"Der Feind ist in uns selber"
ver.di debattiert über Kunst und Kultur
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske traf sich mit dem Philosophen Oskar Negt, dem Kulturwissenschaftler Moshe Zuckermann, mit SchriftstellerInnen, MalerInnen und anderen Kulturschaffenden zu einem kritischen Gedankenaustausch
Dass der Gewerkschaftsapparat in den Maschinenpark des Kulturindustriebetriebs integriert wird und ebenso wie Adornos "ewig stampfende Jazzmaschine" nur noch anästhesiertes Bewusstsein für das Weitermachen im entmenschlichten kapitalistischen System produziert, ist ein Albtraum, der eines Tages wahr werden könnte. Denn nicht nur droht die autonome Kunst als "letzter Aufenthaltsort des subversiven, unverdinglichten Subjekts" (Moshe Zuckermann) vom donnernden Einheitsrhythmus des Gewerkschaftskolosses ver.di niedergewalzt zu werden (die Mitglieder aus den künstlerischen Bereichen machen nicht einmal 0,5 Prozent aus). Vor dem Hintergrund, dass ver.di immer häufiger ihre Tarifverträge als Vehikel zur Flexibilisierung des erwerbstätigen Menschen instrumentalisieren lässt und das Feuilleton ihres Zentralorgans Publik zuweilen an die Postwurfsendungen vom Media Markt erinnert, stellt sich die Frage, wie tief der Neoliberalismus schon in den Eingeweiden der Vereinten DienstleisterInnen sitzt.
"Steine zum Singen bringen"
Mitte Juli hatte ver.di auf Initiative des verantwortlichen Redakteurs der Zeitschrift Kunst & Kultur, Burkhard Baltzer, rund 35 KünstlerInnen und Intellektuelle zu einer Konferenz nach Berlin gebeten. GewerkschafterInnen und KünstlerInnen sollen "das Jammern überwinden" und "notwendige kultur- und gesellschaftspolitische Impulse setzen", forderten Frank Bsirske und sein Stellvertreter Frank Werneke in ihrer Einladung. Die Kulturschaffenden wollten aber nicht nur die brutale Kapitalisierung der Lebenswelt "da draußen" kritisieren, sondern auch erörtern, in wie weit gesellschaftliche Widersprüche durch eine totalitäre Eindimensionalität innerhalb der 2,4 Millionen "Einzelteilchen" zählenden Ganzheitsmaschine ver.di ideologisch eingeebnet werden: Der Feind, den es auszumachen gelte, lautete die Diagnose des Lyrikers Hans Arnfried Astel, "ist in uns selber".
Die KünstlerInnen waren jedoch nicht gekommen, um sich an dem leider auch schon in der linken Journaille hoffähigen Geschwätz von dem "Anachronismus Gewerkschaft" zu beteiligen oder in Häme über den alarmierenden Mitgliederschwund zu ergehen. Im Gegenteil, sie übten solidarische Kritik und versuchten, "Steine zum Singen zu bringen", wie der Autor Rainer Jogschies es formulierte. Genau das tat Moshe Zuckermann, indem er Adornos Kulturindustriethese und die daran geknüpfte radikale Kapitalismuskritik auf klassisch frankfurterische Art servierte: "Eine Gewerkschaft, die sich noch als zentrale Trägerin der Arbeiterbewegung und der Emanzipation der Unterdrückten versteht, darf der Kunstautonomie als Glücksversprechen keine Absage erteilen", lautete das Fazit des jüdischen Gelehrten, andernfalls habe sie "ihren historischen Auftrag verraten". An den erinnerte auch Johano Strasser: Die Arbeiterbewegung sei am stärksten gewesen, als sie sich noch als "Kulturbewegung" begriffen habe, kritisierte der PEN-Präsident die Defizite in der Bildungsarbeit von ver.di, "der lesende Arbeiter war einmal ein Emanzipationsmodell."
Oskar Negt präsentierte ein Destillat seiner Streitschrift "Wozu noch Gewerkschaften?" und warnte die DienstleisterInnen, sich mit "Scheinkrisenlösungen" wie der Forderung nach Elitenbildung und Flexibilisierung zu arrangieren. Die tschechische Publizistin Alena Wagnerova deutete ver.di-Slogans wie "Die Würde hat einen Wert, die Arbeit einen Preis" als Indikator, dass sich die Gewerkschaft dem verdinglichten Menschenbegriff des Kapitalismus angenähert habe: "Würde hat keinen Wert; sie selbst ist ein Wert."
"Wir haben den Emanzipationsbegriff zu sehr auf Lohnerhöhung reduziert", räumte Bsirske zum Ende der Konferenz nachdenklich ein, "und uns zu sehr auf die Tauschwertseite von Arbeitnehmerinteressen konzentriert statt auf die Gebrauchswertseite." Eine links-politische Neuorientierung seiner Gewerkschaft kann er sich aber nicht vorstellen: "40 bis 45 Prozent unserer Mitglieder sind CDU-Wähler", bestätigte der Grüne Astels These vom Feind in den eigenen Reihen. Ernüchternd war auch, wie einer der hauptamtlichen Dienstleister die Forderung der Schriftstellerin Daniela Dahn, die Gewerkschaft möge ernsthafte Versuche unternehmen, "die mediale Hegemonie des Neoliberalismus zu brechen" und das Projekt eines unabhängigen linken Weltfernsehsenders angehen, mit seiner Vision von einem gewerkschaftsfreundlichen Bild-Kolumnisten auskonterte.
Soldidarität mit Kunst & Kultur
Solange die Funktionäre sich kein Leben jenseits der Neuen Mitte und ihren Kulturindustrie-Müllbergen denken können, erfüllt die ideologiekritische Zeitschrift Kunst & Kultur die Mission einer Flaschenpost: "Denn sie bewahrt das Wissen darum", so Moshe Zuckermann, "welche emanzipatorische Funktion autonome Kunst im falschen Leben des Kapitalismus hat." Kunst & Kultur war 1993 als Organ der Kulturschaffenden in der IG Medien ins Leben gerufen und von ver.di nach ihrer Gründung 2001 weitergeführt worden. Die Zeitschrift berichtet nicht nur über die prekäre soziale Lage der KünstlerInnen. Sie gilt auch als Forum für kunsttheoretische und kulturkritische Debatten. Obwohl ihre Auflage in den letzten fünf Jahren um ein Drittel auf mehr als 22.000 Exemplare anstiegen ist, wurde ihr Budget in diesem Zeitraum auf rund die Hälfte zusammengestrichen.
Die drastischen Einsparungsmaßnahmen und die Tatsache, dass die ver.di-Führung immer häufiger laut darüber nachdenkt, das Periodikum einzustellen, stoßen bei nicht wenigen ver.di-Mitgliedern auf Widerstand: Der Redaktion der Kunst & Kultur sei es gelungen, die Selbstentfremdung der Gewerkschaft zu überwinden, indem sie das Prinzip der Solidarität hoch halte und kritische Stimmen zu Wort kommen lasse, die in der Betriebsamkeit des Gewerkschaftsapparats zu verschwinden drohten, lobte Hans Arnfried Astel das Organ. "Da die Blöße der Gewerkschaft so groß ist", setzte der streitbare "Notstand"-Dichter nach, "muss sie sich dieses Feigenblatt weiter leisten, sonst ist sie nackt."
Susann Witt-Stahl
www.kunstundkultur-online.de