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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 503 / 17.2.2006

K-Gruppen und Antizionismus

Replik auf "Versöhnung mit den Nazi-Tätern?" in ak 502

In ak 502 formulierte Js. einige Einwände gegen Gerhard Hanlosers Aufsatz "Bundesrepublikanischer Linksradikalismus und Israel - Antifaschismus und Revolutionismus als Tragödie und als Farce", abgedruckt in dem Buch "Sie warn die antideutschesten der deutschen Linken" und im Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte. In dem folgenden Beitrag antwortet Gerhard Hanloser mit einer Kritik der Kritik. Eine systematische Auseinandersetzung mit der Nahostpolitik des Kommunistischen Bundes (KB) ist in Vorbereitung.

In seiner Kritik der von mir entwickelten Position zur linksradikalen Zionismuskritik setzt Js. sich positiv von den Publizisten aus der antideutschen Szene ab, indem er sich darum bemüht, meine Position korrekt wiederzugeben. Dass es auch anders geht, zeigt ein ohne Sinn und Verstand, dafür mit einer nötigen Portion Demagogie herunterfabulierter Beitrag von Joachim Bruhn in konkret 8/2005, worin er mich als "Pro-Deutschen" etikettiert, bei dem er eine "jeder Reflexion auf den Nazifaschismus zuwiderlaufende Leidenschaft" diagnostiziert, "mit der er (also ich, G.H.) sich der Ausarbeitung eines ... ,emanzipatorischen Antizionismus` verschreibt." In dem ak-Beitrag von Js. werde ich von ganz anderer Seite und mit weitaus realitätsnäheren und gewichtigeren Argumenten unter Beschuss genommen. Mangelnde Kenntnis der K-Gruppen-Geschichte wird mir unter anderem vorgehalten und besonders die Position des KB zu Israel/Palästina verteidigt. Meine Kritik des linksradikalen Antizionismus sei zu grob und zu vernichtend ausgefallen.

Die Kritikpunkte an meinem Beitrag sind teilweise richtig: der unklare Sammelbegriff "K-Gruppen" und die Verwischung von wichtigen Unterschieden, die Tatsache, dass der KB als eine etwas besondere K-Gruppe nicht ausführlich gewürdigt wurde und einige Bemerkungen auch in der Tat nicht auf den KB gemünzt waren, aber dieser als K-Gruppe von meinen Beschreibungen mit getroffen wurde. Das Anliegen, KB von KPD/AO und KPD/ML, die weitaus nationalistischer als der KB argumentierten, abzugrenzen, verstehe ich - ich denke, dass das nicht nur der Biografie von Js. geschuldet ist, sondern dass eine Verteidigung des KB auch im Sinne historischer Redlichkeit in der Kritik wichtig ist. Die Gerd Koenens und Wolfgang Kraushaars sollen uns mahnen, genauer und kritischer im ursprünglichen Wortsinn, also: genau unterscheidend in unseren Urteilen zu sein.

Dennoch zeichnet Js. ein zu positives Bild der Nahost-Politik des alten KB. Er schreibt, seines Wissens habe sich der KB nie als "antizionistisch" definiert - tatsächlich definierte sich der KB in den 1970er Jahren selbst sehr wohl als "antizionistisch" im Sinne des wiederentdeckten ML und des damaligen Drittweltismus; das teilte der KB mit allen anderen bundesrepublikanischen K-Gruppen. Erst Anfang der 1980er Jahre wurde dies zurückgenommen, und ein differenzierteres Bild von Palästina-Solidarität sollte sich durchsetzen. Dennoch titelte eine ak-Ausgabe 1982, während des Libanon-Kriegs, mit der Hauptschlagzeile "Die Endlösung der Palästinenserfrage", und noch 1992 wollte eine KB-Mehrheit der RZ-Auflösungserklärung und ihrer scharfen Kritik ihrer eigenen "antizionistischen" Praxis mit merkwürdigen Begründungen nicht folgen. Dies stellten im übrigen Ereignisse dar, die zu den Anfängen einer antinationalen (Selbst-)Kritik führten, an der - ich hoffe, ich darf das sagen - nicht alles vollkommen verkehrt war.

Die Weltanschauung der internationalen Neuen Linken

Andere Kritiken von Js. gehen ins Leere und zeigen, dass mein Beitrag missverständlich und zu wenig pointiert ausfiel. Das fängt bereits mit der Überschrift von Js. Kritik an: "Versöhnung mit den Nazi-Tätern" ist als Charakterisierung des linken Antizionismus nun wirklich nicht die Hauptstoßrichtung meines Beitrags, dann hätte ich mich gleich mit bürgerlichen Historikern oder Ex-Linken wie Ingrid Strobl und den heutigen Antideutschen gemein machen können - ich wende mich vielmehr gegen diese psychologisierende Pseudo-Ideologiekritik. Ich beschreibe, dass der "linksradikale Antizionismus" - der in der Tat eine allgemeine Weltanschauung der internationalen Neuen Linken war - in Deutschland "auch als Gegenbewegung zum vorherrschenden Philosemitismus gerade die Entlastung von der Vergangenheit zurückwies" - Eike Geisel und Mario Offenberg sind mir hier in ihrer antizionistischen Phase Positivbeispiel, ihr Antizionismus, den ich als "emanzipatorischen Antizionismus" bezeichne, war gerade nicht von einem Exkulpationsbedürfnis geprägt, sondern Anklage des Heuchel-Philosemitismus, wobei sie in manchen Aussagen über die Stränge schlugen oder zeitbedingt blind waren. Doch eine Beschäftigung mit der Besonderheit der Situation im Postfaschismus verband sich in ihren Schriften mit einem universalistischen Linksradikalismus. Ihre damalige, auf revolutionäre Überwindung des nahöstlichen Schlamassels gerichtete Position ist sympathisch und alles andere als regressiv-nationalistisch, ähnlich übrigens wie die der von mir zitierten Situationistischen Internationale. Dass nicht wenige aus der ML-Bewegung in ähnlicher Absicht argumentierten, will ich gar nicht in Abrede stellen. Mit einem revolutionär-universalistischen Standpunkt, der sich natürlich nicht mit der ein- und ausschließenden Ideologie eines jüdischen Nationalismus identisch erklären kann, habe ich im Gegensatz zu den bürgerlichen Kritikern des Antizionismus keine Probleme.

Doch der Antizionismus hatte in der deutschen Linken auch eine diametral andere Funktion. So spreche ich auch von "zweierlei Antizionismus". Js. reißt leider meine Sätze zum Antizionismus als Exkulpationsmanöver aus dem Zusammenhang. Ich spreche an keiner Stelle von einem "ML-Antisemitismus". Nicht bereits der Antizionismus als solcher wird von mir als Exkulpationsmanöver bezeichnet, sondern der Kontext, in dem dieser "Antizionismus" auftrat, scheint mir ebenso wichtig zu sein wie die aus der Argumentation ersichtliche Intention. Hier ist es von Bedeutung, dass gerade die ML-Linke nationale Befreiungsbewegungen überall und besonders in Palästina hofierte (wenige Linksradikale wie Situationisten, Rätekommunisten, einige Anarchisten taten dies nicht), den Zionismus aber niemals als nationale Befreiungsbewegung der Juden rezipieren konnte. (1)

Ich stelle "die Neue Linke" eben nicht kollektiv unter Anklage, sondern grenze den Mao-Volks-Nationalismus und den ML-Spuk von der anti-autoritären Phase der Studentenbewegung ab. Aggressive Abkehr von Kritischer Theorie, positiver Volksbegriff, positiver Arbeitsbegriff, nationalistischer Drittweltismus und das mit Leidenschaft verfolgte Anliegen, aus den Opfern der Faschisten selbst Faschisten zu machen, führen in meiner Darstellung der Entwicklung der deutschen Linken dazu, dass ich den Faschismusvorwurf an "die Zionisten" nicht mehr wohlwollend als "Instrumentalisierung des Faschismusbegriffs zum Zweck der Anklage von aktuellem Unrecht" werten kann. Ich schreibe: "Die Leidenschaft, mit der einige Autoren (einige! also nicht: kollektiv! nicht einmal: alle K-Gruppen!) den Zionismus selbst als faschistisch denunzierten oder zumindest der Kollaboration mit Faschisten überführen wollten, geht weit über diese Erklärung hinaus und lässt sich nur als Exkulpationsmanöver interpretieren." Ich bin mir der Schwierigkeit solcher spekulativer Vermutungen bewusst, aber welche Interpretation hätten denn "die Älteren" wie Js. anzubieten?

Stalinistischer Antizionismus ist Antisemitismus

Noch eine Bemerkung zur Frage des Tätervorwurfs und der Versöhnung mit den Eltern: Ich gebe Js. Recht, dass für viele faschistische Eltern die Hinwendung ihrer Zöglinge zum Stalinismus und Maoismus der K-Gruppen einer Art "Höchststrafe" gleichkam, - ich kann das aus biografischen Gründen nicht beurteilen, aber nachvollziehen. Doch stalinistischer "Antizionismus" ist eben - im Unterschied zu einer eher aus dem Anarchismus oder der inner-jüdischen Tradition des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes herrührenden antinationalistischen Position - Antisemitismus und nichts anderes. Im übrigen berühren wir hier auch ein anderes Thema, nämlich das der Bewertung der K-Gruppen und dem Ende der anti-autoritären Phase der Studentenbewegung: Hatte nicht das propere Haareabschneiden und das selbstdisziplinierende Arbeitengehen der MLer im Vergleich zur antiautoritären Revolte von 1967/68 einen enorm autoritären und konformistischen Zug, der auch bei den autoritären Eltern ganz gut hätte ankommen können?

Und darüber hinaus: Wenn der Tätervorwurf der K-Gruppen-Jungrevolutionäre an ihre Eltern sich nur in der Behauptung "Kapitalismus führt zum Faschismus" erschöpft, wie Js. in positiver Absicht heranzieht, bleibt eben das wichtige Motiv der "normalen Männer", der "kleinen Leute", die als Deutsche im NS auch ihren Platz finden wollten und teilweise konnten, unbeachtet. Interessant ist doch, dass der schematische und unhistorische ML-Klassenbezug in der Revoltbewegung die teilweise genaueren, auch psychoanalytisch argumentierenden Ansätze der Kritischen Theorie (Stichwort: "autoritäre Persönlichkeit") ablöste.

In meinem Artikel signalisiere ich aber auch Verständnis für den über-allgemeinen Faschismusbegriff und dafür, angesichts einer staatsoffiziellen Erinnerungspolitik in den 1960ern und 1970ern, die vom Kapitalismus natürlich nicht reden will, auf die "Schuld" der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise am Emporkommen des NS-Faschismus hinzuweisen. Das wäre auch meine Kritik an Götz Aly, der viele Erkenntnisse der linken Faschismustheorie aus den 1960er und 1970er Jahren verdrängen will und nur noch den "kleinen Mann" gut im NS aufgehoben sieht. Beides zusammenzudenken: die klassenübergreifende Verstrickung der meisten Deutschen und die den NS tragenden (Klassen)Strukturen wäre heutzutage Aufgabe einer adäquaten Faschismustheorie, die weder wie Götz Aly das Großkapital und die Eliten entlastet noch wie die wenigen übrig gebliebenen linken Dogmatiker vom Massen- und "Volksstaatscharakter" des NS nichts hören will.

Gerhard Hanloser

Anmerkung:

1) Ein hervorragender Aufsatz, der dies leistet, ist: Le Brice-Glace: Der Zionismus, Missgeburt der Arbeiterbewegung. In: Thekla 14: Ölwechsel (Schriften von Wildcat)