Täuschung als PR-Strategie
Was auf dem G8-Gipfel beschlossen wurde
Schenkte mensch den offiziellen Verlautbarungen im Anschluss an den diesjährigen G8-Gipfel Glauben, so müssen die im schottischen Gleneagles versammelten Staats- und Regierungschefs tatsächlich Ungewöhnliches vollbracht haben: Allenthalben war von historischen Durchbrüchen die Rede.
Es schien, als wäre auf dem G8-Gipfel weltweiter Armut und Verschuldung endgültig das Totenglöckchen geläutet worden. Bei genauerem Hingucken entpuppten sich diese Erfolgsmeldungen jedoch als dreiste Propaganda. Die Kritik selbst moderater NGOs fiel dementsprechend harsch aus.
Was ist auf dem G8-Gipfel Anfang Juli konkret beschlossen worden? Wie lautet die Kritik - immanent wie grundsätzlich?
Entschuldung: Bereits Mitte Juni hatten die G7-Finanzminister (ohne Russland) eine entsprechende Entscheidung getroffen, sie wurde auf dem G8-Gipfel nur noch abgenickt. Danach sollen 18 Ländern, davon 14 aus Afrika, ihre Schulden bei drei multilateralen Finanzinstitutionen erlassen werden (IWF, Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank). Unter bestimmten Voraussetzungen können noch neun, maximal 20 weitere Länder dazukommen. Praktisch handelt es sich um einen sofortigen Schuldenerlass, zumindest für die Länder, die sich bereits qualifiziert haben (s.u.). Der Schuldenerlass ist eine Mogelpackung sondergleichen, er hält nicht im mindesten, was er verspricht:
a) Anders als von G8-Seite kolportiert, wurde mitnichten ein hundertprozentiger Schuldenerlass in die Wege geleitet. Erlassen werden lediglich Schulden bei oben genannten drei Finanzinstitutionen. Die restlichen Schulden - ob bei einzelnen Staaten, Privatbanken oder anderen multilateralen Finanzinstitutionen, sind demgegenüber nicht Bestandteil des Deals. Für die betroffenen Länder hat sich also gerade mal ihr jeweiliger Schuldenstand verringert - mehr nicht.
Mogelpackung Entschuldung
b) Durch den aktuellen Schuldenerlass müssen die betroffenen Länder jährlich etwa eine Milliarde US-Dollar weniger Zins- und Tilgungszahlungen aufbringen. Wie lächerlich gering diese Summe ist, dürfte im Lichte einer weiteren Zahl deutlich werden: Sämtliche Entwicklungsländer zahlen zusammen über 300 Milliarden Zinsen und Tilgungen jährlich. Nach Einschätzung verschiedener NGOs deckt die eine Milliarde US-Dollar gerade mal zehn Prozent des tatsächlichen Entschuldungsbedarfs. Bezugspunkt sind die so genannten Millenniumsziele: Danach sei für 62 hochverschuldete Länder die von der UNO in ihrer Millenniumserklärung angepeilte Halbierung der weltweiten Armut bis 2015 nur durch einen hundertprozentigen Schuldenerlass realisierbar.
c) Von dem aktuellen Schuldenerlass können laut Beschluss maximal 38 Länder profitieren. Hintergrund sind völlig willkürliche, bereits aus früheren Schuldenerlass-Initiativen bekannte Unterstellungen darüber, welche Schuldenrate (gemessen an den Exporteinnahmen) als tragfähig gilt und welche nicht. Demgegenüber ist festzuhalten, dass es sehr viel mehr Länder gibt, die auf einen teilweisen oder kompletten Schuldenerlass angewiesen sind.
d) In den Genuss des aktuellen Schuldenerlasses kommen ausschließlich so genannte HIPC-Länder (Heavily Indepted Poor Countries). Die 1996 von IWF und Weltbank lancierte und 1999 auf dem Kölner G8-Gipfel neu aufgelegte HIPC-Initiative ist ebenfalls ein Entschuldungsprogramm. Die beteiligten Länder haben als Voraussetzung für den Schuldenerlass ein dreijähriges so genanntes Strukturanpassungsprogramm des IWF zu durchlaufen. Hierbei handelt es sich um ein Bündel haushalts-, finanz-, handels- und arbeitsmarktpolitischer Vorgaben (Konditionen), die seitens der jeweiligen Regierungen auf nationaler Ebene umgesetzt werden müssen. Die dem Geist neoliberaler Denken ganz und gar verpflichteten Strukturanpassungsprogramme des IWF (die auch im Falle von Kreditzahlungen greifen) sind hochgradig problematisch. Im Kern zielen sie auf radikale Öffnung der Märkte, Privatisierung, einseitige Förderung der Exportwirtschaft und umfassenden Abbau staatlicher Regulierungen (z.B. Streichung von Subventionen für Grundnahrungsmittel). Sie sind mit anderen Worten - jedenfalls letztinstanzlich - als Türöffner westlicher Interessen im Trikont zu verstehen. Offiziell heißt es zwar, dass der jüngst beschlossene Schuldenerlass nicht unmittelbar an Konditionen gekoppelt sei; lediglich allgemein ist u.a. von "guter Regierungsführung" als notwendiger Voraussetzung die Rede. Doch das ist bestenfalls untertrieben. Denn auch die 20 Länder, die sich derzeit um Qualifizierung bemühen, müssen zunächst das HIPC-Programm durchlaufen (von den bereits qualifizierten ganz zu schweigen).
Entwicklungshilfe und Handel
e) Last but not least: Der aktuelle Schuldenerlass ist auch deshalb abzulehnen, weil es sich um illegitime Schulden handelt - und nicht etwa um unbezahlbare Schulden (eine Diktion, der sich selbst viele westliche NGOs befleißigen). Darauf hinzuweisen, ist während des G8-Gipfels vor allem NGOs aus dem Süden vorbehalten gewesen, allen voran Jubilee South als einer der größten unter ihnen. Sie fordern ihrerseits sofortige Streichung sämtlicher Schulden für alle so genannten Entwicklungsländer - und überdies Reparationen, nicht nur für die Folgen jahrelanger IWF-Strukturanpassungsprogramme, sondern auch für Kolonialismus und Sklaverei.
Entwicklungshilfe: In dieser Hinsicht ist zwar eine Verdoppelung der Entwicklungshilfe um 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2010 beschlossen worden. Doch auch dieser Beschluss ist nicht wirklich der Rede wert. Denn hierbei handelt es sich überwiegend nicht um zusätzliches Geld, sondern um solches, das bereits mehrmals versprochen wurde - das erste Mal vor 35 Jahren (zumindest was die Erhöhung der staatlichen Entwicklungshilfe auf 0,7% des Bruttosozialprodukts betrifft).
Handel: Hier wurde faktisch gar nichts erreicht. Einmal mehr wurden keine festen Zusagen zum Abbau der skandalösen Exportsubventionen im Agrarbereich gemacht, durch die Millionen Kleinbauern im Trikont schlicht und ergreifend niederkonkurriert werden. Lediglich von einer Abschaffung "zu einem glaubwürdigen Zeitpunkt" ist diesbezüglich die Rede gewesen.
Gregor Samsa