimmt in Kauf, dass die Strömungen sich gegenseitig ausbremsen.
Was die zukünftige politische Rolle der DKP in der Linken angeht, kann vermutet werden, dass diese in stark reduziertem Maßstab wieder ähnlich wie einst in der Friedensbewegung als Zulieferbetrieb und Architektin von Aktionsplattformen wirken könnte. Zu einer inhaltlich impulsgebenden Kraft wird sie sich nicht entwickeln, weil ihre zentristischen Kompromisse zugeschnitten sind auf den Zusammenhalt eines Traditionsvereins, aber nach außen kaum jemanden überzeugen werden.
Henning Böke
Anmerkung:
1) Vidkun Abraham Lauritz Quisling, norwegischer Faschist und während der deutschen Besetzung Norwegens 1942-45 Chef einer "nationalen Regierung"; sein Name wurde zum Synonym für Kollaborateur.