Schritt aus der Sackgasse
Kritische Weißseinsforschung analysiert die Konstruktion von Weißsein
Weißsein ist unmarkiert und normal, Weißsein ist unreflektiert. Die kritische Weißseinsforschung untersucht wie diese Norm - das Weißsein - hergestellt wird. Im Unterschied zu klassischen Rassismustheorien, die in erster Linie die Konstruktion des "Anderen" analysieren, nimmt sie das System weißer Dominanz und deren unsichtbar gemachter Herstellungsprozesse unter die Lupe. Als Bestandteil postkolonialer Forschung gaben die Criticial White Studies in den USA (und Großbritannien) wichtige Impulse, die sich ganz allmählich und vereinzelt auch an Universitäten in Deutschland niederschlagen. Nun ist die erste breite deutsche Anthologie zum Thema herausgekommen, an der über 40 AutorInnen aus verschiedenen Disziplinen mitgearbeitet haben.
Größe, Alter, Geschlecht, Beruf - das sind gewöhnlich die Kategorien, mit denen sich Menschen hier zu Lande charakterisieren. Weißen (1) würde es kaum in den Sinn kommen, auch ihr Weißsein als konstitutiv für ihre Identität anzusehen. Gleichwohl liegt die Identifikation mit Weißsein immer abrufbereit. In aller Regel fassen Weiße Weißsein als Normalität auf - und reflektieren die damit verbundenen Privilegien und Vorteile nicht. Trotz der Erkenntnis, dass es keine Menschenrassen gibt, muss der Tatsache, dass sich unterschiedliche sozialpolitische Identitäten herausgebildet haben, Rechnung getragen werden, so lautet der Tenor der vier Herausgeberinnen des Sammelbandes "Mythen, Masken und Subjekte". Kolonialismus und Rassismus haben eine Realität der Ungleichheit hergestellt. Das Rassenkonzept hat soziale, ökonomische, psychologische und politische Fakten geschaffen, die hartnäckig die Wahrnehmung der Welt strukturieren.
Um diesem Herrschaftsverhältnis emanzipatorisch zu begegnen, bedarf es nicht nur des vielfältigen Widerstands von Schwarzen, sondern auch der offensiven Auseinandersetzung der Weißen mit dem Weißsein und den daran geknüpften Privilegien und rassistischen Grundmustern. Eine sogenannte Farbenblindheit und die Auffassung "ich sehe keine Unterschiede, für mich sind alle Menschen gleich" helfe hier nicht weiter, schreibt Fatima El-Tayeb. Oft würden die "Unterschiede" implizit als natürlich angenommen, über die in dem liberalen Diskurs so großzügig hinweggesehen werde. Deren Herstellungsprozesse gerieten so aus dem Blick, Ursachen und Konsequenzen dieses Rassifizierungsprozesses, die sich nicht auf diese "Unterschiede zurückführen lassen, könnten dann nicht mehr benannt werden, so El-Tayeb. Die Historikerin weist außerdem explizit auf die politische Auseinandersetzung Weißer AntirassistInnen hin, bei der sich von einem Rassismus distanziert wird, der entweder in der Vergangenheit oder bei anderen (weniger gebildeten/progressiven/weitgereisten) Weißen verortet wird, aber sicher nicht innerhalb eines linken Diskurses oder der eigenen Identitätskonstruktion.
Zentrales Konzept dieses dicken und dicht bedruckten Bandes ist es deshalb auch, vor allem Schwarze Perspektiven auf das Thema vorzustellen. Die vier Einführungsbeträge der Herausgeberinnen umreißen das Thema Weißsein und beleuchten verschiedene Problematiken, etwa die Gefahr einer Weißen Vereinnahmung der Weißseinsforschung. Auch oft gehörte Weiße Abwehrstrategien gegen das explizite Markieren des Weißseins werden hier gut auf den Punkt gebracht (u.a. in Deutschland sei doch nicht alles so "schwarz-weiß", die Kolonialzeit sei kurz gewesen und in Distanz zum Nationalsozialismus (Arierkonstruktion) könne man sich doch nicht als Weiß markieren oder schließlich das Argument, Weiß sei doch nicht gleich Weiß, man müsse doch die soziale Ungleichheit berücksichtigen).
Im ersten Teil kritisiert Arnold Farr das Universalitäts-Postulat in der Philosophie als eine unzulässige Abstraktion von der Positionalität, die jedes Subjekt im macht-asymmetrisch strukturierten sozialen Raum einnimmt. Der Assistant Professor für Philosophie in den USA erklärt dazu: "Weiße PhilosophInnen haben das Privileg, sich selbst als Menschen und nicht als rassifizierte Wesen oder als rassische Kategorie zu erfahren. Der Luxus, sich selbst als Menschen und nicht als rassifizierte Wesen zu etablieren, ist von Anfang an das Ergebnis von Rassifizierung."
Facettenartig nähern sich die weiteren Beiträge dem bundesrepublikanischen Alltag. Warum gibt es so wenige Schwarze Anwälte? Was sind die historischen Hintergründe von Schwarzen Frauen in Pflegeberufen? Auf welchen Widerstand stoßen kritische Schwarze an deutschen Universitäten? Wo steht Schwarze Musik in Deutschlands Weißem Mainstream? Und warum werden angehende Schwarze TherapeutInnen über ihre Haltung, ihre Distanz zu Schwarzen und Weißen KlientInnen befragt, Weiße jedoch nicht?
Nicht immer ist der Fokus dabei klar auf die Konstruktion des Weißseins gerichtet, dennoch bieten die Texte kleinere und größere Mosaiksteine dafür, wie sich Weißsein im Alltag als Normalität und Selbstverständlichkeit herstellt. Nismat Cherat schildert eindrucksvoll die Erfahrungen Schwarzer SchauspielerInnen und die einschlägigen Auswahlverfahren der DramaturgInnen an deutschen Theatern. Die Schauspielerin schreibt: "Für Schwarze KünstlerInnen ist es besonders schwer, sich außerhalb der gängigen Klischees zu bewegen, da wir meistens dann zum Einsatz kommen, wenn es darum geht, politische oder soziale Missstände aufzuzeigen." Sie stellt fest, dass auch an deutschen Theatern Schwarze SchauspielerInnen in aller Regel für Rollen engagiert werden, die "eindeutig markiert" sind. Nur selten erfolgt ein Engagement "aufgrund ihres Talentes und ihres Könnens, weil sie interessante und vielseitige SchauspielerInnen sind, und nicht aufgrund ihrer äußeren Merkmale und mit dem Hintergedanken versehen, dass sich über die Hautfarbe etwas ganz bestimmtes erzählen lässt." Klassische deutsche Rollen oder Heldinnen des bürgerlichen Trauerspiels scheinen für den Theaterbetrieb nicht mit Schwarzen KünstlerInnen besetzt werden zu können. Damit stellt sich Weißsein wieder als das Allgemeine, das Schwarzsein aber als das Besondere dar.
Aus der Sicht El-Tayebs ist die kritische Weißseinsforschung ein äußerst wichtiger Schritt aus der Sackgasse, die Paul Gilroy 1992 als "the end of anti-racism" beschrieb, da sie besser geeignet sei das Rassenkonzept zu de-essentialisieren als ein Festhalten am Sprechen für die unterdrückten "Anderen", welches (inner)weiße rassifizierte Dynamiken unhinterfragt lässt. Das Buch fasst nun zum ersten Mal ein sehr breites Spektrum an Analysen zu Weißsein zusammen, das sich explizit auf die bundesrepublikanische Gesellschaft bezieht. Neben den wissenschaftlichen Texten werden auch künstlerische Präsentationen vorgestellt: Poems, Bilder und Auszüge des Theaterstücks "Achidi Js Final Hours: This Thing happened in Aschaffenburg ....". Einzigartig für den deutschen Kontext ist auch die ausgeprägte Schwarze Perspektive.
Anke Schwarzer
Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Unrast Verlag, Münster 2005, 540 Seiten, 24 Euro
Anmerkung:
1) Die Bezeichnung Weiße und Schwarze Menschen meint hier keine essentialistische Kategorie, sondern wird als politische Strategie verwendet, mit der sich das Herrschaftsverhältnis markieren lässt.