Mehr als nur Mitwisser
Deutschlands Rolle im "Krieg gegen den Terror"
Seit Januar 2002, als die ersten Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer in Guantánamo interniert wurden, spätestens aber seit April 2004 mit dem Auftauchen der Folterbilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib konnte niemand mehr die Augen davor verschließen, dass die USA im "Kampf gegen den Terror" Folter und weitere Methoden des "schmutzigen Krieges" als legitim ansehen und massenhaft anwenden. Die Masri-Affäre und die CIA-Flüge mit Deutschland als Drehkreuz werfen auch ein bezeichnendes Bild auf die damalige rot-grüne Bundesregierung, die sich öffentlich als Kritikerin der US-Irak-Politik gerierte, unter den Hand aber das Vorgehen der USA tolerierte und unterstützte.
"Außen- und Innenpolitik sind keine getrennten Sphären", so Frank-Walter Steinmeier bei der Amtsübernahme als Bundesaußenminister am 23. November in Berlin. Der Mann muss es wissen. Jetzt steht Steinmeier in der Affäre um den Deutsch-Libanesen Khaled al Masri wegen seines früheren Handelns unter Druck. Denn nicht nur Ex-Innenminister Otto Schily, der angeblich erst drei Tage nach Masris Freilassung von den US-Amerikanern informiert, aber um Vertraulichkeit gebeten wurde, auch andere Regierungsstellen waren schon frühzeitig mit dem Entführungsfall befasst. Das Justizministerium habe von dem Fall erstmals im Juni 2004 im Zuge einer Unterrichtung des Generalbundesanwalts an das zuständige Fachreferat erfahren. Das Auswärtige Amt ist nach Masris Freilassung durch dessen Rechtsanwalt informiert worden, habe aber nicht eingegriffen. Auch Steinmeier wusste frühzeitig von Masris Verschleppung durch die CIA. Unter Rot-Grün fungierte Steinmeier als Leiter des Bundeskanzleramts und war in dieser Eigenschaft Koordinator der Geheimdienste. Es liegt nahe, dass auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder von den Vorgängen wusste.
Deutsche Beteiligung an der Masri-Entführung?
Nach offizieller Darstellung will man im Bundeskanzleramt erst durch ein Schreiben von Masris Anwalt im Juni 2004 von der Entführung erfahren haben. Steinmeier habe daraufhin den Bundesnachrichtendienst (BND) - "der in seiner Zeit wieder zu einer erstklassigen Informationsquelle für das außenpolitische Regierungshandeln wurde", wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung nicht ohne Stolz berichtete (FAZ, 9.12.05) - um Nachforschungen und Bestätigung gebeten; anschließend wurde das zuständige parlamentarische Kontrollgremium angeblich über den Vorgang unterrichtet. Mehr passierte nicht. Oder doch? Zwar antwortete die rot-grüne Bundesregierung auf eine Anfrage der PDS am 15. Juni, was sie über mögliche Entführungen durch US-Geheimdienste wisse, nur ausweichend und nichtssagend. Doch anscheinend hat die Bundesregierung schon damals von der US-Regierung Aufklärung über entsprechende Vorwürfe verlangt. Und, glaubt man Hans Martin Bury, damals Staatsminister für Europa, auch erhalten, gab er doch damals kund: "Die Kontakte mit der US-Regierung waren vertraulicher Natur und lassen eine öffentliche Erörterung nicht zu." Das legt den Schluss nahe: Die rot-grüne Bundesregierung wusste von den Umtrieben der US-Geheimdienste in Deutschland und Europa und hat diese geduldet.
Der Deutsch-Libanese Khaled al Masri war am Silvesterabend 2003 "unter Beteiligung amerikanischer Ermittler" (FAZ, 21.1.05) aus dem Mazedonien-Urlaub nach Afghanistan verschleppt und erst fünf Monate später freigelassen worden. Hieß es erst, die Verschleppung von Masri sei auf eine Namensverwechslung zurückzuführen, deutet sich jetzt eine Beteiligung deutscher Geheimdienste an. Nach Informationen der Berliner Zeitung waren deutsche Dienste zumindest bei der Entführung Masris indirekt beteiligt, indem sie den USA Informationen lieferten, die zur Verschleppung Masris in ein Geheimgefängnis in Afghanistan führten. Und die Süddeutsche Zeitung spricht von einer weiteren deutschen Spur in dem Entführungsfall: Masri sagte dem Münchner Blatt in einem Interview, er sei sich sicher, im Mai 2004 in Afghanistan mit einem Deutschen gesprochen zu haben. "Er war hundertprozentig ein Deutscher. Er hatte einen norddeutschen Akzent", so Masri. (SZ, 10.12.05)
Es blieb ausgerechnet Guido Westerwelle vorbehalten, auf das Naheliegende hinzuweisen: "Wenn der deutsche Geheimdienst die CIA mit Materialien über einen Deutschen versorgt, der daraufhin von der CIA entführt wird, kann ich mir schwer vorstellen, dass der deutsche Nachrichtendienst von der Verschleppung nichts weiß", so der FDP-Parteivorsitzende. (Berliner Zeitung, 10.12.05)
Immer deutlicher wird, dass die BRD als wichtiger Bündnispartner im US-geführten Anti-Terror-Krieg tiefer in das Foltersystem verstrickt ist als bislang vermutet. Dass Geheimdienste verschiedener Länder im "Kampf gegen den Terror" miteinander kooperieren, ist kein Geheimnis. So verdichten sich die Hinweise, dass die CIA neben Ägypten, Jordanien, Marokko und Afghanistan auch in Polen und Rumänien Geheimgefängnisse unterhielt. Und viele Staaten, deren Regierende sich offiziell von den US-Methoden distanzieren, schicken gleichzeitig eigene Verhörtrupps - so auch die BRD. Im Herbst statteten zwei BND-Beamte und ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes dem Verhörcamp in Guantánamo einen Besuch ab, um zwei Gefangene zu befragen, die sich angeblich in der bundesdeutschen Islamisten-Szene auskannten. BND-, Verfassungsschutz- und BKA-Leute reisten im Juli 2002 nach Damaskus, um den dort inhaftierten und gefolterten Deutsch-Syrer Mohammad Haydar Zammar zu vernehmen. Der 44-Jährige war vor vier Jahren aus Marokko von der CIA nach Syrien verschleppt und dort in das Folter-Gefängnis Far Filastin des syrischen Geheimdienstes geworfen worden. Während weder die deutsche Botschaft in Damaskus informiert noch ein Rechtshilfeersuchen des Generalbundesanwalts beantwortet wurde, soll die Bundesregierung eingeweiht gewesen sein.
BND-Beamte verhören Folteropfer in Guantánamo
Nicht zu vergessen die Tatsache, dass die BRD ein wichtiges Drehkreuz für die CIA-Flüge war, in denen Menschen quer durch die Welt zu geheimen Gefängnissen transportiert wurden. Nicht nur etwa 100 geheime CIA-Flüge liefen in den vergangenen fünf Jahren über Deutschland - mindestens 437 sind es offenbar gewesen. Eine Liste der Starts und Landungen fertigte die Deutsche Flugsicherung auf Anfrage der Linkspartei an.
Nach dem 11. September 2001 hat sich die sicherheitspolitische Situation weltweit dramatisch verschärft. Die Grenzen zwischen Militär und Polizei, zwischen innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen, die Bedeutung der Geheimdienste nimmt zu. "Das 'Verschwindenlassen' von Personen war ein Markenzeichen von Militärdiktaturen in Lateinamerika in ihrem 'schmutzigen Krieg' gegen angebliche Subversion. Nun ist es eine der von den USA angewandeten Taktiken im Konflikt mit Al-Qaida", so die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. (1) Die BRD ist offensichtlich nicht nur Mitwisser dieser Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen der USA, sondern auch Nutznießer und Helfer.
mb.
Anmerkung:
1) Human Rights Watch: The United States' "Disappeared". The CIA's Long-Term "Ghost Detainees". Human Rights Watch Briefing Paper, October 2004