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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 496 / 17.6.2005

Und sie bewegt sich doch!

ArbeiterInnenbewegungen und Globalisierung

"Wo immer das Kapital hingeht, geht auch der Konflikt hin." So fasste die US-amerikanische Soziologin Beverly Silver jüngst eine der Kernthesen ihres neuen Buches zusammen. "Forces of Labor" wendet sich damit ganz entschieden gegen alle Gerüchte von einem Ende der ArbeiterInnebewegung.

Mit der Globalisierung des Kapitals und mit dem angeblichen Bedeutungsverlust der Nationalstaaten gelten ArbeiterInnenkämpfe oftmals nur noch als verzweifelte Abwehrkämpfe fordistischer Fossile. Die ArbeiterInnebewegung befindet sich demnach im freien Fall. Wenn überhaupt, seien emanzipatorische Perspektiven heute nur noch von den verschiedenen Facetten der "Multitude" zu erwarten.

Gegenüber einem solchen Mainstream ist "Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870" eine blanke Provokation. In Silvers Erzählung sind es die ArbeiterInnenkämpfe, die "ArbeiterInnenunruhe", die das Kapital vor sich her treiben, von Standort zu Standort, von einer technischen Innovation zur nächsten. Es ist die Macht der ArbeiterInnenklassen, ihre Marktmacht, ihre organisatorische Kraft und/oder ihr strategischer Einfluss im Produktionsprozess selbst, die das Kapital stets neu in die Krise stürzt und zu immer neuen und doch immer nur befristeten Lösungsversuchen zwingt.

Aber Silver geht noch weiter. Die ArbeiterInnenkämpfe sind nicht nur die Triebfeder für die ökonomische Entwicklung des Kapitalismus, sie prägen auch das nationale und internationale politische System. Die Integration der ArbeiterInnenklasse in den Staat, das was Silver "Sozialisierung des Staates" nennt, ist eine direkte Konsequenz der ArbeiterInnenunruhen kurz vor und vor allem am Ende des 1. Weltkriegs. Ihre kriegsbedingte Kooptation in den Staatsapparat hat ihre Macht durchaus auch gestärkt; ein Bild, das sich nach dem 2. Weltkrieg wiederholt, verstärkt durch die Verbindung von ArbeiterInnenkämpfen mit den antikolonialen Bewegungen. Für Beverly Silver ist der nationale und internationale Keynesianismus - nationale Wohlfahrtsstaaten, das System von Bretton Woods und die Entwicklungsversprechen gegenüber den Staaten des Trikonts - die Antworten des Kapitals auf ArbeiterInnenkämpfe, die sich bis hin zur Revolutionsdrohung zugespitzt hatten.

Und ähnlich wie die Lösungsstrategien auf ökonomischer Ebene (Silver nennt sie "Fixes") ist auch der politische "Fix" der 1950er und 1960er Jahre hochgradig widersprüchlich und instabil. Der Preis für die weltweite Befriedung der Klasse ist eine Profitabilitätskrise, die in den 1970er Jahren voll durchschlägt. Die Antwort des Kapitals ist bekannt: Flucht ins Finanzkapital und neoliberale Konterrevolution.

Diese Sichtweise von den realen Klassenkämpfen als Motoren der kapitalistischen Entwicklung, die Sichtweise von einer so verstandenen Zentralität der Arbeit eint Beverly Silvers Analyse mit der theoretischen Tradition des italienischen Operaismus; eine Parallelität, die durch das gänzlich unsoziologische Verständnis von ArbeiterInnenklasse noch verstärkt wird. "Klasse" ist für Silver ein Prozess, eine permanente Zersetzung und Neuzusammensetzung. Wie den OperaistInnen auch ist ihr das traditionelle linke Bild einer quasi-soziologischen Klassendefinition mit a priori zugeschriebenen "Interessen", "Verhaltensweisen" oder "Bewusstseinsstrukturen" völlig fremd.

Und dennoch: Beverly Silver ist keine Operaistin. Die Soziologieprofessorin an der Nobeluniversität Johns Hopkins in Baltimore ist vielmehr von Immanuel Wallersteins Weltsystemansatz inspiriert. Etliche ihrer Arbeiten sind Koproduktionen mit Giovanni Arrighi, einem der großen alten Männer dieser "Schule". Silver selbst hat über ein Jahr am Fernand Braudel Center in Binghamton/New York gearbeitet. Die Datenbank der dortigen World Labor Group ist die entscheidende Basis ihrer Untersuchung.

Weltsystem und Operaismus

Dieser theoretischen und forschungsstrategischen Einbettung verdankt "Forces of Labor" zwei wesentliche Stärken. Zum einen ist Silvers Buch gänzlich unideologisch vorgefasst. Es enthält sich jeglicher metaphysischen Spekulation und setzt stattdessen auf eine ganz konkrete und historische Klassenanalyse im Weltmaßstab. Zum zweiten vermeidet Silver jeden Triumphalismus. So sehr sie einer Eigenbewegung des Kapitals, einer "autonomen" Entwicklung des Kapitalismus widerspricht, so vorsichtig äußerst sie sich über die Perspektiven der ArbeiterInnenbewegungen.

Das 19. und auch das 20. Jahrhundert hatten ihre strategischen Schlüsselsektoren: zum einen die Textilproduktion, zum anderen das Automobil. Für das 21. Jahrhundert hingegen lassen sich solche strategischen Sektoren (noch) nicht ausmachen. Gleichzeitig betont Silver die Funktion des "Finanzfixes". Die Flucht aus dem Produktionskapital in die Finanzanlage war schon während der ersten großen Depression Ende des 19. Jahrhunderts eine probate kapitalistische Krisenlösungsstrategie. Jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, ist dieser Mechanismus nahezu perfektioniert worden.

Die Zukunft ist ungewiss

Aber auch vor 130 Jahren hatte die Umschichtung von Kapital die ArbeiterInnenkämpfe nicht dauerhaft befriedet. Die bisherigen ökonomischen und politischen Lösungsstrategien des Kapitals gegen die "ArbeiterInnenunruhe" waren immer nur vorübergehender Natur, einer Schwächung der Klassenkämpfe an einem Teil der Welt stand eine Stärkung der ArbeiterInnenmacht an anderen Orten gegenüber. Insbesondere für China hält Silver deshalb Kämpfe mit erheblichen nationalen und internationalen, ökonomischen und politischen Auswirkungen für möglich. Und mit Verweis auf die Kampagnenerfolge prekär beschäftigter MigrantInnen und Frauen in den USA betont sie, dass auch die heutigen dezentralisierten und horizontalen Produktionsnetzwerke Orte von ArbeiterInnenunruhe sind.

So sehr die vielfältigen Abwehrkämpfe etablierter ArbeiterInnensektoren oder die "Anspruchs- und Akzeptanzkämpfe" neuer ArbeiterInnenbewegungen auch heute Motor kapitalistischer Entwicklung sind: Für Silver bedeutet diese Dynamik keineswegs einen geschichtsoptimistischen Automatismus in Richtung Emanzipation. ArbeiterInnenkämpfe müssen nicht per se fortschrittlich sein. Die Verteidigung erreichter Machtpositionen gegen die Gegenangriffe des Kapitals hat immer wieder zu Grenzziehungen und Abschottungsbewegungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse geführt. Silver betont eindringlich, dass Hierarchien und Spaltungen nicht nur gewissermaßen "von außen" herangetragene Instrumente der Kapitalherrschaft gewesen sind. Geschlechtshierarchische, rassistische, nationalistische und andere Grenzziehungen sind häufig genug auch Ausdruck der ArbeiterInnenkämpfe selbst gewesen, gewissermaßen "rationale" Verteidigungsstrategien einzelner Klassensegmente. Es sind vor allem solche Mechanismen, die bei Beverly Silver eine deutliche Zurückhaltung gegenüber den Chancen für einen neuen ArbeiterInneninternationalismus begründen.

Dirk Hauer

Beverly Silver: "Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870", Hamburg/Berlin (Assoziation A) 2005, 284 S., 18 Euro; ausführliches Hintergrundmaterial zu diesem Buch und anderen Arbeiten von Beverly Silver befindet sich auf http://www.wildcat-www.de/dossiers/forcesoflabor/fol_dossier.htm