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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 501 / 16.12.2005

Mut zur Lücke

Aktionsbericht vom diesjährigen Castortransport nach Gorleben

Spürbare Auswirkungen eines Klimawandels, Hurrikan Katrina, enorm gestiegene Energiekosten, ein Koalitionsvertrag, der sich nicht über den Neubau von Atomanlagen einigen kann, all das hat dazu geführt, dass es in der BRD wieder eine breite Debatte über das Thema Energiepolitik gibt. Vielleicht lässt es sich so erklären, dass sich am diesjährigen Widerstand gegen den Castortransport in das Zwischenlager Gorleben weitaus mehr Menschen beteiligten als noch im vorigen Jahr.

Die Scheunencamps im Wendland stießen an ihre Kapazitätsgrenzen. Neben den schon seit Jahren genutzten Scheunen mussten diesmal noch weitere geöffnet werden, zahlreiche Kleingruppen fanden in Privathäusern einen wärmenden Unterschlupf. Entgegen den Abgrenzungsbedürfnissen in den 1990er Jahren fanden sich an vielen Punkten AktivistInnen verschiedenster Aktionsformen zusammen, die sich bei ihrem geschäftigen Treiben nicht durch unterschiedliche Aktionsansätze behindern ließen. In Metzingen hatte sich neben der hervorragenden veganen Volxküche aus Hannover die Anti-Castor Ortsgruppe mit einem Spanferkel aufgebaut, gleich dahinter fand sich der Anlaufpunkt der Motorradgruppe "Kuhle Wampe". Und ob Spanferkel oder Kartoffelsuppe, beim traditionellen St.-Martin-Laternenumzug auf der B216 fanden sich alle Geschmacksrichtungen zusammen auf der Straße wieder, um diese für mehr als eine Stunde zu blockieren. Am Ende brannten unvermutet und zur Freude aller mitten im Ort auf der Bundesstraße mehrere Heuballenbarrikaden.

Auch die Rallye Monte Göhrde III, bei der es darum ging, im großen Waldgebiet der Göhrde so häufig wie möglich die Castor-Schienen zu überqueren, war mit mehreren hundert TeilnehmerInnen hervorragend besucht. Schon im Verlauf dieser Veranstaltung zeigte sich, dass die Polizeieinsatzleitung auf Biegen und Brechen versuchte die Anzahl der eingesetzten Beamten zu reduzieren. Dieser "Mut zur Lücke" führte letzten Endes dazu, dass in der Göhrde viele der Barrikaden auf den Wegen zu den Schienen unangetastet blieben und diesmal nur eine Hand voll Blockaden geräumt wurden, also nur ausgewählte Wege befahrbar gehalten wurden.

Die Zeit, die bei dem diesjährigen Castortransport noch auf der Schiene gewonnen schien, verlor die Einsatzleitung umgehend wieder auf der Straße, die aus Kostengründen erheblich schwächer gesichert wurde. Dieses Konzept hatte zur Folge, dass zahlreiche Aktionsgruppen auf die Transportstrecke kamen. In Quickborn und Grippel seilten sich Robin-Wood-AktivistInnen von Bäumen ab, in Langendorf ketteten sich Menschen an zwei Leichenwagen, in Gußborn brannten Heuballenbarrikaden, in Grippel versperrten zwei Traktoren beinahe zehn Stunden lang die Transportstrecke, in Gorleben gab es zeitweise bis zu vier Sitzblockaden mit insgesamt rund 1.000 BlockierInnen. Noch bei keinem vorherigen Transport gab es so viele erfolgreiche Aktionen auf der Straße. Mit der Konsequenz, dass der diesjährige Transport erstmals seit 2001 nicht schneller als der Vorjahrestransport durchgesetzt werden konnte. Der Castor erreichte in den Abendstunden den Verladebahnhof. Aber erst nach einem Zeitverlust von zehn Stunden konnte der Transport am Dienstagmorgen auf der Straße losfahren.

Dass die Einsatzleitung auf die qualitative Zunahme der Aktionen nicht vorbereitet war, verwundert, denn schon im Vorfeld zeichnete sich ein konzentrierterer Widerstand ab. Ende September brannte ein Polizeicontainerdorf in Woltersdorf für rund 600 Beamte komplett nieder. Anfang November wurde der Verkehr zwischen Hannover und Berlin sowie Hamburg und Berlin durch mehrere Hakenkrallen zum Erliegen gebracht, und auch in der Transportnacht wurde laut Frankfurter Rundschau die Transportstrecke bei Hannoversch Münden durch Hakenkrallen beschädigt, und bei Quickborn wurde eine sogenannte Wasserlanze gefunden, mit der es möglich gewesen wäre, die Straßentransportstrecke komplett zu unterhöhlen. Auf der Auftaktdemonstration am 5.11.05 fanden sich mit mehr als 5.000 TeilnehmerInnen mehr Menschen ein als von den OrganisatorInnen im Vorfeld erhofft.

Auch über die Aktionen, die im gesamten Bundesgebiet an der Transportstrecke stattfanden, wurde in der Presse kaum berichtet. Obwohl: Der Castor stand 92 Minuten im Wald von Bietigheim-Bissingen an einer Blockade. Mahnwachen gab es unter anderem in Kassel, Hannover, Fulda, Würzburg, Bebra, Rothenburg, Witzenhausen und Buchholz. In Göttingen gelang es durch zwei Schienenblockaden, den Zug für ca. 30 Minuten aufzuhalten. In Bienenbüttel südlich von Meudelfitz und Lüneburg schafften es Gruppen von 10 bzw. 300 Menschen, die Gleise zu sitzblockieren. In der Nähe von Harlingen gab es ebenfalls zwei Blockaden mit bis zu 300 Personen.

Dass all dies von der Presse kaum zur Kenntnis genommen oder auf das Niveau einer Sportberichterstattung heruntergewürdigt wurde, ist gerade angesichts der virulenten energiepolitischen Debatte nur schwer nach zu vollziehen. Im Gegensatz dazu ist der Castortransport zumindest auf polizeiinternen Internet-Foren umstrittenes Thema. Gegenstand der Debatte dort sind zumeist die Sparmaßnahmen, durch die sich zahlreiche Beamte allein im Wald stehen gelassen fühlten. Die Jugendorganisation der Gewerkschaft der Polizei fordert gar, den Wiedereinstieg in die Atomenergie zu verhindern und andere Transportmittel als den Castor zu suchen, die leichter zu sichern seien.

Trotz alledem sprach die Polizeieinsatzleitung in ihrer Abschlusspressekonferenz von einem zahlenmäßig geringeren Widerstand. Bei den VertreterInnen der verschiedenen Camps und Aktionszusammenhänge stießt diese Lesart der Ereignisse allerdings auf Unverständnis. Bei Niedersachsens Innenminister Schünemann jedenfalls ist das Signal der diesjährigen Widerstandsaktionen angekommen: Er fordert den Transport 2006 auf Grund der hohen Arbeitsbelastung der Polizei während der Fußball WM auszusetzen. Ein Schritt in die richtige Richtung - erst einmal. Herr Schünemann sei an dieser Stelle daran erinnert, dass 2007 der ebenfalls arbeitsintensive G8-Gipfel im Nachbarbundesland Mecklenburg Vorpommern stattfindet und 2008 ... Manche, zumal CDU-Minister, schaffen den Atomausstieg eben leider nur in kleinen Schritten.

Elke Sommer-Seitenschläger