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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 501 / 16.12.2005

Politik der kleinen Schritte

Außerparlamentarische Opposition in Zeiten der Großen Koalition

Eine Konferenz der sozialen Bewegungen unter einer Regierung der Großen Koalition weckt Erinnerungen - an 1968. Friedensbewegung, organisierte Erwerbslose, Sozialforum, einige Gewerkschaften und Attac hatten Mitte November an die Frankfurter Goethe-Universität eingeladen. Einige wollten die Konferenz zunächst APO-Konferenz nennen, eine Konferenz der Außerparlamentarischen Opposition. Man entschied sich dann aber doch für den funktionalen Titel Aktions- und Strategiekonferenz.

Die TeilnehmerInnen haben sich viel vorgenommen: Großmobilisierung gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm an der Ostsee, um die Ungerechtigkeit der Weltordnung anzuprangern; die mediale Öffentlichkeit während der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland nutzen, um die Wirkung der Grenzen Europas deutlich zu machen; und die Beteiligung an europaweiten Aktionen gegen die Bolkestein-Richtlinie, um gegen die Auswirkungen neoliberaler Politik in Europa anzukämpfen. Versammelt hatten sich etwa 350 Aktivistinnen und Aktivisten.

Trotz einiger Gemeinsamkeiten mit der 1968er Bewegung gab es aber auch auffällige Unterschiede: Auf der Frankfurter Konferenz sprachen die TeilnehmerInnen kaum über Visionen und Utopien, aber viel über Grundeinkommen, Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung, Steuerpolitik und Bürgerversicherung, mit denen sie gegen die neoliberale Doktrin angehen wollen. Das ist pragmatisch, aber nicht offensiv und trotzdem verständlich. Denn anders als zur Zeit der rebellischen Studierenden Ende der 1960er Jahre, als der Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme noch flächendeckend die materielle Existenz sicherten, scheint im bestehen den System der Weg in die Verarmung für viele vorgezeichnet. Damals gehörte es zum guten Ton, dem Kapitalismus unterschiedliche Gesellschaftsentwürfe als Alternative gegenüber zu stellen. In Frankfurt ging es um kleine Schritte, die ein menschenwürdiges Leben im Hier und Jetzt ermöglichen sollen.

Das ist traditionell auch das Terrain von gewerkschaftlicher Politik. Deshalb werden heute im Unterschied zu 1968 die außerparlamentarischen Bewegungen von den Gewerkschaften umworben. Beim Hauptvorstand der IG Metall gibt es seit mehr als einem Jahr sogar einen Verbindungsmann zu den sozialen Bewegungen, Horst Schmitthenner. Der kantige Mittsechziger ist wie geschaffen für dieses Publikum, er gilt als linkes Aushängeschild der IG Metall. Aber wenn es um konkrete Zusagen geht - wie die von vielen Konferenzteilnehmerinnen geforderte zentrale Demonstration gegen die Große Koalition im kommenden Frühjahr - winkt er ab. Auch wenn Schmitthenner selbst keinen Zweifel daran lässt, was er von der neuen Regierung und ihrem Placebo einer Reichensteuer hält - die Mehrheit des Vorstandes seiner Gewerkschaft klebt immer noch an der SPD. Und die IG Metall lässt sich - trotz aller Rhetorik - auch heute nicht von der APO zum Bruch mit der Großen Koalition bewegen.

Anders als 1968 gibt es heute auch eine Oppositionspartei im Bundestag, die die Anliegen der Bewegungen aufgreifen will. Die VertreterInnen der Linkspartei/PDS und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), deren Aufstieg ohne die Protestwelle gegen Hartz IV und Agenda 2010 undenkbar gewesen wäre, gaben sich in Frankfurt die Klinke in die Hand. Vorstandsmitglieder und Bundestagsabgeordnete ließen sich blicken und erklärten sich solidarisch mit den Anliegen der Bewegungen. Einige Mitglieder der WASG und der PDS arbeiten auch aktiv mit. Aber dennoch sind viele skeptisch gegenüber den Parteien, und nicht nur wegen der Erfahrungen mit den Grünen. Auch die Politik der PDS, die in Berlin mitregiert, war für die meisten TeilnehmerInnen der Konferenz nur eine Variante des Sozialabbaus.

Zurück zu 1968: Damals war Politik im Allgemeinen und Sozialpolitik im Besonderen weitgehend nationalstaatlich determiniert. Das ist heute anders: Die Einflüsse der EU-Bürokratie und der Druck der Globalisierung lassen keinen Platz für nationale Alleingänge - auch nicht für die Opposition. Deswegen schweifte der Blick mancher TeilnehmerInnen ins europäische Ausland, nach Belgien, Italien oder Frankreich. Besonderes Augenmerk galt dabei dem französischen Nein zur EU-Verfassung. Nun wird in Frankreich und anderen Ländern über eine Charta für ein anderes Europa diskutiert. Sie soll im Laufe des kommenden Jahres als Gegenentwurf zur neoliberalen EU-Verfassung einer breiten Öffentlichkeit in ganz Europa präsentiert werden. In Deutschland steckt diese Diskussion noch in den Kinderschuhen. Aber wenn sie geführt wird, könnte sie auch wieder Visionen und Utopien in die Debatte bringen, mit denen das hegemoniale Modell des Neoliberalismus auch auf ideologischer Ebene unter Druck geraten könnte.

Gerhard Klas,
Rheinisches JournalistInnenbüro