Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 494 / 15.4.2005

Skandal-Urteil in Sachsen-Anhalt

Der Mörder von Helmut Sackers wurde zum zweiten Mal freigesprochen

Am 4. April sprach das Landgericht Halle den Ex-Naziskinhead Andreas S. von der Anklage der Körperverletzung mit Todesfolge frei, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) das gleich lautende Urteil des Landgerichts Magdeburg vom November 2000 aufgehoben und zur Verhandlung nach Halle verwiesen hatte. Damit bleibt auch im Revisionsprozess der Tod von Helmut Sackers ungesühnt, der sterben musste, weil er das Horst-Wessel-Lied nicht hören wollte.

Am 4. April sprach das Landgericht Halle den Ex-Naziskinhead Andreas S. von der Anklage der Körperverletzung mit Todesfolge frei, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) das gleich lautende Urteil des Landgerichts Magdeburg vom November 2000 aufgehoben und zur Verhandlung nach Halle verwiesen hatte. Damit bleibt auch im Revisionsprozess der Tod von Helmut Sackers ungesühnt, der sterben musste, weil er das Horst-Wessel-Lied nicht hören wollte.

Wie Hohn musste es in den Ohren der Angehörigen von Helmut Sackers geklungen haben, dass das Landgericht Halle bei der Urteilsverkündung ausdrücklich dessen Zivilcourage lobte, am Ende aber doch den Täter zum zweiten Mal freisprach - trotz erwiesener Falschaussagen: "Der Umstand, dass der Angeklagte in mehrfacher Hinsicht wahrheitswidrige Angaben gemacht hat", so der Vorsitzende Richter Hans Lilie, "reicht für eine Verurteilung nicht aus." Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Sackers Andreas S. angegriffen habe.

Am Abend des 29. April vor fünf Jahren wählte der Rentner Helmut Sackers den Notruf der Halberstädter Polizei. Um 22 Uhr wird das Gespräch dort automatisch aufgezeichnet: "Bei uns im Haus werden Nazi-Lieder gespielt, Horst-Wessel-Lied, ganz laut." Eine Polizeistreife machte sich auf den Weg. Vor Ort wollen die Beamten nichts von Nazi-Musik gehört haben. Sie hätten die Texte nicht verstehen können, gaben sie später an. Die Beamten ermahnten Andreas S., der in der Wohnung über Sackers wohnt, die Musik leiser zu drehen. Sackers drohte für den Wiederholungsfall mit einer Strafanzeige. Eine Stunde später war er tot. Verblutet an vier Messerstichen im Treppenhaus des Plattenbaus.

Andreas S. behauptete in "Notwehr" zugestochen zu haben. Er sei im Treppenhaus gewesen, um einen Freund zu verabschieden. Im Eingangsbereich habe Sackers seinen Hund auf ihn gehetzt und ihn mit Schlägen attackiert. Im November 2000 kommt Andreas S. mit dieser Version vor dem Landgericht Magdeburg durch. Am Ende plädiert sogar die Staatsanwaltschaft auf Freispruch.

Anhaltspunkten für eine rechtsextreme Motivation der Tat wurde nicht nachgegangen. Dass bei Andreas S. über 80 CDs mit Nazi-Musik, Kassetten und Videos, in denen offen zum Mord an "Roten" aufgerufen wird, und 90 aktuelle Hefte mit Neonazi-Propaganda in der Wohnung gefunden wurden, hatte für das Landgericht Magdeburg keinerlei Bedeutung. Auch dass der heute 33-Jährige Anfang der 1990er Jahre im Umfeld einer rechten Clique verkehrte, die Linke und Ausländer angriff, spielte keine Rolle.

Nach dem Freispruch strengte die Familie des Opfers mit Unterstützung der Mobilen Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt vor dem BGH ein Revisionsverfahren an. Der BGH hob im Sommer 2001 das Urteil auf. Am 31. August 2004 begann der Revisionsprozess vor dem Landgericht Halle. Doch auch hier wurde Helmut Sackers die Anerkennung als Opfer rechter Gewalt versagt. Erneut blieb der rechtsextreme Hintergrund der Tat weitestgehend ausgeblendet. Beweisanträge der Nebenklage, das bei Andreas S. gefundene rechte Propagandamaterial im Prozess zu verwerten, ließ das Gericht nicht zu.

Die Strafkammer des Landgerichts Halle stellte fest, Andreas S. habe den 60-Jährigen im Treppenhaus als "Kommunist" bezeichnet, ihm mit zwei gezielten Faustschlägen ins Gesicht geschlagen, wobei Helmut Sackers das Nasenbein brach, und anschließend vier Mal auf ihn eingestochen. Als unwahr bewertete das Gericht die Behauptung des Angeklagten und seiner Ehefrau, Sackers habe seinen Hund auf ihn gehetzt. Es schloss sich damit einem Sachverständigen an, der die Aussage von Sackers' Lebensgefährtin bestätigte, dass das relativ kleine, übergewichtige und zudem eher ängstliche Tier dazu gar nicht in der Lage gewesen sei.

Detailliert wies das Gericht in sieben Punkten nach, dass Andreas S. und seine Frau - die einzige Entlastungszeugin des Angeklagten - die Unwahrheit gesagt hatten; lediglich im entscheidenden Punkt hielten die Richter die Aussage des Angeklagten für glaubhaft: Er habe Angst gehabt, von dem unbewaffneten und ihm körperlich unterlegenen Rentner die 1,43 m hohe Kellertreppe hinunter gestoßen zu werden. Das Gericht befand auf einen "intensiven Notwehrexzess", da der Nazi-Skin womöglich aus Panik zugestoßen habe, weil er schon als Kind misshandelt worden sei und sich in einer "labilen psychischen Situation" befinde, seit er 1991 von einem Unbekannten mit einem Messer verletzt worden sei. Vor diesem Hintergrund fand es dann das Gericht auch nicht ungewöhnlich, dass Andreas S. ein 15 cm langes Messer mit sich führte, obwohl er angeblich nur einen Freund verabschieden wollte.

"Das Gericht hat in seiner Urteilsbegründung keinen einzigen Grund für den vom Angeklagten behaupteten Angriff Helmut Sackers auf den 30 Jahre jüngeren Mann genannt", kritisiert Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Vertreter der Nebenklage. "Dass das Gericht dann aber davon ausgeht, der Angeklagte habe ausgerechnet im Kernbereich des Tatgeschehens die Wahrheit gesagt, ist nicht nachvollziehbar", so Kaleck. Die Mobile Opferberatung ergänzt: "Das Urteil des Landgerichts stempelt das zivilcouragierte Opfer eines Neonazis zum Täter."

Selbst Bundespräsident Wolfgang Thierse bezeichnete das Urteil als skandalös. Es sei eine Entmutigung für alle, die mit Courage gegen Rechtsextremisten angehen wollen. Und der Skandal geht weiter: Die Angehörigen von Helmut Sackers haben nun die Gerichtskosten, die sich auf bis zu 20.000 Euro belaufen können, selbst zu tragen. Da der Täter nicht verurteilt wurde, besteht kein Anspruch auf Unterstützung aus dem Opferfonds der Bundesregierung.

mb.

Um die Kosten der Nebenklage zu
decken, ruft die Mobile Opferberatung zu Spenden auf: Miteinander e.V., Konto-Nr.: 535353, Bank für Sozialwirt-schaft Magdeburg, BLZ: 810 205 00, Verwendungszweck: Opferfonds/Revision Halberstadt.