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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 495 / 20.5.2005

Eine komplexe Landkarte

Der BUKO 28 ließ Raum für Widersprüchlichkeiten

Innere und äußere Landnahme: So lautete das Thema des diesjährigen BUKO-Kongresses, der vom 5. bis 8. Mai in Hamburg stattfand. Mit etwa 700 TeilnehmerInnen aus dem Spektrum der undogmatischen Linken konnte der BUKO an die Moblisierungserfolge der letzten Jahre anknüpfen.

Dabei sollte gerade die Mehrdeutigkeit des Begriffs "Landnahme" es erlauben, ihn vielfältig zu besetzen. Von kämpferischer Landnahme bis zum Betreten von Neuland ging die Reise; die neoliberale, warenförmige Vereinnahmung des Eigenen und Innersten - Körper, Gefühle, Identität - sollte ebenso thematisiert werden wie die Kämpfe gegen eine neoliberale und neokoloniale Inbesitznahme.

Schnittpunkte und Schnittmengen

Folgerichtig hatte nicht nur der Kongress mehrere Schwerpunkte - Arbeit, Biopolitik, Kolonialismus - sondern innerhalb der Themenstränge ging es auch darum, Schnittpunkte und Schnittmengen zwischen scheinbar Auseinanderliegendem herauszuarbeiten. Geschichtlichkeit und Aktualität, Nord und Süd, das Recht auf Arbeit und das Recht, sich der Nutzbarmachung durch Arbeit zu entziehen: So hießen einige der Gegensatzpaare, die nur in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander existieren. Dennoch erlauben ihre spezifischen Eigenschaften und Mechanismen es nicht, die Schranken zwischen ihnen fallen zu lassen. Es hieße, ihre konkrete Einbettung in Machtformationen zu benennen und so die Einsicht in ihre Funktionsweisen zu unterbinden. Folglich zeichnete es den diesjährigen BUKO aus, dass kein einzelnes Ergebnis und keine eindeutige Handlungsanweisung sein Ergebnis war. Vielmehr entrollte sich eine komplexe Landkarte, auf der sich Verbindungs- und Trennlinien abzeichneten.

Deutlich wurde diese Komplexität bereits bei der Auftaktveranstaltung "Was wird der Tsunami gewesen sein?" Dass eine Naturkatastrophe schnell eine gesellschaftliche wird, offenbart sich an den Folgen des Tsunami, die jedoch im Unterschied zu den medialen Direktübertragungen nicht vermittelt werden. Hatte sich bereits während der Flutkatastrophe abgezeichnet, dass die Armen und Reichen dieser Welt unterschiedlich behandelt werden, dienen die Spendengelder und Schuldenerlasse oftmals einer korrupten und autoritären politischen Kaste zur Eigensanierung und zu sozialen Aufräumarbeiten größeren Ausmaßes. Waren die Küstenregionen zuvor Siedlungsgebiet einer ärmeren Bevölkerung, so wird diese nun von den Küsten vertrieben. Gleichzeitig werden die Küsten privatisiert sowie die Fischereihäfen neoliberal internationalisiert, was vielen vom Fischfang lebenden Einheimischen die Lebensgrundlage entzieht. Nur Spenden, die zivilen Sozialakteuren vor Ort zugute kommen, seien daher gut eingesetzt, lautete das Fazit des Podiums.

Auch die Veranstaltung "Gesundheit als Recht oder als Norm" zeigte, wie vielfältig das Feld "Gesundheit" von Süd und Nord besetzt ist. Ländern des globalen Südens können oftmals mangels Geld keine Gesundheitsvorsorge gewährleisten. Die von Weltbank und anderen Institutionen auferlegte neoliberale Wirtschaftsordnung sorgt dafür, dass selbst gesund erhaltende Grundgüter wie Wasser privatisiert werden. Währenddessen wird "Gesundheit" im Globalen Norden zunehmend zu einem individualisierten Gut, das durch eine gesteigerte "Sorge um sich" aufrecht erhalten werden soll. Wie ein Vertreter der Behindertenbewegung verdeutlichte, steckt hinter der auferlegten Selbstverantwortung vor allem der Zwang, gesund zu sein: Etwas, das von nichts und niemanden gewährleistet werden kann. In dem Spagat zwischen einem auferlegten Gesundsein und dem Anspruch auf eine weltweite gesundheitliche Fürsorge für jede/n, herrschte vor allem Einigkeit darüber, dass die Definition und Kontrolle darüber den großen Konzernen entzogen werden muss.

Handlungsfähigkeit stärken

Auch das Forum "Kolonialismus" zeigte, wie unterschiedlich die thematischen Zugänge sind, die nicht ohne weiteres nahtlos ineinander greifen. Sollten einerseits historische Wissenslücken, insbesondere den deutschen Kolonialismus betreffend, aufgearbeitet werden, ging es andererseits um Kontinuitäten, Brüche und aktuelle Entwicklungen sowohl in Deutschland als auch in ehemaligen Kolonialgebieten. Es wurde deutlich, dass die deutsche Asylpolitik auf ältere koloniale Konzepte zurückgreift - so gab es bereits in der Weimarer Republik die Residenzpflicht, die durch eine so genannte Legitimationskarte durchgesetzt wurde, existierte ein Inländerprimat und ein nie durchgesetztes Rotationsprinzip. Auf anderen Ebenen führte der Bruch mit postkolonialen Strukturen, wie z.B. der wirtschaftlichen Abnahmeverpflichtung der EU gegenüber den AKP-Staaten (Asien, Karibik, Pazifik) neue Formen wirtschaftlicher Herrschaft herbei, da diese Staaten ihre Produkte nicht mehr Gewinn bringend verkaufen können. Erst der Aufbau von Regionalstrukturen und regionalen Handelsnetzwerken würde deren Handlungsfähigkeit stärken.

Im Bereich Arbeit ging es nach Aussage von Beteiligten vor allem darum, Alltagserfahrungen zu politisieren und zu kollektivieren. Begriffskonjunkturen wie "Aneignung" und "Selbstorganisierung" wurden kritisch hinterfragt, Vorstellungen einer vollständigen "Autonomie" und Kampagnenmentalitäten dekonstruiert. "Es geht nicht nur darum, dass wir selbst den Kuchen backen," fasste ein Beteiligter die Stoßrichtung zusammen. "Wir müssen uns auch fragen, ob wir ihn mit einem anderen Rezept backen. Schließlich formt der Kapitalismus auch Subjektivitäten." Ein anderer fügte hinzu: "Und wir müssen aufhören, Widerstand sofort in Sichtbarkeiten zu übersetzen. Vieles Widerständige geschieht, dass sich unserer Wahrnehmung entzieht."

In diesem Sinn muss es auch darum gehen, eigene Sichtweisen immer wieder zu entgrenzen und Voraussetzungen für einen wirklichen Dialog zu schaffen: Auch mit jenen, die "wir" noch nicht kennen und über das, was "wir" nicht wissen. Gerade weil der BUKO 28 der Komplexität und Widersprüchlichkeit Raum gegeben hat, hat er genau diese Bedingung gestiftet. Man hofft, dass es entlang dieser Linien, trennend und verbindend, weitergeht: Ins Neuland, auf unsicheren Grund.

Doro Wiese