Pride and presence
Szenen aus dem schwullesbischen (Straßen-)Leben in Südafrika
Nach dem Ende der Apartheid gab sich Südafrika als erstes Land weltweit eine Verfassung, die die Rechte von Lesben und Schwulen explizit verankert. Südafrika setzte somit auf Verfassungebene konsequent das Prinzip der Gleichstellung aller Bürgerinnen und Bürger um. Gleichzeitig wurde die südafrikanische Verfassung zu einer Art Wegweiser für schwullesbische Organisationen in anderen Länder.
Was sich als eine konsequente Umsetzung der regierenden ANC-Politik lesen lässt, war in der Tat das Ergebnis eines jahrelangen Kampfes und konsequenter Einmischung in den verfassungsgebenden Prozess - von Organisationen, Bündnissen und Einzelpersonen. Diese Kämpfe waren zum öffentlich geführten und in gewissem Maße auch postkolonialen Diskurs gegenläufig. Denn trotz aller gesetzlich verankerten Rechte: Die Lebensrealitäten von Schwulen und vor allem von Lesben in Südafrika sehen anders aus.
Der Diskurs über Homosexualität ist in der südafrikanischen Kultur und im sozialen Leben nach wie vor kontrovers. Einige Politiker im südlichen Afrika sowie ein signifikanter Teil der Bevölkerung in Südafrika selbst proklamieren Homosexualität als "unafrikanisch". Insbesondere schwarze Lesben werden zunehmend Ziel von so genannten "Hate Crimes". Gleichzeitig aber nimmt auch ihre Repräsentation im öffentlichen Raum zu. Insofern scheint die Gewalt eine Reaktion darauf zu sein, ein Versuch der sozialen Kontrolle. Während schwarze Lesben in der Zeit der Apartheid kaum in den Lesben- und Schwulen-Organisationen vertreten waren, wird ihre Organisierung im Post-Apartheid-Südafrika zunehmend sichtbar.
Von Pride March zu Pride Parade
Die Geschichte von Lesben und Schwulen in Südafrika, die nicht nur mit Sexualität, sondern vor allem auch mit "Race" und gender zu tun hat, lässt sich wunderbar an der Geschichte des Prides (1) in diesem Land erzählen, der im letzten Jahr 16 Jahre alt wurde. Der erste Pride in Südafrika war gleichzeitig der erste auf dem afrikanischen Kontinent und fand 1990 in Johannesburg statt, organisiert von Glow (Gay and Lesbian Organisation of the Witwatersrand), einer Organisation, die in den 1980ern von dem inzwischen an AIDS verstorbenen Simon Nkoli gegründet worden war. Glow war eine der ersten und einflussreichsten Gruppen, die nicht nur für die Rechte von Schwulen und Lesben eintrat, sondern diese Forderungen mit dem weiter gefassten Kampf gegen Diskriminierung verband; mit dem Kampf gegen das Apartheidregime also, das den Rassismus institutionalisierte und gesetzlich verankerte. Aus genau diesem Grund fanden sich in Glow Leute wieder, die sich in anderen, bewusst als unpolitisch definierten, vornehmlich weißen schwulen Organisationen entfremdet fühlten - das heißt, viele schwarze Schwule und Lesben fühlten sich durch Glow repräsentiert.
Das Dilemma zwischen der vorwiegend rassistischen Community von Schwulen und Lesben auf der einen und der vorwiegend homophoben Anti-Apartheidbewegung auf der anderen Seite schien in dieser Gruppierung überwunden zu sein. Und so demonstrierten im Jahre 1990 fast 800 Lesben und Schwule durch die Innenstadt von Johannesburg, in der ein Großteil der schwulen Subkultur in Form von Clubs und Saunas zu finden war, und forderte ihre Rechte im Kampf gegen Homophobie. Dieser erste Erfolg setzte sich in den folgenden Jahren fort und so wuchs der Pride auf circa 15.000 Teilnehmende im Jahre 2004 an.
Aber nicht nur die Anzahl der TeilnehmerInnen veränderte sich über die Jahre, auch die politische Ausrichtung. Während in den ersten Jahren der Name "Pride March" beibehalten wurde, was eine gewisse Politisierung dokumentierte, transformierte er sich später in die entpolitisierte Losung "Pride Parade". Diese Entwicklung widerspiegelnd veränderte sich auch die Route. Sie führte nicht mehr, wie anfangs, durch Hilbrow - eine geschichtsträchtige Gegend, geprägt von Anti-Apartheidbewegungen ebenso wie von der schwulen und lesbischen Community, in der gleichzeitig eine Bevölkerungsdichte zu finden ist, die typisch für die Zentren von Metropolen ist. Stattdessen wurde der Pride in den letzten Jahren ausgelagert in die nördlichen Vororte, die gekennzeichnet waren von hohen Mauern, die jeglichen Blick auf die dahinter liegenden Häuser verbergen und dementsprechend auch den (weißen) Blick derer, die in jenen Häusern leben, auf die Parade.
Der Pride endete schließlich im Zoo Lake Park, einer über Jahre hinweg bekannten Cruising-Zone. Dass für diesen Bereich dann auch noch Eintritt verlangt wurde, macht deutlich, welches Publikum angesprochen werden sollte: das weiße und wohlhabende, das in diesem Geschehen sichtbar dominierte. Ein Publikum, das unbeeindruckt von der Tatsache schien, dass die Mehrheit der schwarzen Community außerhalb des Geschehens stand, reduziert zu Zaungästen.
Im letzten Jahr wurde nun der erste Versuch seit langem unternommen, die unterschiedlichen Communities in der Innenstadt vor Publikum zusammenzuführen - und zwar durch die Straßen, von denen eine in Gedenken an Simon Nkoli dessen Namen trägt. Das wird einige aus der weißen Community abgeschreckt haben, am Pride teilzunehmen. Gleichzeitig hat der Pride aber auch dazu geführt, dass die Diversität der Communities sichtbar wurde und denjenigen, die immer noch behaupten, Homosexualität sei nicht afrikanisch, sondern ein dekadentes westliches Produkt, hat er seine ganze Reihe Argumentationsmöglichkeiten genommen.
Der Pride 2005 begann am Constitutional Hill, dem Wahrzeichen der Verfassung im Post-Apartheid-System Südafrikas und damit eben auch einer Verfassung, die die Rechte von Schwulen und Lesben ausdrücklich im Grundrechtskatalog verankert hat. Der Constitutional Hill ist der Ort, an dem die rechtliche Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung wegen sexueller Orientierung Schritt für Schritt in Gesetzestexte übertragen wurde. Von diesem symbolträchtigen Ort ging es dann direkt durch die Innenstadt zu den sogenannten "Heartlands", einer Ausgehmeile für Schwule und Lesben, in der sich unterschiedliche Clubs aneinander reihen, die nach dem Pride darum konkurrierten, die beste After-Party zu bieten.
Ist Homosexualität "unafrikanisch"?
Die Stimmung war dementsprechend beflügelt. Die Diversität innerhalb der lesbischen und schwulen Communities spiegelte sich in den Demonstrierenden wider und obwohl sich wie in den Jahren zuvor ein vorwiegend weißes und schwules Bild darbot, war doch die Repräsentation von schwarzen Schwulen und Lesben nicht zu übersehen. Vor allem ein Wagen war auffällig, organisiert von FEW, dem Forum for the Empowerment of Women, der einzigen schwarzen Lesbenorganisation im Lande.
Ein Großteil der Lesben auf dem Wagen ist noch recht jung, für einige war es der erste Pride, an dem sie teilnahmen. Viele kamen aus den umliegenden Townships, in der nahen Umgebung Johannesburgs. Sie hatten mehrheitlich an den von FEW und anderen Organisationen angebotenen Workshops zu "Lesbischen Gender Identitäten", "Sexualität und Gesundheit" und "Bisexualität" teilgenommen, um nur einige der Workshopthemen zu nennen, die in der Woche vor dem Pride das Rahmenprogramm füllten. Die meisten waren noch euphorisch vom Abend zuvor, an dem die "Miss Lesbian"- und die "Miss Gay Soweto"-Wahl im Simply Blue stattfand, dem einzigen Club in den Heartlands, der vorwiegend von Schwarzen frequentiert wird. Ein Großteil von ihnen hatte sich selbst zur Wahl gestellt und so war die Stimmung vom Vorabend noch immer zu spüren.
Auch die drei Gewinnerinnen, sichtbar an ihren Schärpen, präsentierten sich auf dem FEW-Wagen. Die "Queen Miss Lesbian", gleichzeitig die einzige Femme unter den Kandidatinnen, motivierte das Trüppchen zu einer neuen Version des Songs "I'm an Englishman in New York" von Sting: "I'm a lesbian, I'm a legal lesbian, I'm a lesbian in Joburg". Und so war der Wagen nicht nur der einzig sichtbar politische, es war auch ein Wagen, auf dem afrikanische Tradition mit der relativ jungen Geschichte einer urbanen lesbischen Subkultur zusammentraf: in Leder gekleidete Dykes vereint mit traditionell/afrikanisch gekleideten Lesben, einige im traditionellen Zulu-Gewand, andere wiederum erkennbar als Sangomas gewandet, den traditionellen HeilerInnen Südafrikas.
Gerade die Sangomas spiegeln eine interessante Tradition von gleichgeschlechtlichen Beziehungen bzw. gleichgeschlechtlicher Intimität in der Gesellschaft wider. Sangomas besitzen spirituelle und heilende Kräfte, die von ihren Vorfahren vermittelt durch sie hindurch wirken. Während mehrere Vorfahren für diese Kräfte verantwortlich sind, ist einer dominant. Jede Sangoma hat das Recht auf eine so genannte "ancestral wife", das heißt, sie kann eine andere Frau heiraten, die ihr bei der Ausübung ihres Berufes zur Seite steht, sie also unterstützt. In einigen Fällen sind diese Beziehungen zu der Ehefrau intim und sexuell. Zurückgeführt wird diese Intimität auf den dominanten Vorfahren, der die Sangoma unter anderem im Traum regelrecht auffordert, nicht einen Mann zu heiraten, sondern eine Frau. Aufgrund des Glaubens an die Vorfahren und der damit einhergehenden tiefen Erfurcht vor ihnen wird diesen gleichgeschlechtlichen Beziehungen, die nicht zwingend eine lesbische Identität widerspiegeln, gesellschaftlich mit einer erstaunlichen Akzeptanz begegnet - eine Akzeptanz, die anderen Lesben weiterhin verweigert wird.
Selbstbewusstsein provoziert Angriffe
Die augenscheinliche Diversität auf dem Wagen und um ihn herum wurde von ebenso unterschiedlichen Liedern begleitet, die mal auf englisch, mal auf Zulu zu hören waren. Doch diese Stimmung wurde plötzlich unterbrochen von einem dumpfen Geräusch, das, wie sich kurze Zeit später rausstellte, von einer Flasche verursacht wurde, die von einem der Hochhäusern der Innenstadt auf genau diesen Wagen geworfen wurde. Die Flasche traf eine der jungen Lesben, die am Abend vorher noch an der Miss-Lesbian-Wahl teilgenommen hatte und unter anderem zu ihrer persönlichen Antwort auf "Hate Crime" befragt wurde. Die Flasche hatte nicht nur eine enorme Kraft durch den langen Fall, ihr Hals war vorher abgeschlagen worden, was sie zu einer fast tödlichen Waffe machte. Sie traf die Frau am Hals, die sofort blutüberströmt zusammenbrach. Glücklicherweise war eine der Anwesenden Krankenschwester und konnte die Blutung zumindest einschränken. 15 Minuten später waren Sanitäter zur Stelle.
Der Angriff wurde von den Anwesenden als ein Angriff gegen die Sichtbarkeit von Lesben verstanden, die selbstbewusst und stolz eine Alternative zu und von daher auch eine Bedrohung von Heterokultur und -Normalität darstellen. Jeder der Anwesenden auf dem Wagen war bewusst, dass es auch sie hätte treffen können. Zugleich wurden Erinnerungen an die zehn Fälle von Übergriffen und Vergewaltigungen im Anschluss des Prides 2000 wachgerufen.
So bleibt zu befürchten, dass diese Attacke denjenigen Schwulen und Lesben als Argument dienen wird, die den Pride wie die Jahre zuvor wieder aus der Innenstadt heraus in die Vororte bringen wollen. Denn immerhin ist die schwul-lesbische Community in Südafrika nicht nur nach sozialem Geschlecht gespalten, sondern vor allem und in erster Linie an der Frage von "Race". Diese Trennung und die damit einhergehende Diskriminierung spiegelt sich nicht nur in den Clubs und den Organisationen wider, sondern kommt vor allem auch in der Geschichte des Prides selbst zum Ausdruck.
Auf der anderen Seite ist der Pride zu einer Zeit ins Zentrum zurückgekehrt, in der die Club-Meile Heartlands neu definiert wurde - nicht zuletzt auch im Rahmen der Bewerbung für die Gay Games im Jahre 2010, um die sich Johannesburg vergeblich gegen Köln beworben hatte. Es bleibt abzuwarten, ob diese Rückkehr in die Innenstadt tatsächlich eine Anerkennung der Divsersität und der politischen Wurzeln des Prides darstellt oder ob es sich nicht vielmehr um eine strategische Entscheidung handelt, mit dem Ziel, die mehrheitlich von weißen Schwulen frequentierte Clubszene neu zu definieren. Die nächsten Jahre werden das zeigen.
Henriette Gunkel
Anmerkung:
1) Pride: traditionsreiche, weltweit durchgeführte schwul-lesbische Demonstrationen, z.B. am "Christopher Street Day".