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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 501 / 16.12.2005

Knast for Kids

Die geschlossene Heimunterbringung ist ein Skandal

Es müsse endlich Schluss sein mit "sozialromantischer Kuschelpädagogik", so drückte es der jugendpolitische Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft aus. Er rechtfertigte damit eine "erzieherische Maßnahme", die auch anderswo an Popularität gewinnt: die geschlossene Heimunterbringung. Drei Jahre geschlossene Unterbringung belegen vor allem eines: Die Einrichtung ist ein Knast der schlimmsten Sorte.

Die geschlossene Heimunterbringung für Kinder und Jugendliche (gU) war und ist in Hamburg in erster Linie ein ordnungspolitisches Imageprojekt. Gegen den Widerstand der Fachwelt, aber mit breiter Unterstützung der "öffentlichen Meinung" hatte der Schwarz-Schill-Senat den neuen "Kinderknast" im Herbst 2002 eröffnet. Fachintern als Jugendhilfemaßnahme (Hilfen zur Erziehung, HzE) deklariert, hat die zuständige Senatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) bis heute keinerlei Zweifel daran gelassen, dass es bei der gU nicht um das "Kindeswohl", sondern vor allem um den "Schutz der Gesellschaft" geht. Abschreckung und Strafe ist die Botschaft, nicht Hilfe und Unterstützung. Explizit standen "befristet Freiheit entziehenden Maßnahmen" im Zentrum des "Erziehungs"konzepts. (vgl. ak 465)

Viel Geld fürs Wegsperren ausgegeben

Die Einrichtung in der Feuerbergstraße war ursprünglich für 90 und dann für 25 Plätze konzipiert worden. Inzwischen existieren 18 Plätze, von denen faktisch sechs "belegt" sind. Hauptgrund dafür sind die Hamburger Jugend- und Familienrichter, die dem Einweisungswillen der Behörde immer wieder einen Riegel vorschieben. Das Kinder- und Jugendhilferecht orientiert sich nach wie vor am "Kindeswohl" und lässt die (zwangsweise) Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in geschlossenen Heimen nur in wenigen, streng definierten Ausnahmen zu. Bis heute halten sich die RichterInnen in aller Regel an diese Rechtsauffassung, sehr zum Unwillen von Justiz- und Sozialbehörde in der Hansestadt, die inzwischen laut über eine "klarstellende" Änderung des KJHG auf Bundesebene nachdenken. (taz, 12.11.2005)

Umgerechnet 303 Euro kostet ein Platz pro Tag, 1,5 Mio. Euro die gesamte Einrichtung. Damit ist die gU mit Abstand die kostspieligste HzE-Einrichtung in Hamburg. Das Geld stammt aus Umschichtungen im Kinder- und Jugendhilfeetat, d.h. es fehlt anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.

Bis heute ist die Geschichte der geschlossenen Unterbringung eine einzige Skandalchronik. In mindestens 13 Fällen hat die Behörde bei den Einweisungen einfach die rechtsverbindliche Einspruchsfrist von 14 Tagen ignoriert und die Jugendlichen gegen geltendes Recht eingesperrt. Erst im September hatte das Oberlandesgericht Hamburg die Einweisungsverfügung für einen 13-Jährigen rückgängig gemacht, der mehrere Tage ohne gültigen Beschluss eingesperrt war und bei dem die angeordnete Isolation nicht mit dem Vormund abgeklärt worden war. (taz, 3.11.2005) Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss Feuerbergstraße hat weitere Rechtsverstöße ans Licht gebracht. So sind Jugendliche ohne die vorgeschriebene richterliche Erlaubnis gefesselt eingeliefert worden, in mindestens vier Fällen erfolgte die Einlieferung durch Polizei und private Wachdienste ohne Genehmigung. Minderjährige sind zudem länger festgehalten worden als von den Gerichten angeordnet, und in 21 Fällen sind die Gerichtsurteile den Jugendlichen gar nicht zugestellt worden.

In solchen rechtsfreien Räumen sind die Jugendlichen der Willkür von Wach- und Betreuungspersonal hilflos ausgeliefert. Laut PUA dürfen die Jugendlichen nur unter Aufsicht mit ihren AnwältInnen telefonieren oder sprechen. Ihre persönliche Post von Freunden und Verwandten wird geöffnet, wenn der Absender "unbekannt" oder als "nachteiliger Kontakt" bekannt ist; gleiches gilt auch für ausgehende Post. In Bezug auf Behördenpost wird das Briefgeheimnis mit dem lakonischen Hinweis außer Kraft gesetzt, die Jugendlichen seien nicht in der Lage, ihre Post von Gerichten oder AnwältInnen richtig zu lesen. (taz, 14.10.2005) Gipfel des behördlichen Zynismus ist eine "Empfehlung" vom 7.8.2003, wonach die Sozialbehörde einem privaten Wachmann nahe legt, einen gefesselten Jungen der Presse zum Foto-Shooting zur Verfügung zu stellen. Der 12-Jährige sollte an ein Heim in Schleswig-Holstein überstellt werden. Die ganze Fahrt über wurde der Wagen von zwei Pressefahrzeugen verfolgt, und im Übergabeprotokoll ist vermerkt, dass Behördenmitarbeiter über Handy nachgefragt haben, "warum wir A. auf der Fahrt so verstecken würden", verbunden mit der "Bitte", doch "demnächst mal anzuhalten". (taz, 25.10.2005)

Pikanterie am Rande: Als der PUA im Sommer die Räume in der Feuerbergstraße besichtigt hatte, war die Presse auf Betreiben von CDU und Behörde ausgeschlossen worden. JournalistInnen seien eine "zu große Belastung für die Jugendlichen".

Nicht nur, dass Kinder und Jugendliche in der Feuerbergstraße an den Pranger gestellt, gedemütigt und ihrer bürgerlichen Freiheitsrechte beraubt werden. In der geschlossenen Unterbringung nimmt man es auch mit dem Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht so genau. Ohne Informationen und Aufklärung und ohne ihre Einwilligung, so die Erkenntnisse des PUA, werden die Jugendlichen illegalen AIDS-Tests unterzogen. Besonders dramatisch und am Rande der Folter ist die zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka durch das Heimpersonal. Um Kinder und Jugendliche "ruhig zu stellen" erfolgte diese Medikation nicht nur ohne Wissen oder gegen den Willen der Jugendlichen, sondern auch ohne irgendeine fachärztliche Diagnose oder Therapieempfehlung.

Rechtsfreie Räume und Menschenrechtsverletzungen

Kein Wunder, dass jede Gelegenheit zur Flucht ergriffen wird. In den jetzt drei Jahren ihres Bestehens hat es 44 "Entweichungen" aus der geschlossenen Unterbringung gegeben. 15 Mal sind Jugendliche aus dem Heim geflohen, ansonsten sind sie schlicht von Ausgängen nicht zurückgekehrt. Zeitweise waren von drei eingewiesenen Jugendlichen zwei abgehauen. Für die Behörde waren diese Zahlen ausschließlich Anlass, die Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen ständig auszubauen. Inzwischen patrouilliert neben den SozialpädagogInnen auch ein "ordentlicher" Sicherheitsdienst auf dem Gelände.

Vor allem produziert die "Erziehung im Käfig" Gewalt. Die Zahl der gewaltsamen Angriffe auf Betreuungs- und Wachpersonal wie auf andere Jugendliche ist von 29 im Jahr 2003 auf zur Zeit 146 Fälle gestiegen. 57 Mal haben Jugendliche SozialpädagogInnen angegriffen, 11 Mal allein im September 2005, 50 Mal andere Jugendliche, 20 Mal Sicherheitkräfte. Ebenfalls 20 Mal haben die Jugendlichen die Gewalt gegen sich selbst gerichtet, davon zwei Mal als Suizidversuch.

Trotz solcher Fakten fordert in Hamburg zur Zeit niemand die sofortige Schließung der Feuerbergstraße. Stattdessen geht der Streit darum, ob die zuständige Senatorin oder doch eher einer ihrer Beamten den Hut nehmen soll. Bei der Debatte um das Bauernopfer drohen die Grundrechte der Kinder und Jugendlichen und eine entsprechende Pädagogik des Respekts auf der Strecke zu bleiben.

dk