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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 502 / 20.1.2006

Einzigartige und innovative Methoden

Im "Krieg gegen den Terror" untergraben die USA systematisch menschen- und völkerrechtliche Regeln

"Wir foltern nicht", behauptet Georg W. Bush. Der US-Präsident reagierte damit auf die Anschuldigungen der Washington Post, wonach US-Geheimdienste Menschen entführen, um sie außerhalb der USA in geheimen Gefängnissen zu misshandeln. Seit 2001 habe die CIA zeitweise in acht Ländern Foltergefängnisse unterhalten - auch in Europa, so die US-Zeitung. Die Erkenntnis, dass der US-Geheimdienst mutmaßliche Terrorverdächtige in einem Netzwerk geheimer Haftanstalten außerhalb der USA festhält, ist jedoch nicht neu - ebenso wenig wie die Tatsache, dass die US-Behörden in ihrem "Krieg gegen den Terror" die Genfer Konventionen über die Behandlung von Kriegsgefangenen wie auch die UN-Konvention gegen Folter verletzen.

Seit dem 11. September 2001 sind Tausende Menschen im Zuge des "Kriegs gegen den Terror" verhaftet und über längeren Zeit ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten worden. Viele nur für einige Tage, manche für mehrere Monate, einige für Jahre. Seit Ende 2001 haben die USA etwa 70.000 Menschen in unterschiedliche Haftanstalten unter US-Kontrolle außerhalb ihres eigenen Staatsterritoriums festgesetzt. Zu über 95 Prozent handelt es sich um Iraker und Afghanen. Nach Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) aus dem Jahr 2004 waren 70 bis 90 Prozent der festgenommenen Personen im Irak "versehentlich" in Haft. Von den 43.000 Irakern, die bis zu diesem Zeitpunkt inhaftiert worden waren, wurden lediglich 600 den irakischen Behörden zur Strafverfolgung übergeben. (Washington Post, 11.5.04) Offiziell heißt es, momentan seien 14.500 Menschen im Gewahrsam der US-amerikanischen Militärbehörden, davon 13.800 im Irak und etwa 500 im Lager Guantánamo auf Kuba. (Guardian, 18.11.2005)

Daneben gibt es noch eine unbekannte Anzahl von Personen, die an geheimen Orten festgehalten werden. Zu diesen so genannten Ghost detainees, Geistergefangenen, gehören laut der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: Abu Zubaida, ein Vertrauter von Osama Bin Laden, Abdel Rahim al Naschiri, der mutmaßliche Drahtzieher des Attentats auf das Kriegsschiff USS Cole, sowie Khalid Scheich Mohammed, der mutmaßliche Architekt der Anschläge vom 11. September 2001.

Allen Gefangenen gemeinsam ist ihre absolute Rechtlosigkeit. Sie wissen nicht, ob überhaupt und wenn ja welche Vorwürfe ihnen zur Last gelegt werden, Beweismittel werden ihnen vorenthalten, sie haben keinerlei Rechtsbeistand und keine Möglichkeit, ihre Haft vor irgendeiner Instanz anzufechten. Zumeist werden ihre Verwandten über ihren Verbleib völlig im Unklaren gelassen. Wer und wann jemand freigelassen wird, entscheiden allein die zuständigen US-Militärs und -Beamten - oder die CIA, die die meisten Haftanstalten kontrolliert.

US-Präsident Georg W. Bush ermächtigte Ende 2001 oder Anfang 2002 die CIA, einen heimlichen Krieg gegen Al-Qaida zu führen. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld autorisierte in der Folge das "streng vertrauliche" Special Access Program (SAP) mit dem Kodenamen "Copper Green". (The Nation, 17.5.04) Im Rahmen dieses Programms wurden Teams von Spezialeinheiten gebildet, deren Aufgabe es ist, Al-Qaida-Mitglieder gefangen zu nehmen oder zu töten. Die Teams bestehen aus Navy-SEAL-Angehörigen, Mitgliedern der Army Delta Force und paramilitärischen Experten der CIA. Im Rahmen von SAP wurden geheime Vernehmungszentren - so genannte black sites - in alliierten Staaten geschaffen. Fortan wurden verdächtigte "Terroristen" u.a. in Gefängnisse in Singapur, Thailand und Pakistan gebracht. "Die Kommandos ... konnten des Terrorismus verdächtige Subjekte vernehmen, die zu wichtig erschienen, um sie in die militärischen Einrichtungen in Guantánamo zu verbringen. Die durchgeführten, sofortigen Vernehmungen, oft mit der Hilfe von ausländischen Geheimdiensten - unter Gewaltanwendung, wenn nötig -, fanden in geheimen CIA-Haftanstalten auf der ganzen Welt statt", so der US-Journalist Seymour Hersh in seinem 2004 erschienen Buch "Die Befehlskette. Vom 11. September bis Abu Ghraib".

Laut Human Rights Watch haben die USA gegenwärtig mindestens 26 Personen an unbekannte Orte außerhalb der USA verschleppt. Neben den nach US-Darstellung wichtigsten Drahtziehern des 11. September finden sich auf der aktuellen Liste von Human Rights Watch bisher unbekannte Namen Verdächtiger, die in Pakistan, Afghanistan oder dem Irak gefasst wurden.

Zehntausende weltweit rechtlos im US-Gewahrsam

Vizeadmiral Albert Church spricht in einem Bericht vom März 2005 von "etwa" 30 Geistergefangenen - "so weit wir wissen". Die beiden US-Militärs General Paul Kern und Generalmajor Georg Fay schätzen hingegen, dass die Zahl der Geistergefangenen sogar bis zu 100 Personen umfasst. Diese Zahlen korrespondieren mit den Angaben, die die Washington Post am 2. November in ihrem Aufsehen erregenden Artikel über das geheime Gefängnissystem der CIA mit seinen Verästelungen bis Osteuropa machte. Demnach sollen etwa 30 "Top-Gefangene" in Geheimgefängnissen festgehalten werden, die direkt unter CIA-Kontrolle stünden. Weitere rund 70 Häftlinge seien den Geheimdiensten befreundeter Länder übergeben worden. Human Rights Watch nennt Syrien, Usbekistan, Pakistan, Ägypten, Jordanien, Saudi Arabien und Marokko. Alles Länder, die bekannt dafür sind, dass dort gefoltert wird. Zur Zeit werden mindestens elf Häftlinge in Jordanien ohne Verbindung zur Außenwelt gefangen gehalten. Hinzu kommen nach Informationen der Los Angeles Times Häftlinge, die regelmäßig aus anderen Geheimgefängnissen vorübergehend nach Jordanien gebracht, dort unter Folter verhört und anschließend zurückgeflogen werden. (11.11.05)

Wir haben niemals zuvor einen solchen Krieg geführt

Nach Angaben der Washington Post hat die CIA seit 2001 zeitweise in acht Ländern Geheimgefängnisse unterhalten (namentlich nannte sie Afghanistan und Thailand), darunter auch in zwei Staaten Osteuropas. Nach Informationen von Human Rights Watch handelt es sich dabei um Polen und Rumänien. Inzwischen soll die Mehrheit geschlossen worden sein. Anfang Januar erklärte Human Rights Watch, es gäbe noch in einem weiteren EU-Land ein Geheimgefängnis der CIA. Den Namen des Staates wollte man nicht nennen, da dort ein Überraschungsbesuch geplant sei.

Belegt ist, dass mindestens ein "Verschleppter" zu Tode kam: Der Iraker Manadal al-Jamadi starb am 4. November 2003 in Abu Ghraib während einer Befragung durch CIA-Offiziere. Der Tod wurde durch ein Blutgerinnsel im Kopf verursacht, nachdem ein Angehöriger der US-Marine ihm während des Arrestes mit einem Gewehrlauf geschlagen hatte. Zwischen Oktober 2003 und Januar 2004 waren ständig drei bis zehn Geistergefangene inhaftiert.

Erst jüngst bekräftigte US-Außenministerin Condoleezza Rice: "Wir haben niemals zuvor einen Krieg wie diesen geführt." (USA Today, 29.11.05) Die Maßnahmen der US-Administration fallen entsprechend aus. Bereits im Februar 2002 sprach Präsident Bush den in Afghanistan festgenommenen Al-Qaida- und Taliban-Kämpfern den Kriegsgefangenenstatus ab und erklärte sie zu "unrechtmäßigen Kombattanten". Die USA nehmen für sich in Anspruch, den weltweiten "Krieg gegen den Terror" nach neuen Regeln führen zu können, die es ihr erlauben, die Genfer Konventionen zu ignorieren - vor allem diejenigen Bestimmungen, die den Schutz aller Gefangenen betreffen. Ein weiterer Aspekt der Inhaftierungspolitik der USA im "Krieg gegen den Terror" ist ihr Bemühen, bestimmte Arten der Behandlung von Gefangenen als "mit körperlichem Zwang verbundene Befragungstechniken" umzudefinieren, um damit das Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu unterlaufen. Oder wie es ein US-Regierungsbeamter gegenüber dem Wall Street Journal erklärte: "Wir brauchten eine weniger verkrampfte Vorstellung davon, was Folter ist und was nicht."

Vor diesem Hintergrund entwickelten das Pentagon und seine Rechtsberater Richtlinien über erlaubte Vernehmungsmethoden und eine Liste von Verhörtechniken. In einem von dem ehemaligen stellvertretenden US-Justizminister Jay S. Bybee verfassten Memorandum vom 1. August 2002 wird Folter so eng definiert, dass viele Verhörmethoden erlaubt sind, die nach internationalen Vereinbarungen als Folter gelten. Als Folter müssten laut Bybee lediglich diejenigen Methoden gelten, die mit Schmerzen verbunden sind, "wie sie bei schweren Verletzungen auftreten, zum Beispiel beim Versagen eines Organs, der Beeinträchtigung von Körperfunktionen oder gar dem Tod".

In der Folge wurde eine ganze Reihe von Verhörtechniken offiziell genehmigt, die als Misshandlungen und bei Einsatz über einen längeren Zeitraum als Folter bezeichnet werden müssen. Dazu gehören zum Beispiel langandauerndes Verharren in Stresspositionen, Isolierung, Schlafentzug, sensorische Manipulation durch grelles Licht und laute Musik, Bedrohung mit Hunden, Scheinhinrichtungen und andere Drohungen, um Gefangene in Angst zu versetzen. Dazu gehört auch das Aussetzen von extremer Hitze oder Kälte, rassistische und religiöse Beschimpfungen, die nach Handbüchern der US-Armee "Stolz und Selbstwertgefühl brechen" sollen, das Überstülpen von Kapuzen und Verbinden von Augen und erzwungene Nacktheit.

Manche der von der US-Administration genehmigten Methoden wurden nur gegen bestimmte Häftlinge eingesetzt. Andere waren Teil der Haftbedingungen aller Inhaftierten. In der zentralen politischen Richtlinie für Inhaftierungen im Kontext des "Krieges gegen den Terror" heißt es, die im Militärgewahrsam befindlichen Gefangenen müssten "human" behandelt werden und so weit "nach militärischen Erfordernissen angemessen" auf eine der Genfer Konventionen entsprechenden Weise. Im April 2003 genehmigt US-Verteidigungsminister auf dieser Grundlage 24 "widerstandsbrechende" Techniken zur Anwendung bei "ungesetzlichen Kombattanten". Die CIA wurde zudem ermächtigt, "unter anderen Vorschriften zu arbeiten" als das Militär. Diese Vorschriften gehen zum Teil auf ein Memorandum des US-Justizministeriums vom August 2002 zurück. Dem zufolge ist die Folter von Al-Qaida-Gefangenen "gerechtfertigt" und die Vorschriften des Völkerrechts gegen Folter könnten "im Bezug auf Verhöre verfassungswidrig sein", wenn diese Verhöre im Zuge des "Kampfes gegen den Terror" ausgeführt werden.

Und die CIA setzt diese Ermächtigung konsequent um: Gegenüber dem US-Fernsehsender ABC berichteten Agenten des US-Geheimdienstes, was das konkret heißt. Gefesselt an Händen und Füßen müssen Gefangene stehend bis zu 40 Stunden ausharren. Sie durchleiden die so genannte Kalte Zelle, in der sie nackt und bei etwa zehn Grad Raumtemperatur mit kühlem Wasser überschüttet werden. In CIA-Camps in Asien und Osteuropa werden mutmaßliche Al-Qaida-Kämpfer dem so genannten Waterboarding ausgesetzt: Die Füße nach oben, den Kopf in Zellophan gewickelt, wird dem Opfer Wasser über Gesicht und Oberkörper gegossen. Weil der Häftling in Panik gerät und glaubt, er ertrinke, beginnt er zu reden. Dennoch: "Die Agency foltert nicht", stellte CIA-Direktor Porter Goss kategorisch fest. "Wir nutzen rechtmäßige Möglichkeiten, um entscheidende Informationen zu sammeln. Das tun wir mit einer Vielzahl einzigartiger und innovativer Methoden." (Süddeutsche Zeitung, 24.11.05)

mb.

Weitere Informationen:

Human Rights Watch: The Road to Abu Ghraib, June 2004; Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein/Holtfort-Stiftung: Strafanzeige ./. Rumsfeld u.a., Berlin 2005; amnesty international: Grausam. Unmenschlich. Entwürdigt uns alle. Stoppt Folter und Misshandlungen im "Krieg gegen den Terror", Bonn 2005