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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 499 / 21.10.2005

Keine Flüge von Terminal A

Die Hintergründe des Solidaritätsstreiks in London Heathrow

Zwei Tage im August hatten die Beschäftigten der britischen Fluggesellschaft British Airways aus Solidarität mit ihren prekären Niedriglohn-KollegInnen von Gate Gourmet den Flughafen London Heathrow lahm gelegt - ein Streik, der weit über die Grenzen Großbritanniens hinaus für Furore sorgte.

Zehntausende von Fluggästen wurden am 11. August am Londoner Flughafen Heathrow unfreiwillig Zeugen einer der eindruckvollsten Solidaritätsaktionen der letzten Zeit. Ungefähr 1.000 Beschäftigte des Bodenpersonals von British Airways (BA) hatten aus Solidarität mit gerade entlassenen Beschäftigten der Catering-Firma Gate Gourmet die Arbeit nieder gelegt. Ohne Gepäckabfertigung und Bustransport ging ganz schnell gar nichts mehr, und BA musste alle Flüge von und nach London absagen. Auf Aufforderung ihrer Gewerkschaft nahmen die in der Transport and General Workers Union (T&G) organisierten Beschäftigten gegen Abend des folgenden Tages die Arbeit wieder auf, nachdem weitere Gespräche zwischen Gewerkschaft und Caterer angekündigt wurden. Am 29. September schließlich ist der Arbeitskonflikt um die etwa 700 entlassenen Beschäftigten von Gate Gourmet beigelegt worden - ohne rauschenden Sieg, aber mit einem Kompromiss, den die Entlassenen mit "überwältigender Mehrheit" (so die T&G) angenommenen haben.

Billigflieger und union buster

Der Konkurrenzkampf unter den Fluggesellschaften hat sich in den letzten Jahren durch den Markteintritt so genannter Billigflieger gewaltig verschärft. Die englische Bezeichnung "low-cost carrier" deutet bereits an, wodurch die vergleichsweise niedrigen Preise erreicht werden: Es geht um rigide Kostensenkung. Tarifverträge stören dabei und werden, so gut es geht, vermieden oder abgesenkt. Dies macht Schule, und immer mehr klassische Fluggesellschaften richten selbst Billigfluglinien ein. Die Lufthansa ist da keine Ausnahme. Ryanair, der Star am Billigflughimmel, ist für seine gewerkschaftsfeindliche Haltung berüchtigt - wenn auch bei zu wenigen. Die entsprechende Webseite der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF) (http://www.ryan-be-fair.org) erreicht nicht annähernd die Publizität der Schnäppchenpreise, mit denen das Unternehmen wirbt.

Der Kostensenkungswettbewerb zielt seit längerem auch auf das Bodenpersonal, einschließlich des Caterings für die Fluggäste. Das Airline-Catering hat weltweit ein Umsatzvolumen von ca. 23,5 Mrd. Euro. Marktführer ist die zum Lufthansa-Konzern gehörende LSG Sky Chefs. Den zweiten Platz belegt das Unternehmen Gate Gourmet, das derzeit weltweit etwa 22.000 Beschäftigte hat. Diese Firma gehörte ursprünglich zur Schweizer Swissair und übernahm 1997 das Catering von British Airways.

BA hatte die Bordverpflegung ausgegliedert, um ca. 50 Millionen Pfund einzusparen. Die bisherigen BA-Beschäftigten wurden Angestellte von Gate Gourmet. Nach der Swissair-Pleite Ende 2001 wurde Gate Gourmet 2002 von der Investmentfirma Texas Pacific Group (TPG) übernommen. TPG war 1993 unter maßgeblicher Beteiligung von David Bonderman gegründet worden, der zugleich seit 1996 an der Spitze von Ryanair steht. TPG gilt unter Gewerkschaften als "union buster". (1) Die Gruppe besitzt unter anderem Burger King, ist seit kurzem Großaktionär bei Mobilcom und ist am deutschen Badarmaturen-Hersteller Grohe beteiligt, wo die Beschäftigten seitdem mit massenhaften Stellenstreichungen konfrontiert sind.

Sparen beim Catering

Der britische Ableger von Gate Gourmet hat etwa 2.200 Beschäftigte. Dem aktuellen Konflikt vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen Gate Gourmet und der Gewerkschaft T&G über ein Sanierungsprogramm, das geringere Bezahlung, den Wegfall einiger Sozialleistungen und schlechtere Arbeitsbedingungen beinhalten sollte. Dabei verdienen die Gate Gourmet-Beschäftigten bereits jetzt oftmals nicht mehr als 12.000 Pfund im Jahr - in der teuren Region London ein Niedriglohn. Außerdem sollten 675 Stellen gestrichen werden.

In einer Urabstimmung hatten die Beschäftigten den vorgelegten Sanierungsplan abgelehnt. Am 10. August eskalierte daraufhin der Konflikt. Trotz geplantem Stellenabbau stellte die Firma Leiharbeitskräfte ein. Als die Beschäftigten sich als Reaktion auf diese Provokation versammelten und Erklärungen verlangten, wurden sie zunächst eingesperrt und danach ultimativ aufgefordert, sofort die von der Firma gestellten Bedingungen zu akzeptieren. Nachdem sie dies verweigerten, wurde die gesamte Schicht mit sofortiger Wirkung entlassen. Die Versammlung sei einer wilder Streik und damit illegal, hieß es. Am nächsten Tag wurden aber auch Beschäftigte, die krankgeschrieben oder in Mutterschutz waren, schriftlich gekündigt - "irrtümlich", wie die Firma hinterher behauptete. Offenbar gab es bereits Listen, wer gehen sollte, denn insgesamt wurden, wie ursprünglich anvisiert, etwa 670 Beschäftigte rausgeworfen.

Der Eindruck einer geplanten Provokation wird durch einen Aktionsplan erhärtet, der von Texas Pacific ausgearbeitet und vom Boulevard-Blatt Daily Mirror enthüllt worden war. Ziel sei es, so das TPG-Papier, einen Streik zu provozieren, um einen Vorwand für Massenentlassungen zu haben. Bereits Anfang des Jahres war eine Tochterfirma namens Versa Logistics gegründet worden, mit der bei einem erwarteten Streik rasch niedrig bezahlte Beschäftigte aus Polen nach Großbritannien gebracht werden sollten. Genau dies geschah jetzt auch. Die polnischen ArbeiterInnen werden so gegen die Gate Gourmet Beschäftigten - überwiegend MigrantInnen aus Indien, Pakistan oder Bangladesh - ausgespielt. So weit, so schlecht.

Der Arbeitskonflikt bei Gate Gourmet wäre unbeachtet geblieben, hätte sich nicht das Bodenpersonal von British Airways (ebenfalls in der T&G organisiert) mit den Entlassenen solidarisiert und am Tag nach der Massenentlassung die Arbeit niedergelegt. Dies brachte den internationalen Flugbetrieb von BA rasch zum Erliegen. GMB, die zweite große in Heathrow vertretene Gewerkschaft, machte am selben Tag klar, dass ihre Mitglieder keinesfalls Streikbrecherarbeit leisten würden.

Der Solidaritätsstreik kam nicht von ungefähr. Viele Gate Gourmet-Beschäftigte waren vorher bei BA beschäftigt. Die KollegInnen kennen sich, sind in der gleichen Gewerkschaft, manche sind sogar mit einander verwandt oder verheiratet. Trotz ihres rechtlichen Status werden die Gate Gourmet-Beschäftigten von vielen BA-ArbeiterInnen immer noch als Teil der BA-Belegschaft wahrgenommen. Viele wohnen in den gleichen Stadtvierteln in der Nähe des Flughafens. Unabhängig davon ist vielen BA-Beschäftigten bewusst, dass langfristig auch ihre Arbeitsbedingungen bedroht sind, wenn sich das Beispiel von Gate Gourmet durchsetzt. Und es geht auch um die Zukunft der Gewerkschaft am Flughafen.

Während die T&G die Beschäftigten bei Gate Gourmet ohne jede Einschränkung auch offiziell unterstützt, brachte sie der Solidaritätsstreik in ein Dilemma. Einerseits war dieser Streik sicherlich als zusätzliches Druckmittel willkommen, um Gate Gourmet zumindest zur Rücknahme der 670 Kündigungen zu bewegen. Andererseits konnte sich die Gewerkschaft nicht offiziell zu diesem Streik bekennen, ohne das Risiko enormer Schadensersatzforderungen einzugehen. Ursache dafür sind die sehr restriktiven britischen Streikgesetze, die in den Thatcher-Jahre verabschiedet und von New Labour beibehaltenen worden sind. Die T&G hat deshalb zur Wiederaufnahme der Arbeit aufgerufen und sich förmlich von der Aktion distanziert. Zugleich warnte sie jedoch British Airways vor Repressionen gegen die Streikenden und wies auf die Verantwortung von BA für den Konflikt bei Gate Gourmet hin. Schließlich habe erst die Ausgliederung des Catering zur gegenwärtigen Situation geführt.

Gerade weil es sich rechtlich gesehen um einen verbotenen Sympathiestreik ("secondary action") gehandelt hat, ist die Solidaritätsaktion der BA-Beschäftigten umso höher zu bewerten. Auch wenn sie am zweiten Tag beendet wurde, hat sie doch den Gate Gourmet-Beschäftigten eine Aufmerksamkeit und Solidaritätswelle beschert, die diese alleine nicht erreicht hätten. Auf der internationalen Ebene schaltete sich die ITF in die Solidaritätsarbeit ein. Gate Gourmet liegt nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland, den USA und Irland im Konflikt mit den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften um Sparprogramme und Tarifverträge.

Der Kompromiss, den die Entlassenen von Gate Gourmet am 29. September akzeptiert haben, beinhaltet eine Abfindungsregelung, die auf der Formel "zwei Wochenlöhne pro Beschäftigungsjahr" basiert. (2) Die Mehrheit der Gekündigten kann entweder in die Firma zurückkehren oder die Abfindung annehmen, wofür wohl ein Teil optieren wird. 144 Beschäftigte, die bereits vor der Eskalation gekündigt waren, können ihre Kündigung überprüfen lassen. De facto wird dies wohl für die meisten ebenfalls auf die Abfindungszahlung hinauslaufen. Sieben AktivistInnen, die die Firma in keinem Fall wieder einstellen will, wird T&G helfen, einen anderen Job zu finden. Das Abfindungsangebot soll auch den Beschäftigten unterbreitet werden, die am 10. August nicht entlassen wurden und weiterarbeiteten. Auch von diesen sollen bereits etliche ihr Interesse an der Abfindungsregelung signalisiert haben.

Solidarität und Macht

Insgesamt sieht es damit so aus, dass Gate Gourmet das ursprüngliche Firmenziel erreichen wird und die Belegschaft ihrer britischen Niederlassung drastisch verkleinert. Die T&G konnte ihre ursprüngliche Forderung nach Wiedereinstellung aller Entlassenen nicht durchsetzen, wobei etliche Beschäftigte dies nach den Ereignissen der vergangenen Wochen offensichtlich auch nicht mehr anstrebten. Dass sich die Mehrheit der Entlassenen auf den Kompromiss einließ, deutet auf eine pessimistische Einschätzung des Kräfteverhältnisses für eine Fortführung des Konflikts hin.

Hinsichtlich der Kampfmöglichkeiten von Beschäftigten im Niedriglohnsektor, ergibt sich ein gemischtes Bild. Die Angestellten des Catering-Unternehmens selbst hatten sehr beschränkte Durchsetzungsmöglichkeiten. Ihre (eingeschränkt) vorhandene strukturelle Macht (3) wurde im Vorfeld systematisch unterminiert. Nach den provozierten Entlassungen hatten weder Beschäftigte noch Gewerkschaft nennenswerte legale Mittel zur Druckentfaltung in der Hand, wäre der Konflikt auf den Caterer beschränkt geblieben.

Nicht auf der Rechnung des Managements war der Solidaritätsstreik der Gepäckbeförderer und anderer Bodenbeschäftigter von British Airways. Hier zeigte sich, dass unter besonderen Umständen, insbesondere in engverzahnten Transportketten, auch solche Beschäftigte, die von ihrer Qualifikation her leicht ersetzbar erscheinen, über eine hohe strukturelle Durchsetzungsmacht verfügen und innerhalb von wenigen Stunden enormen ökonomischen Druck ausüben können. Die Solidarität der BA-Beschäftigten ist freilich nicht abstrakt. Sie hatte im konkreten Fall viel mit der persönlichen Verbundenheit mit den Gate Gourmet-KollegInnen zu tun. Hinzu kamen eigene negative Erfahrungen mit BA sowie das Wissen darum, dass ihre Jobs ebenfalls massiv gefährdet sind. British Airways hat inzwischen drastische Umstrukturierungen angekündigt, die nicht zuletzt die Beschäftigten in der Gepäckabfertigung treffen sollen. Die nächste Runde am Flughafen Heathrow steht bevor.

Willi Kaufmann

Der Text ist eine überarbeitete Fassung zweier Artikel, die in express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/05 und 9/05 erschienen sind.

Anmerkungen:

1) Firmen, die darauf spezialisiert sind, Gewerkschaften aus den Betrieben hinauszukicken oder gar nicht erst hinein zu lassen.

2) Gesetzlich verpflichtend ist in Großbritannien lediglich ein Wochenlohn pro Beschäftigungsjahr.

3) Ohne Catering können Flugzeuge zwar starten, doch führt der Komfortverlust zu einem Imageschaden der Fluglinien.