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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 500 / 18.11.2005

Alternativen und der Kampf um Hegemonie

Die sozialen Bewegungen stehen vor neuen Herausforderungen

Am 19./20. November diskutieren AktivistInnen aus verschiedenen sozialen Bewegungen in Frankfurt über strategische Weichenstellungen. Die Veränderungen der politischen Landschaft in den letzten Jahren waren rasant. Sie erfordern eine ausführliche strategische Positionsbestimmung und Neujustierung der Linken und des emanzipatorischen Lagers.

Die wichtigste Veränderung der letzten Jahre ist die zunehmende Krise der neoliberalen Hegemonie. Auch wenn die neoliberale Logik und die neoliberale Deutungshoheit über die Wirklichkeit weiterhin dominieren, erhält die herrschende Politik doch immer weniger Zustimmung und befindet sich in einer Akzeptanzkrise. Dieser Stimmungswandel zeigte sich in der Schwächung der beiden großen Volksparteien CDU/CSU und SPD bei der Wahl und bescherte der Linkspartei eine Verdopplung ihres Ergebnisses. Auf europäischer Ebene findet dieser Stimmungswandel vor allem in der Ablehnung der EU-Verfassung seinen Ausdruck, global besonders in Lateinamerika in Form von Rebellionen und Wahlerfolgen von antineoliberalen Koalitionen.

Doch unbeachtet der zunehmenden Krise der neoliberalen Hegemonie hält die politische Klasse in Deutschland weiter an ihrem Programm fest und forciert damit die Entfremdung zwischen ihr und der Bevölkerung. Unter der Überschrift "Die Dämmerung der Politik" beschreibt inzwischen selbst die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Abkopplung der politischen RepräsentantInnen von der Bevölkerung als tief gehende Krise und Überforderung der Institutionen. (FAS, 6.11.05) Es kann davon ausgegangen werden, dass die Unzufriedenheit und die Entfremdungsprozesse weiter gehen werden - und sich unter einer großen Koalition sogar beschleunigen.

Die zunehmende Entfremdung der politischen Elite ist von Eruptionen sozialer Unzufriedenheit begleitet. Im Sommer 2004 waren Städte in Ostdeutschland, im Herbst 2004 Bochum Schauplätze solcher Entladung von Wut, die zudem die Entfremdung von klassischen Interessenverbänden wie z.B. Gewerkschaften und linke Parteien widerspiegelten, die die Betroffenen nicht mehr erreichen.

Für die Akteure der sozialen Bewegungen stellt diese neue Konstellation von Unzufriedenheit, Entfremdung und eruptiven Ausschlägen eine besondere Herausforderung dar. Das Hauptproblem liegt darin, dass die Eruption der Wut meist politisch und geografisch lokal begrenzt bleibt und dadurch die Herausbildung einer übergreifenden Bewegung erschwert. Steigende Unzufriedenheit bei Fehlen größerer Akteure birgt aber auch die Chance, mit kleinen Initiativen größere Mobilisierungen zu erzielen. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, durch neue Formen der Organisierung der bürokratischen Verkrustungen traditioneller Verbände zu entgehen und auf längere Sicht eine neue Kultur des Protests zu entwickeln.

Wie sich schon bei den Protesten gegen die Agenda 2010 gezeigt hat, bleibt die Unzufriedenheit und Wut lange Zeit unsichtbar, bis sich ein Ventil dafür findet - hier die von Basisinitiativen initiierte Demonstration am 1. November 2003. Insofern ist mehr Mut gefragt, ohne gleich größenwahnsinnig wöchentlich Großdemonstrationen auszurufen. Nur wenn die Akteure der sozialen Bewegungen es gemeinsam schaffen, solche Ventile zu bilden, können sie die kommenden Eruptionen mitgestalten. Die Gestaltungskraft, die durch erfolgreiches Organisieren von Kampagnen der Gegenwehr gewonnen wird, wird uns die Möglichkeit geben, die reaktionären Strömungen, die immer bei den sozialen Eruptionen mit hoch schwimmen, zurückzudrängen.

Die Logik der neoliberalen Wirtschaftspolitik basiert auf einem Diskurs des Mangels - es wird ein Bild der Wirklichkeit konstruiert, in dem es an allem fehlt und überall gespart werden muss. Auf diesem Kern der Ideologie des Gegners müssen die Forderungen und die Alternativen, die in den verschiedenen Spektren der sozialen Bewegungen diskutieren werden, zielen und sie müssen daraufhin zusammengeführt werden. Insofern macht eine Debatte, welche Forderungen wichtiger seien als andere, keinen Sinn. Zumal in der gegebenen Konstellation einer formalisierten großen Koalition jede Vorstellung von einer baldigen Wende und Übernahme unsere Forderungen illusionär ist. Nicht die Umsetzbarkeit der Alternativen darf zum Streitpunkt in der Bewegung werden, sondern der Streit muss um ihre Tauglichkeit geführt werden, ob sie die Grundfesten des neoliberalen Logik der Alternativlosigkeit erschüttern.

Der neoliberaler Umbau vollzieht sich immer stärker in einem europäischen supranationalen Rahmen. Die sozialen Bewegungen hängen leider weit hinter dem Einigungsprozess der herrschenden Institutionen her. Sie stehen vor der Herausforderung, Proteste europaweit zu synchronisieren. Dies dürfte am leichtesten bei den Gipfelprotesten möglich sein, die - wenn auch Orte symbolischen Protestes - die Chance boten und bieten, die Globalität der Bewegung zu erfahren und Verbindungen zu knüpfen - die wichtigste Voraussetzungen für die Synchronisation über nationale Grenzen hinweg.

Für die sozialen Bewegungen in Deutschland bietet der G8-Gipfel im Sommer 2007 in Heiligendamm die Möglichkeit, an der Globalisierung der sozialen Bewegungen der letzten Jahre anzuknüpfen und die politischen und die kommunikativen Kanäle, insbesondere in die Nachbarländer, sprunghaft auszubauen.

Pedram Shahyar, Mitglied im attac-Koordinierungskreis