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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 502 / 20.1.2006

Versöhnung mit den Nazi-Tätern?

Gerhard Hanlosers Kritik am linken Antizionismus

In der Einleitung zu dem Buch "Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken" (1) schreibt dessen Herausgeber, Gerhard Hanloser: "Selbstkritik war noch nie die Stärke deutscher Linker. (...) ,Die Linke` war nicht nur in Form der K-Gruppen oftmals ein obskures Unterfangen und ist es noch." Da das so ist, sind kritische Anstöße von Jüngeren, die an den jeweils vorherrschenden Dummheiten nicht beteiligt waren, so wichtig. Das gilt auch für Hanlosers Kritik des linken "Antizionismus" - die allerdings ihrerseits kritikwürdige Vereinfachungen und Pauschalurteile enthält.

Zusätzlich zur Einleitung hat Gerhard Hanloser zu dem "Antideutschen"-Buch auch einen Aufsatz über das schwierige und wechselvolle Verhältnis bundesdeutscher Linker zu Israel beigetragen: "Bundesrepublikanischer Linksradikalismus und Israel - Antifaschismus und Revolutionismus als Tragödie und als Farce". Unverändert und unter exakt demselben Titel ist der Beitrag auch in das 2005 von Moshe Zuckermann herausgegebene Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte übernommen worden, das die Themen "Antisemitismus, Antizionismus, Israelkritik" behandelt. (2)

Im Unterschied zu den Pamphleten konvertierter AntizionistInnen, die heute mit der israelischen Fahne wedeln, handelt es sich bei Hanlosers Aufsatz um einen wichtigen Text: Hanloser geht es um eine sachliche Auseinandersetzung mit dem linken Antizionismus; schon eingangs stellt er die immer wieder vorgebrachte pauschale These in Frage, "dass die Israelkritik und der Antizionismus deutscher Linker die Funktion einer Entlastung von ,Schuld` und Verbrechen des Nationalsozialismus inne hatte." Und dennoch erreicht sein Beitrag nicht die Qualität jener Artikel, die ak-LeserInnen von ihm gewohnt sind (zuletzt über das Konstrukt des "strukturellen Antisemitismus" in ak 499).

Das hat Gründe: Der Autor kennt die antizionistischen Verirrungen der 1970er und 1980er Jahre nur aus zweiter Hand; er zitiert keine Primärquellen, sondern bedient sich immer wieder bei Autoren, deren Urteil für Differenzierungen keinen Raum lässt: Antizionismus ist nichts anderes als eine schlecht getarnte Spielart des Antisemitismus. Hanlosers Position ist das nicht; er übernimmt aber die These, dass "der ,linke Antizionismus` eine allgemeine Weltanschauung der Neuen Linken" gewesen sei. Und mehr noch: "Auf diese Politmilieus - ob maoistisch, spontaneistisch oder in der Stadtguerillatradition stehend - trifft der Antisemitismusvorwurf der anti-antizionistischen Ideologiekritik vollends zu." Die Denunziation des Zionismus als faschistisch, so Hanloser, "lässt sich tatsächlich nur als Exkulpationsmanöver interpretieren. Auch der Populismus und die Klassenkampf-Farce dieser Linken erscheint wie ein Versuch der Versöhnung mit der Elterngeneration, der man nicht mehr das Täter-Sein vorhalten wollte." Der Versöhnungsvorwurf ist sicherlich nicht komplett falsch, aber doch eine grobe Vereinfachung. Er verkennt, dass für die übergroße Mehrheit der Täter- und Elterngeneration, die nun treu CDU oder andere staatstragende Parteien wählte, die Hinwendung der eigenen Nachkommen zum "Marxismus-Leninismus" maoistischer und/oder stalinistischer Prägung die Höchststrafe darstellte. Sie war von vielen der damaligen JungrevolutionärInnen auch so gemeint; arbeitertümelnde Klassenkampfrhetorik und der Tätervorwurf an die Eltern blieben durchaus vereinbar: "Kapitalismus führt zum Faschismus."

Während Hanloser hier die "neue Linke" kollektiv unter Anklage stellt, differenziert er an anderer Stelle nur scheinbar, wenn er die "ML-Gruppen der siebziger Jahre" ins Visier nimmt. Denn diese "ML-Gruppen" bezogen sich zwar allesamt auf den "Marxismus-Leninismus" (wie auch die DKP, die aber in Hanlosers Text nicht vorkommt) und die "Mao-Tsetung-Ideen"; sie waren ansonsten sehr heterogen, vor allem was ihren Politikstil angeht. Aber auch politisch gab es gravierende Widersprüche, die in Hanlosers Betrachtung einfach verschwinden. So zitiert er die Beobachtung von Eike Geisel und Mario Offenburg aus dem Jahr 1977, in den ML-Gruppen würden "bankrotte Begriffe wie ,Vaterland`, ,Patriotismus` usw. zu neuen Ehren kommen".

Klassenkampfrhetorik und Tätervorwurf sind vereinbar

Das stimmt für KPD/ML (Vorsitzender: Ernst Aust) und KPD/AO (Christian Semler), die für die deutsche "Wiedervereinigung" bzw. die "Vaterlandsverteidigung" gegen den "sowjetischen Sozialimperialismus" eintraten. Andere Linke grenzten sich von dieser Politik entschieden ab, allen voran der Kommunistische Bund (KB) - allein im Jahr 1976 waren der Polemik gegen die "Vaterlandsverteidiger" in 24 Arbeiterkampf-Ausgaben 62 Artikel gewidmet. Von "Begeisterung für ,Volk` und ,Nation`", die Hanloser den ML-Gruppen pauschal vorwirft, kann beim KB jedenfalls keine Rede sein. Oder ist der KB gar nicht mitgemeint? "In den maoistischen K-Gruppen, die sich als antirevisionistisch bezeichneten, hielt sich ein ,vulgärer Antisowjetismus` und ein positiver Bezug auf den Stalinismus", schreibt Hanloser. Weder bezeichnete sich der KB als antirevisionistisch - die Auseinandersetzung mit der DKP, der KPdSU und anderen an Moskau orientierten Parteien gehörte in die Rubrik "Revisionismuskritik" - noch betrieb er "vulgären Antisowjetismus" (auch das war ein Streitpunkt mit den Vaterlandsverteidigern) oder bezog sich positiv auf den Stalinismus.

In dem 1979 vom KB herausgegebenen Buch "Texte zur Stalinfrage" wird im übrigen auch der sowjetische Antisemitismus thematisiert, zugleich aber - in einem vom Leitenden Gremium formulierten kurzen "Nachtrag zum Vorwort" - auf eine Reihe "zweifelhafter" Behauptungen im Zusammenhang mit der "Behandlung der ,Judenfrage`" verwiesen; gemeint war wohl vor allem die in dem Buch referierte und nie bewiesene These, Stalin habe 1953 zwei Millionen Jüdinnen und Juden deportieren lassen wollen. Zufrieden stellend ist diese jahrelang ziemlich isoliert dastehende Kritik am sowjetischen Antisemitismus sicherlich nicht (erst Anfang der 1990er Jahre wurde das Thema in längeren Artikeln wieder aufgenommen); sie relativiert aber Hanlosers Behauptung, "in den deutschen maoistischen K-Gruppen" (zu denen der KB zweifellos gehörte) finde sich "kein Verweis auf den dort (in der SU; Anm. ak) grassierenden Antisemitismus".

Von Auslassungen geprägt ist auch Hanlosers Beschäftigung mit der in den 1980er Jahren verstärkt einsetzenden innerlinken Kritik am antizionistischen Mainstream. So erwähnt er zwar die Freiburger Initiative Sozialistisches Forum (ISF) und vor allem den vom glühenden Antizionisten zum Anti-Antisemiten konvertierten Publizisten Eike Geisel, verliert aber kein Wort über eine der spektakulärsten innerlinken Israel-Debatten: Ausgelöst durch die schriftlich begründete Weigerung des KB, zu einer von autonomen Gruppen dominierten Palästina-Demonstration in Hamburg aufzurufen, entwickelte sich ab Januar 1988 eine kontroverse Grundsatzdebatte um Israel, Zionismus und linke Palästina-Solidarität.

Heftiger innerlinker Streit um "Vaterlandsverteidigung"

Die Auseinandersetzung ist in dem KB-Buch "Ein unvermeidlicher Streit: Deutsche Linke zwischen Israel und Palästina" (Hamburg 1988) sehr gut dokumentiert; auch in Martin Klokes Buch "Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses" (Frankfurt am Main 1994), aus dem Hanloser viele seiner Belege für "ML"-Antisemitismus übernommen hat, wird sie erwähnt. Kloke bezeichnet den politischen Kurswechsel des KB in dieser Frage als "besonders bemerkenswertes, weil dramatisches Beispiel kollektiven Sinneswandels", dessen Beginn er auf 1982 datiert.

Lohnt es sich, um der Differenzierung willen, das alles noch einmal nachzulesen? Oder ist es legitim, auf einen "groben Klotz" einen "groben Keil" zu setzen? Wie auch immer - dass selbst penibles Quellenstudium nicht vor falschen Urteilen schützt, zeigt Michael Steffens KB-Chronik "Geschichten vom Trüffelschwein". Dort wird auf gut zwei Seiten ein relativ genaues Bild der KB-Nahostpolitik gezeichnet, allerdings unter der vereinfachenden, wenn nicht falschen Überschrift "Palästina und der Antizionismus"; meines Wissens hat sich der KB niemals als "antizionistisch" definiert. Mit Sicherheit falsch ist der Schlusssatz dieses Abschnitts über die Veränderungen der 1980er und 1990er Jahre: "Teile der Neuen Linken, unter ihnen der KB, schwenkten auf prozionistische Positionen ein."

Hanlosers Text ist also nur ein Anlass, noch einmal auf das Verhältnis der neuen Linken zu Israel und speziell auf die "Nahostpolitik" des KB einzugehen. Das soll in einer der nächsten ak-Ausgaben geschehen.

Js.

Anmerkungen:

1) Gerhard Hanloser (Hrsg.): "Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken". Zur Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik. Unrast-Verlag, Münster 2004; vgl. ak 490

2) Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXXIII (2005): Antisemitismus, Antizionismus, Israelkritik. Herausgegeben von Moshe Zuckermann. Wallstein-Verlag, Göttingen 2005; vgl. ak 496

3) Michael Steffen: Geschichten vom Trüffelschwein. Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971 bis 1991. Assoziation A, Berlin, Hamburg, Göttingen 2003; vgl. ak 465 und 469