Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 495 / 20.5.2005

Berlin, 8. Mai 2005

Erneute Kapitulation der Nazis - eine Nachbetrachtung

"Was für ein Festtag zum Kriegsende", stellte die Berliner Zeitung am 9. Mai fest. "Es gibt kein besseres Datum für diesen symbolischen Sieg", wusste man bei Spiegel Online. Und in der Süddeutschen Zeitung war zu lesen: "Besser hätte der 8. Mai in Berlin nicht ablaufen können. Eine eindrucksvolle Demonstration der Demokraten hat den provokanten Marsch von Rechtsradikalen durch die deutsche Hauptstadt verhindert ... Sie blockierten friedlich den Weg der NPD. Die Polizei war nicht gezwungen, den Rechtsradikalen eine Gasse freizumachen - zu stark war die Übermacht der Demokraten."

Diese Lobhudelei kann über zweierlei nicht hinwegtäuschen: Erstens war der 8. Mai ein "Sieg der Demokraten", weil Tausende AntifaschistInnen und Linke die Nazis nicht marschieren ließen. Da kann dem Neuen Deutschland nur zugestimmt werden: "Letztlich war es die Antifa, die den Nazi-Marsch am 8. Mai in Berlin verhinderte." Zweitens lässt sich an dieser Tatsache nicht rütteln, auch wenn es eine "Absage mit Ansage" (taz Berlin) war. Seitdem bekannt wurde, dass die NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten für den 8. Mai einen Marsch unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult" am Holocaust-Mahnmal vorbei zum Brandenburger Tor angemeldet hatte, machten die hektischen Reaktionen der politischen Führung dieses Landes klar, dass ihr dieser Aufmarsch nicht ins Konzept passte - angefangen mit der Verschärfung des Versammlungsrechts, dem eilig aus dem Boden gestampften "Tag für Demokratie" bis zu den Ereignissen am 8. Mai selbst. Bilder von schwarz-weiß-rote Fahnen schwenkenden Rechten, Glatzen mit Springerstiefeln und Alt-Nazis sollten unter keinen Umständen um die Welt gehen und die offiziellen Feiern überschatten. Und auch Bilder von knüppelschwingenden PolizistInnen, die den Nazis den Weg frei hauen, sollten möglichst vermieden werden. Dass die NPD nach Stunden ihren Marsch absagen musste, ohne einen einzigen Schritt zu gehen, war jedoch nur dem Druck und der Entschlossenheit der Kräfte zu verdanken, die von Anfang an zur Verhinderung des Naziaufmarschs aufgerufen hatten. "Der Preis wird sehr hoch sein, wenn der Naziaufmarsch gegen die Zivilgesellschaft durchgeprügelt wird", hatte ein Sprecher der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) klar gemacht.

So bestanden also recht gute Ausgangsbedingungen für eine Erfolg versprechende linke Intervention am 8. Mai. Kristallisationspunkt wurde die von der ALB, verstärkt durch linke, autonome und unabhängige Antifa-Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet, organisierte Demonstration. Und auch das Wetter spielte einigermaßen mit. Schauer und Regen waren für den 8. Mai in Berlin vorhergesagt, doch der Bertolt-Brecht-Platz lag im Sonnenschein. Wer gegen 10 Uhr auf den Platz vor dem Berliner Ensemble kommen wollte, musste sich seinen Weg durch Menschentrauben bahnen. Tausende schlängelten sich entlang des Spreeufers, verteilten sich auf der Kreuzung Ecke Friedrichstraße und bevölkerten die Grünfläche des Platzes. Unter Bäumen ein Lkw - hier fand die Auftaktveranstaltung statt, von der allerdings die meisten nichts mitbekommen konnten. Der Platz war einfach zu klein. Unter den RednerInnen, die an diesem Vormittag auftraten, war Peter Gingold, kommunistischer Widerstandskämpfer in der französischen Résistance aus Frankfurt am Main. "Der Untergang war nicht 1945. Wir Deutsche haben die Machtergreifung nicht verhindert - 1933 war der Untergang", rief der 89-Jährige den versammelten DemonstrantInnen in Anspielung auf den Hitler-Film "Der Untergang" zu. Später ging er mit einem Strauß roter Rosen in der Hand an der Spitze der Demonstration, hinter ihm ein rotes Transparent mit der Forderung "Entschädigung der NS-ZwangsarbeiterInnen - sofort".

Entschlossenheit zahlt sich aus

Am Ende waren es rund 15.000 Menschen, die dem Aufruf zur zentralen linken Demonstration zum 60. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland gefolgt waren - ihr Ziel: mit allen Mitteln einen Marsch der Neonazis an diesem Tag zu verhindern. Über 100 Gruppen und Organisationen - von der ver.di-Jugend über attac bis hin zu diversen Antifa-Gruppen sowie Initiativen und Bündnissen aus dem Internationalismus- und Antimilitarismus-Spektrum - hatten sich unter dem Motto "Tag der Befreiung. Kein Naziaufmarsch am 8. Mai" zusammengetan, um "gegen Faschismus, Militarisierung und deutsche Opfermythen" auf die Straße zu gehen. Gegen 11 Uhr setzten sich die Menschen in Bewegung. Ein mächtiger Demonstrationszug schlängelte sich Richtung Alexanderplatz, von dem die Nazis los marschieren wollten. Als der Demozug in der Oranienburger Straße an der Jüdischen Synagoge vorbeizog, wurde es still. Von den Lautsprecherwagen war zu einer Schweigeminute aufgefordert worden als "Verneigung vor den Opfern".

Begleitet von einem großen Polizeiaufgebot näherte sich der Zug nach einer Zwischenkundgebung am Hackeschen Markt dem Alex. Hier kam man nicht mehr weiter. Richtung Alexanderplatz stand die Polizei. Der Platz war von ihr hermetisch abgeriegelt. Zwischen Alex und Unter den Linden glich Berlin-Mitte an diesem 8. Mai einem polizeilichen Heerlager. Insgesamt waren rund 9.000 PolizistInnen aufgeboten, zudem zehn Wasserwerfer sowie zehn Räumpanzer im Einsatz.

Mobilisierung mit Sogwirkung

Als es kurz vor dem Alex nicht mehr weiter ging, stürmten ein paar hundert DemonstrantInnen in die Max-Beer-Straße. Es kam zu Steinwürfen; die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen, war allerdings nicht möglich. An diesem Punkt forderte die Demoleitung die DemonstrantInnen auf, umzukehren und Richtung Unter den Linden auf die Demoroute der Nazis durchzusickern. Viele machten sich entlang des S-Bahn-Rings auf den Weg. Einzeln und in Gruppen suchte man entlang der zahlreichen Polizeiabsperrungen ein Durchkommen zur Naziroute. Dem Großteil gelang dies nur über Umwegen, da an der Hauptkampflinie, wie sich ein Polizeiführer im Vorfeld auszudrücken beliebte, alle Spree-Brücken und Durchgänge in den S-Bahnbögen durch die Polizei versperrt waren.

Unterdessen füllten sich die Straßen zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz mit weiteren GegendemonstrantInnen. Das 8.-Mai-Bündnis, initiiert von der VVN Berlin, den Gruppen der Berliner Friedenskooperation, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ver.di Berlin, hatte für 10 Uhr zum Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow mobilisiert. In Anwesenheit von Veteranen der Roten Armee legten dort der russische Botschafter in Berlin, Wladimir Kotenew, und der Berliner Abgeordnetenhauspräsident Walter Momper Kränze nieder. Anschließend machten sich viele TeilnehmerInnen auf den Weg in die Innenstadt. Am Brandenburger Tor riefen gleichzeitig die Berliner Initiative "Europa ohne Rassismus", aber auch die IG-Metall-Jugend Berlin und andere zu zivilgesellschaftlichem Protest gegen den Naziaufmarsch auf: BesucherInnen wurden aufgefordert, sich in Richtung Unter den Linden zu bewegen.

Die wachsende Bereitschaft, gemeinsam zur Blockade der Nazis aufzurufen, hatte zusätzlichen Rückenwind durch die Entscheidung des Berliner Senats erhalten, selbst die Gestaltung des Festakts am Brandenburger Tor zu übernehmen. (vgl. ak 494) Dem Bündnis "Europa ohne Rassismus" war wenige Wochen vor dem 8. Mai die Organisation für die Veranstaltung am Pariser Platz entzogen worden. Stattdessen installierte man ein handzahmes Staatsbündnis, das unter Einschluss der Kirchen von Angela Merkel und Edmund Stoiber über Franz Müntefering und Claudia Roth bis zum DGB-Vorsitzenden Michael Sommer und den Arbeitgeberverbänden reichte. Bezeichnend: Der PDS wurde eine Erstunterzeichnung des Aufrufs untersagt. Besetzt wurde durch diese Neuausrichtung nicht nur der Platz am Brandenburger Tor, durch das die NPD marschieren wollte. Besetzt und in Dienst gestellt wurde auch die Symbolik des Brandenburger Tors als steingehauenes Sinnbild Deutschlands im Sinne einer "unverkrampften Nation", die sich als selbstbewusstes, von historischer Schuld unbelastetes Gemeinwesen präsentiert. Diese Selbstinszenierung hatte am 8. Mai ihren Höhepunkt in der Rede von Bundespräsident Horst Köhler, die live am Brandenburger Tor übertragen wurde. "Wir haben aber auch die Gewissheit", so Köhler dummdreist, "dass wir Deutschen den Weg zu unserer freien und demokratischen Gesellschaft aus eigener Begabung zur Freiheit gegangen sind." Will man dieses Bild weiter strapazieren, lag es jedoch wohl vielmehr an den vielen "Hochbegabten", die dem Nazi-Spuk am 8. Mai die entscheidende Abfuhr erteilten.

Erfolgreich den politischen Preis hochgetrieben

Während Köhler noch sprach, stellten sich Tausende an allen möglichen Punkten den Nazis in den Weg. Nach und nach wurden alle Zufahrtstraßen zum Alexanderplatz belagert. Alleine an der Karl-Liebknecht-Brücke am Dom - mitten auf der geplanten Nazi-Route - sammelten sich mehr als 5.000 GegendemonstrantInnen - darunter viele, die vom "Fest der Demokratie" auf der Straße des 17. Juni kamen. Dort hatte inzwischen selbst Verbraucherschutzministerin Renate Künast dazu aufgerufen, einen "lockeren Spaziergang" Richtung Alexanderplatz zu unternehmen, um die Demo-Route der NPD zu blockieren. Gegen 16 Uhr gab die Polizei über Lautsprecher bekannt, dass der "Marsch rechts" von der Einsatzleitung untersagt worden sei: "Danke für Ihre Mitarbeit und den friedlichen Protest", schallte es aus dem Polizeilautsprecher. Zuvor waren die Blockierer drei Mal aufgefordert worden, die Straße frei zu machen. Doch niemand folgte der Aufforderung.

Zwar war zu diesem Zeitpunkt die angemeldete NPD-Route blockiert, doch noch wurde über mögliche NPD-Ausweichrouten spekuliert. Doch auch die Alternativroute für die Nazis Richtung Jannowitzbrücke konnte schließlich von etwa 500 Menschen blockiert werden. Gegen 17 Uhr musste die NPD ihrer Demonstration absagen, da ihre Sicherheit nicht garantiert werden könne, so die Polizei. Von der isoliert stattfindenden Kundgebung am Alexanderplatz mussten die rund 3.000 Nazis direkt den Heimweg antreten. Nach stundenlangem Warten hatte die NPD eine herbe Niederlage erlitten. Anstatt mit einer Demonstration am 8. Mai Stärke zu zeigen und ihre Bedeutung auch gegenüber den freien Kameradschaften zu unterstreichen, endete der Tag für sie in einem Fiasko. Vereinzelte Versuche, entgegen der verordneten Zurückhaltung den Aufmarsch gewaltsam durchzusetzen, lassen jedenfalls auf eine gereizte Stimmung unter den NPD-AnhängerInnen schließen.

Was folgte, war das Eigenlob der Staatsantifa in Gestalt von Polizei, Berliner Senat, politischem Spitzenpersonal und veröffentlichter Meinung. Bundesinnenminister Otto Schily zeigte sich begeistert, dass "gerade so viele junge Menschen gegen Rechtsextremisten aufstehen". Die Entscheidung der Polizei, den Bereich um die Route des NPD-Aufmarsches nicht rigoros abzuschirmen und so das Durchsickern dorthin zu ermöglichen, war nicht zuletzt der großen Mobilisierung von GegendemonstrantInnen geschuldet. Sie entsprach der politischen und sozialen Breite des Protests, die sich im Vorfeld bereits in den zahlreichen Aufrufen abzeichnete. Angesichts der Masse und der politischen Vielfalt der Protestierenden wäre die Entscheidung, die Demonstrationsroute gewaltsam zu räumen, politisch nicht opportun gewesen. In diesem Sinne hat nicht die Polizei den Aufmarsch der NPD verhindert, auch wenn sie die Verhinderung praktisch durchgesetzt hat. Wären es weniger GegendemonstrantInnen gewesen, hätte der 8. Mai auch einen ganz anderen Verlauf nehmen können.

mb., Berlin