Der Grund der Rechte
Kontroversen übers "bedingungslose Grundeinkommen"
Sie ist nicht neu, die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und wie auch neuere Beiträge zeigen, hat sich mit der Zeit keineswegs Klarheit über die konkrete Ausgestaltung dieses alternativen Wohlfahrtsmodells herstellen lassen. Neu dagegen ist, dass die Debatte nun programmatischen Charakter in der Kontroverse um die strategische Orientierung der Linkspartei angenommen hat. Martin Dieckmann kommentiert aktuelle Debattenbeiträge.
Im Kern entzünden sich die Kontroversen über ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht an der Realisierungs- sprich: Durchsetzungsproblematik, sondern schon im Vorhinein an den Grundlagen und damit dem Grundverständnis eines alternativen Gesellschafts- und Wohlfahrtsmodells. Unterschiedliche linke Traditionslinien stoßen aufeinander und zeigen sich dabei als letztlich nicht vermittelbar. Vor kurzem hat die Zeitschrift Sozialismus dieser Kontroverse einen prominenten Platz eingeräumt. Nun zieht die Arbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft der Linkspartei nach. Auf zwei Seiten ihrer Zeitung (1) treten gegeneinander an: Katja Kipping, stellvertretende Parteivorsitzende und Verfechterin eines bedingungslosen Grundeinkommens, sowie Michael Schlecht, beim ver.di-Bundesvorstand für Wirtschaftspolitik zuständiger Gewerkschaftssekretär.
Während es Katja Kipping in ihrem Beitrag bei einigen Bekenntnissen belässt, geht Michael Schlecht aufs Grundsätzliche - und trifft damit auch den programmatischen Kern der Kontroverse. Es geht um - Arbeit. Katja Kipping argumentiert wie die meisten VertreterInnen eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Perspektive eines BürgerInnenrechts an Teilhabe und Wahlmöglichkeiten. Michael Schlecht hingegen hebt die besondere Bedeutung des Arbeitsprozesses hervor. Dies keineswegs nur im pragmatischen Sinne, dass nun einmal in einer kapitalistischen Gesellschaft Erwerbsabhängigkeit vorherrscht und Arbeit als Erwerbsarbeit zentrale Einkommensquelle bleibt. Arbeit hat für Michael Schlecht vielmehr grundsätzlich zwei Seiten. Sie ist auch "persönliche Entfaltungsmöglichkeit" und damit zusammenhängende "Anerkennung" und "Selbstbestätigung" und somit zwiespältig in ihrem Doppelcharakter. Kurz: Es zeigt sich bei ihm das alte Problem des anthropologischen und eben nicht historischen Arbeitsbegriffs, wie er eine ganze Tradition der Arbeiterbewegung und des Marxismus durchzog und gleichzeitig das soziale Grundrecht auf Einkommen begrenzt.
Schlechts Kritik zielt weiter auf die Ausblendung des realen Produktionsprozesses. "Wie und was produziert wird, ist nicht Gegenstand der Auseinandersetzung. Wo bleibt die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wo bleibt die Einflussnahme auf ökologische und nachhaltige Produktion?" Diese "Einflussnahme auf die Produktion, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Kampf um Arbeitszeitverkürzung" könne nur von denen erkämpft werden, "die auch in diesen Lebenszusammenhang eingebunden sind". Dies bleibt zwar in der besagten Traditionslinie schlüssig, wird dadurch aber als Argument weder systematisch noch historisch richtig. Jedenfalls haben wir die bescheidenen Fortschritte in der Einflussnahme auf ökologische und nachhaltige Produktion wohl am wenigstens der organisierten "Arbeitspolitik" der Gewerkschaften und der von ihr erfassten Lebenszusammenhänge zu verdanken.
Vom sozialistischen Potenzial einer Bürgerrechtsforderung
Ganz anders könnte aber ein Schuh daraus werden: Auch und gerade ein bedingungsloses Grundeinkommen ist als strategisches Ziel daran gebunden, dass sich massenhaft Menschen der Art und Weise des kapitalistischen Produzierens widersetzen. Freilich täten sie es dann, um eben die gesamte Logik von Produktion und Reproduktion einer kapitalistischen Gesellschaft umzuwälzen. Aber genau darauf weist Michael Schlecht - wie die meisten linken KritikerInnen des bedingungslosen Grundeinkommens - gar nicht hin. Warum? Weil es eine radikal andere Wertorientierung gerade der Erwerbstätigen und ihres Widerstandes voraussetzen würde.
In Beiträgen wie denen von Michael Schlecht wird der historisch bestimmte Charakter von Arbeit identisch mit menschlichem Handeln an sich - unausgesprochen unterlegt mit dem Schema einer wie auch immer fortschreitenden Menschheitsgeschichte, deren Entwicklungsprozess genau um jenes Zentrum kreist, das als anthropologische Konstante der Arbeit zugeschrieben wird. Anders ist die Hartnäckigkeit nicht zu erklären, mit der wir in unguter Regelmäßigkeit ausgerechnet das Moment der "Anerkennung" und "Selbstbestätigung" als Wesensmerkmal menschlichen Arbeitens vorgehalten bekommen. Darüber kann und soll man sich an anderer Stelle ausführlicher auseinander setzen. Quellen und Traditionslinien dieser Kontroverse sind so vielfältig wie frühere und aktuelle kapitalismuskritische und -oppositionelle Bewegungen. Hier soll dagegen ein für die aktuellen sozialpolitischen Auseinandersetzungen entscheidender Punkt hervorgehoben werden - der der sozialen Rechte, besser und genauer formuliert: der Status der sozialen BürgerInnen-Rechte im Wohlfahrtsbegriff.
Wäre es so, dass nur Arbeit Teilhabe am öffentlichen Leben gewährleisten kann - und dies keineswegs begrenzt auf heutige Verhältnisse, sondern offenbar als Konstante menschlicher Existenz - was bliebe dann vom Teilhabebegriff des so genannten sozialen Rechtsstaates? Zumindest in der Legitimation, freilich niemals in der Praxis, ist das merkwürdige Amalgam namens Wohlfahrtsstaat nach dem Zweiten Weltkrieg alles andere als ein Modell von reiner Fürsorge gewesen. Im Gegenteil, öffentliche Wohlfahrt sollte die Menschen als BürgerInnen mit den notwendigen Mitteln zur allgemeinen Teilhabe am öffentlichen Leben ausstatten. Von den Sozialdemokraten nie verfolgt, von den Liberalen scharf abgelehnt, hat man es hier mit einer analogen Ausweitung politischer Grundrechte zu sozialen Grundrechten zu tun. Soziales "Grundrecht" legt zwar sprachlich, aber keineswegs begrifflich Formeln wie "Grundsicherung" nahe. Es geht eben nicht um ein Minimum zur Existenzsicherung, sondern um den gesellschaftlichen Maßstab von Menschenwürde - und diese ist nicht durch Armutsgrenzen, sondern deren Definitionsmaßstab bestimmt.
Notwendige Arbeit - wenn sie denn die Not auch wendet
Das Programm des bedingungslosen Grundeinkommens formuliert - sozusagen aufs Ganze gebracht - diesen bürgerrechtlichen Ansatz und bringt damit den Citoyen nicht nur gegen den Bourgeois, sondern auch gegen den Proletarier in Anschlag. Während umgekehrt die vorherrschenden Traditionen der ArbeiterInnenbewegung und deren Marxismus den Proletarier gegen den Citoyen ins Spiel bringen. Wenn man so will, bringt die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen eine bürgerliche Utopie gegen die real existierende bürgerliche Gesellschaft ins Spiel. Als bürgerliche Utopie ist sie aber - und das macht die Paradoxien aller Debatten um ein bedingungsloses Grundeinkommen aus - in letzter Instanz den traditionellen sozialistischen Entwürfen einer kollektivistischen Arbeitsgesellschaft überlegen. Bleibt noch hinzuzufügen, dass auch diese Entwürfe einer arbeitszentrierten sozialistischen Gesellschaft nicht zuletzt durch die sozialen und ArbeiterInnenbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg erhebliche Einbußen erleiden mussten.
Als Utopie im klassischen Sinne einer Civil Society räumt das bedingungslose Grundeinkommen erst einmal den BürgerInnenrechten die Dimension von vollen Entfaltungsrechten ein. Es handelt sich dann eben nicht mehr um rein politische Abwehrrechte - im liberalen Sinne: gegen den Staat - oder Minimalbedingungen vom Leben am Rande der Armut. Es ginge stattdessen ums Ganze der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe. Anders gesagt, ist es der uralte Traum einer Wirtschaft - mitsamt der Arbeit darin -, die nach Maßgabe gesellschaftlicher Vereinbarung gestaltet wird. Es ist dann der Traum, dass die Wirtschaft der Gesellschaft dient und nicht umgekehrt.
So paradox diese Wendung eines bürgerrechtlichen Ansatzes gegen die bürgerliche Gesellschaft ist, so paradox ist wiederum die Nähe eben dieses Ansatzes zu manchem Überlegungen, wie sie auch bei Marx ihren Ausgang - aber nicht ihren Ursprung - gefunden haben. Dass es sich bei einer an den Bedürfnissen orientierten Produktion weiterhin um "notwendige Arbeit" handelt, hat mitnichten etwas zu tun mit der "gesellschaftlich notwendigen Arbeit" im Reproduktionszusammenhang des Kapitals. Was Not tut, weil es die Not wendet, ist als "Arbeit" ganz wo anders zu thematisieren, als es der traditionelle marxistische Diskurs tut. Eine mittlerweile Jahrzehnte alte feministische Kritik des Arbeitsbegriffs als Reduzierung auf Erwerbsarbeit, aber auch deren Aufnahme und Verallgemeinerung etwa in den unermüdlichen Interventionen von André Gorz und anderen KritikerInnenn der Arbeit, müsste das doch längst allen Beteiligten an solchen Diskussionen beigebracht haben.
Produktion des Bedarfs - das Konkrete einer Utopie
Die eben nicht rhetorische, sondern auf ihn selbst zurück weisende Frage, was es denn mit der Kritik am Was und Wozu der Produktion auf sich hat, stellt sich jemand wie Michael Schlecht offenbar nicht: Dass eben nicht diejenigen dazu berufen sein werden, die Alternativen vorzuschlagen, die sowieso das alles produzieren, sondern jene, die diese Alternativen dringend brauchen. Was notwendig ist, was also die Not wirklich wendet, liegt schließlich nicht in der "Selbstentfaltung" im Arbeitsprozess begründet. Sondern ganz im Gegenteil dort, wo Menschen für ihr gemeinschaftliches Leben Produkte oder Dienstleistungen benötigen, zu ihrer Selbstentfaltung. Nicht eine ArbeiterInnenselbstverwaltung der Produktion, sondern eine Verwaltung der Arbeit durch jene, die deren Produkte benötigen, wäre das Ziel einer wirklich radikalen Umwälzung.
Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist aus demselben Grunde schwach und stark. Sie ist schwach, weil sie sich auf der Forderungs- oder Modellebene an Instanzen richten muss, die eben fürs Gegenteil eingerichtet und darauf auch existenziell angewiesen sind. Sie ist umgekehrt stark, weil sie sich genau an deren Legitimationsbasis richtet. Gerade im utopischen Potenzial einer Forderung, die sich nicht zufrieden gibt mit einer Stilllegung der Dialektik von bürgerlicher Revolution - deren Freiheitsversprechen - und Emanzipation, ist sie ausgesprochen stark. Im Grundentwurf, dass sich die Ausgestaltung der Produktion legitimieren muss anhand des gesellschaftlichen Bedarfs, ist sie sogar genuin sozialistisch, allerdings im libertären Sinne.
Nicht in der Frage: "Wer soll das bezahlen?", sondern: "Wie, auf welchem Wege durchsetzen?" liegt die Crux, die freilich die traditionellen KritikerInnen aus der Linken erst gar nicht an sich heran lassen. Möglicherweise sind diese derart in der bürgerlichen Gesellschaft befangen, dass sie selbst deren Utopie verwerfen müssen. Dann hätten sie aber für eine eigene kaum noch Zeit und Raum.
Martin Dieckmann
Anmerkungen:
1) betrieb & gewerkschaft. Zeitung der AG Betrieb & Gewerkschaft der Linkspartei.PDS, Dezember 2005