Maue Signale aus Erfurt
Das Erste Sozialforum in Deutschland konnte Erwartungen nicht erfüllen
Ein paar Menschen spurten über den Erfurter Domplatz, um in einem der beiden riesigen Plastikzelte Unterschlupf zu finden. Regen klatscht die Zeltwand runter. Vor den Anmeldetischen hat sich eine kleine, überschaubare Schlange gebildet. Die hier warten, das sind TeilnehmerInnen des Ersten Sozialforums in Deutschland (SfiD). Der Andrang an diesem 21. Juli hält sich in Grenzen; dies wird sich auch die folgenden Tage nicht maßgeblich ändern. Auch die Stimmung ist gedämpft, was nicht nur am ungastlichen Wetter und der Songwriter-Formation, die aus dem Nachbarzelt herüber schallt, liegen kann.
Dabei hatten die OrganisatorInnen des SfiD große Hoffnung in dieses Sozialforum gelegt, 5.000 BesucherInnen waren erwartet worden, die Strukturen vor Ort hätten sogar bis zu 10.000 versorgen können. Letztlich fanden sich etwa 2.000 Menschen in der thüringischen Landeshauptstadt ein, um über die Themenbereiche: "Arbeitswelt und Menschenwürde", "Globalisierung und die Rolle Deutschlands in der Welt", "Menschenrechte und politische Teilhabe", "Eine lebenswerte Welt - anders leben" und "EU-Europa: In welcher Verfassung sollte es sein?" zu diskutieren. Die überdimensionierte Planung sorgte nicht selten dafür, dass Podiumsdiskussionen mit ein paar Dutzend ZuhörerInnen vor der Tribüne stattfanden. Auch die als Sternmarsch angelegte Demonstration am Samstag mit der die "Forderung nach einer gerechten Gesellschaft" eindrucksvoll nach außen getragen werden sollte, war mit etwa 1.000 TeilnehmerInnen äußerst kläglich. "Wie soll von dieser Veranstaltung ein Signal ausgehen?", fragt sich denn auch Angelo Lucifero, von ver.di Thüringen.
Doch Dynamik bzw. das Fehlen derselben lässt sich nicht allein an den TeilnehmerInnenzahlen festmachen. Entscheidend sei, so die SfiD-Organisatorin Judith Dellheim in ak 496, ob in Erfurt "wirklich eine Sozialforumskultur gelebt wird, die Maßstäbe setzt." Sicherlich ist es punktuell gelungen, Linke aus verschiedenen Spektren - GlobalisierungskritikerInnen, GewerkschaftlerInnen, Arbeitsloseninitiativen, Antifas an einen gemeinsamen Tisch zu bringen. Allgemein erinnerte das Sozialforum jedoch an einen politischen Gemischtwarenladen, in dem jedes Grüppchen seine Themen anbot. Größtenteils gelang es nicht, die Vernetzung untereinander zu stärken und Kräfte zu bündeln. Erschwerend hinzu kam, dass die einzelnen Veranstaltungsorte weit auseinander lagen und es keine übergeordneten, attraktiven Treffpunkte gab.
Die fehlende Vernetzung zeigt sich u.a. an der äußerst vagen Erklärung, die von der Versammlung der sozialen Bewegungen im Anschluss an das Sozialforum verabschiedet wurde. Die dort aufgelisteten Punkte kamen über Phrasen wie " die totale Vermarktung der Menschen stoppen", "gemeinsame Vernetzung" verstärken und "gemeinsamer Kampf für soziale Rechte" nicht hinaus. Ähnlich unspezifisch auch die Aneinanderreihung der Aktionen, die zukünftig unterstützt werden sollten. Bei einem Weltforum kann so eine Themenvielfalt funktionieren, da es dort vorrangig um den internationalen Austausch geht. Auf nationaler Ebene, wo Politik konkretisiert werden sollte, wird diese Vielfalt schnell zur Beliebigkeit.
Macht ein Sozialforum auf nationaler Ebene und speziell in Deutschland überhaupt Sinn? Diese Frage wurde bereits im Vorfeld des SfiD diskutiert. So hielt sich der Andrang von UnterstützerInnen des SfiDs aus den sozialen Bewegungen heraus in Grenzen, der Kreis der OrganisatorInnen blieb auf Gewerkschaftsfunktionäre, attaclerInnen, Einzelpersonen aus der PDS und WASG sowie AktivistInnen der Erfurter Erwerbsloseninitiative begrenzt. Massive Kritik gab es auch an dem vom OrganisatorInnenteam vorgelegten Finanzierungskonzept. Gruppen mussten - neben der individuellen Teilnahmegebühr - 100 Euro zahlen, um einen Work-Shop anbieten zu können. Kaum verwunderlich, dass nur wenige strukturell finanzschwache Basisgruppen, z.B. aus dem Antirassismusspektrum den Weg nach Erfurt fanden.
Auftrieb erhielt das SfiD erst im Zuge der vorgezogenen Bundestagswahlen und dem gesteigerten politischen Interesse an der neuen Linkspartei. Zwar lautet der Grundsatz der Charta des Weltforums von Porto Alegre, dass "weder Repräsentanten von Parteien noch militärische Organisationen ... am Forum teilnehmen [können]", das "Gespenst der Linkspartei" ging aber mehr als einmal umher. "Guten Morgen, Gespenst! Annäherung an das jähe Erscheinen eines Parteiprojekts" lautet denn auch eine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung angebotene Veranstaltung, die mit über 300 Leuten regen Zulauf hatte. Auch wenn Moderator Rainer Rilling vorher festhielt, dass es sich hier nicht um Reklame handle, hatten die WahlkämpferInnen der Linkspartei Christine Buchholz und Ralf Krämer reichlich Raum, um auf dem Podium ihren Schritt raus "aus dem Schrebergarten linker Politik" zu erläutern. Einige kritische Nachfragen: Was kann Parlamentarismus erreichen? Basiert das Konzept auf alten Sozialstaatsvorstellungen? Wie ist das Verhältnis zu sozialen Bewegungen? gab es und auch Oskar Lafontaine bekam sein Fett weg. Insgesamt dominierte jedoch eine positive Bezugnahme auf die jähe Erscheinung Linkspartei. Zumindest kam bei der Debatte um die Linkspartei ein wenig Bewegung in die sonst eher maue "Bewegung der Bewegungen".
"Die entscheidende Frage ist, ob Erfurt den Sozialforumsprozess und die demokratische Bewegung für einen Politikwechsel in der Bundesrepublik voranbringt", so formulierte Mitorganisatorin Judith Dellheim in der letzten ak die Messlatte für das Gelingen des SfiD. Dass der Schritt voran allenfalls ein ganz kleiner war, dämmerte auch den stärksten VerfechterInnen des SfiD-Konzeptes. "Das Sozialforum ist eine Erfolgsstory", beharrt Angela Klein gegenüber dem Neuen Deutschland, der Prozess befinde sich allerdings noch in den Kinderschuhen, da die "meisten politisch, gewerkschaftlich oder sozial aktiven Menschen" - so Klein - noch gar nichts davon wüssten. Auf der Versammlung der sozialen Bewegung machte sie sich bereits für ein nächstes nationales Sozialforum stark, das in zwei Jahren stattfinden soll. Ob der Termin allerdings sinnvoll ist, ist mehr als fraglich, werden doch 2007 ein Großteil der Ressourcen der Linken für die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm notwendig sein. Die Mobilisierung dafür läuft bereits vielversprechend an. Zu hoffen bleibt, dass es dann besser klappt mit der Vernetzung ...
Nicole Vrenegor