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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 504 / 17.3.2006

Die Putzfrau war präsent, aber wie sieht sie aus?

Interview mit den OrganisatorInnen des Hamburger Euromaydays 2006

1. Mai 2005 in Hamburg: Im Anschluss an die offizielle Gewerkschaftskundgebung fand mit rund 4.000 TeilnehmerInnen die erste Euromayday-Parade in Deutschland statt. Experimentell, undogmatisch und mit viel Kreativität brachte Euromayday Schwung in die hier zu Lande sehr eingefahrenen 1. Mai-Rituale der Linken. Auch dieses Jahr gibt es in der Hansestadt wieder einen Mayday. Über die geplanten Aktivitäten haben wir uns mit den OrganisatorInnen Meike Bergmann (Euromayday), Efthimia Panagiotidis (Kanak Attak) und Frank John (kein mensch ist illegal) unterhalten. Das Gespräch führte Nicole Vrenegor.

"Ob hoch oder niedrig qualifiziert, Ausbildungen oder keine, wir arbeiten in x Jobs. Mobilität und Zeitmanagement sind unser Kapital. Produktionsmittel? Kein Problem - vom Wischmopp bis zum PC." Dies ist ein Zitat aus dem Euromayday-Aufruf 2005. Würdet ihr das heute ähnlich euphorisch beschreiben?

Efthimia Panagiotidis: Ich finde es interessant, dass die Aufzählung als euphorisch interpretiert wird. Ich würde sagen, dass es jenseits von Euphorie oder Pessimismus ist. Es drückt aus, was wir versuchen: einen Gedankenwechsel in die Prekarisierungsdebatte reinzubringen. Wir grenzen uns von einer Debatte ab, in der Prekarisierung als Armut definiert wird; man steht mit dem Rücken zur Wand und verliert alle Sicherheiten, die man mal hatte. Gegen diese Aufzählung des Elends hebt der Aufruf die positiven Aspekte hervor. Die Welt der Arbeits- und der Lebensverhältnisse verändert sich und wir können nicht auf schon errungene soziale Absicherungen zurückgreifen. Es bedarf dringend neuer Konzepte, jenseits von sozialem Klientelismus, jenseits der Formen, die es mal gab in den noch existierenden oder derzeit wegfallenden Arbeitsverhältnissen. Die ganzen Streiks, die nun stattfinden, zeigen deutlich, dass diese alten Modelle von Arbeit und sozialer Absicherung vorbei sind.

Hat sich denn die Putzfrau mit dem Wischmob angesprochen gefühlt und war auf dem Mayday präsent?

Frank John: Die Putzfrau war präsent und die Frage bleibt, wie sieht die Putzfrau aus? Sieht die Putzfrau aus wie Brigitte Mira bei "Angst essen Seele auf?" Oder ist die Putzfrau 28 Jahre alt, hauptberuflich Studentin, nebenberuflich muss sie ihr Geld mit putzen verdienen? Oder ist die Putzfrau jemand, der mehrere Jobs gleichzeitig hat, um über die Runden zu kommen, was mittlerweile die Biografie von vielen Leuten ist? Oder hat die Putzfrau keine Papiere und nimmt chic am Euromayday teil? Bei Euromayday haben wir den Versuch unternommen - und das ist ein längerer Prozess - so etwas wie ein soziales Verhältnis wieder einzuführen, in der wir Linken selbstverständlich genau so Subjekte sind wie die Putzfrau oder der Schweißer. Mit der Prekarisierungsdebatte wollen wir nicht alle gleich machen, sondern erhoffen gleichen Zugang zu geben, um debattieren zu können. Es geht darum, dass Kommunikationsräume eröffnet werden, in dem diese verschiedenen sozialen Subjekte sich Bewegungsspielraum erkämpfen und aneignen.

Ein Jahr danach erneut die Gretchenfrage: wie haltet ihr es mit den Gewerkschaften?

Meike Bergmann: Im letzten Jahr fand ein punktueller Austausch vermittelt über Einzelpersonen statt. Es gab aber nie eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften als Institutionen. Zur Zeit spielen Überlegungen, ob man gemeinsam Veranstaltungen macht oder die Parade mit der DGB-Demo zusammenführt, keine Rolle. Es gibt aber zum Beispiel bei der Gewerkschaft in Hamburg ein Organizing-Projekt, das ein Nebenprodukt von diversen Diskussionen ist, an denen auch AktivistInnen vom Euromayday beteiligt waren.

E.P.: Unsere Stärke ist, dass wir Debatten öffnen und bestimmte Diskussionen anstoßen, die für viele nicht einfach zu führen sind. Wenn man nun die Gewerkschaften anguckt, ist es wichtig zu sehen, mit wem redet man da? Das ist eine Institution. Wir sind keine und wir wollen das auch nicht sein. Das ist ein anderer Status und eine andere Organisationsform. Für mich ist es komisch, wenn man sich vorstellt, dass wir auf einer total repräsentativen Ebene jetzt zusammen Aktionen machen sollten. Wer sind bitte schön die Verhandlungspartner oder was wären die Aktionen, die man dann zusammen macht?

Die Frage nach dem Verhältnis zum DGB drängt sich auf, ihr habt euch ja nicht zufällig den ersten Mai als Aktionstag ausgesucht ...

E.P.: Ja, aber das sind doch Idealvorstellungen einer Homogenisierung, wenn man solche Projektionen aufmacht. Was tatsächlich passiert ist, dass Leute in netzwerkartiger Form versuchen hier und da einzuwirken. Und zwar da, wo man einen Anknüpfungspunkt finden und einen Prozess herleiten kann. Ich mach zum Beispiel beim Organizing-Projekt mit, wir organisieren Wachmänner und -frauen (vgl. ak 495) Wenn ich nun ganz konkret meine Arbeitskraft bei den Gewerkschaften verkaufe, dann bringe ich dort zwangsläufig meine Vorstellungen von Arbeit und meine Kämpfe als Euromayday-Aktivistin mit ein. Natürlich werden wir drei AktivistInnen, die im Organizing-Projekt sind, nicht die Gewerkschaften umkrempeln, aber Bewegung kommt da auf jeden Fall hinein.

Im Vorfeld zum Euromayday gibt es die Folgekonferenz "Kosten rebellieren". Was hat es damit auf sich?

F.J.: Die Konferenz findet am 29./30. April in Hamburg statt und beschäftigt sich aus einer antirassistischen und migrantischen Perspektive mit Arbeits- und Lebensrealitäten, in denen die Gewerkschaften natürlich total maßgebend sind. Es gab ja nicht zufällig den Streit darüber, wie diese Gewerkschaft mit der Globalisierung der Arbeiterklasse umgeht. Umgekehrt sind antirassistische Netzwerke zwar im Konkreten fähig, unglaubliche Energien zu mobilisieren. Diesen Netzen fehlt aber die institutionelle Macht, die für eine ausdauernde Kampagne notwendig ist. In den Gewerkschaften hat sich ein politischer und sozialer Dekonstruktionsprozess abgespielt. Dabei konstituieren sich neue Bewegungen und Subjekte. Ein Anliegen der Konferenz ist, zu diskutieren, wie wir mit diesen neuen Situationen umgehen? Wie können neue Konzepte aussehen?

M.B.: Wir sprechen immer davon, dass Euromayday ein Prozess ist. Letztes Jahr wurde von außen immer wieder in Frage gestellt, ob wir nach dem ersten Mai überhaupt noch als Zusammenhang existieren, ob es eine Kontinuität gibt. Da mussten wir einige eines besseren belehren. Was ich spannend finde ist, dass sich Gruppenidentitäten im Euromayday auflösen. Das liegt u.a. daran, dass sich viele Einzelpersonen einbringen. Man muss nicht Delegierter einer Gruppe sein, um mitzumachen und das wird von vielen als positiv bewertet. Hier zeigt sich das Prozesshafte von Euromayday ganz konkret in der täglichen politischen Arbeit und Form der Organisierung.

Ihr wolltet letztes Jahr "keine langweilige Latschdemo" machen, sondern eine bunte Parade. Was ist euer Konzept?

M.B.: Die Parade ist gedacht als Plattform. Wir vom Vorbereitungskreis hatten vorher keine Ahnung, was an diesem Sonntag passieren wird. Wir waren selbst überrascht, wie viele Gruppen und Einzelpersonen sich parallel Gedanken gemacht haben, was wollen wir am 1. Mai auf die Straße bringen; Sei es mit selbst gemalten Schildern, Kostümen oder Musik. Da haben Leute ihre Forderungen in einer Weise präsentieren können, die nicht gelenkt wurde. Wir hatten vorher keine Aufstellung festgelegt, sondern hatten lediglich eine Vorstellung, wer die Parade anführt und wo die großen Wagen sind. Für den Rest gab es keine Choreografie und das macht das Spannende ja aus.

F.J.: Es gab in dem Sinne schon eine Choreografie, nämlich eine, die dies erlaubt und ermöglicht hat. Im Unterschied zu dem, wie sonst Demonstrationsabläufe geplant sind. Normalerweise gibt es bestimmte Vorstellungen von Repräsentanz. Dies betrifft die Form der Aussage, die meistens verbalisiert sein muss und einem bestimmten Sprachduktus folgt. Auf traditionellen Demos gibt es eine extrem schmalspurige Form der Darstellung.

Ihr plant eine so genannte militante Untersuchung. Könnt ihr kurz das Projekt vorstellen?

E.P.: Es kursieren ja wieder diese alten Begriffe, wie der der militanten Untersuchung. Dabei handelt es sich um ein Webprojekt, bei dem es darum geht, die existierenden Kämpfe von Prekarisierten zu dokumentieren und verbinden. Welche Akteure und Gruppen gibt es im Euromaydayprozess und wie sind ihre jeweiligen Arbeits- und Lebenssituationen? Damit soll den existierenden Kämpfen eine Plattform gegeben werden, von der aus eine Vernetzung stattfinden kann. Man versucht neue Formen der Subjektivierung darin zu erforschen, indem man sich selber als politisch Aktive in die Untersuchung mit einbezieht. Forschung passiert nicht nur in den Universitäten, wo man immer nur andere erforscht und die großen abstrakten Analysen macht, sondern kann auch eine Selbstuntersuchung sein. Wir sind mittendrin und versuchen ein Stück weit raus zu finden, was diese Heterogenität ausmacht.

M.B.: Dies ist eine Gleichzeitigkeit von Wissensproduktion, Aufbau von Kooperation und aktivierender Untersuchung. Aktivierend in dem Sinne, dass man anfängt sich überhaupt über bestimmte Dinge einen Kopf zu machen. Ich bringe meine eigenen Fragen mit ein und tausche meine Erfahrungen mit anderen aus. Dabei geht es nicht um eine akademische Wissensproduktion. Vielmehr soll dieses Wissen aus gewissen Institutionen, wie Universitäten raus gebracht werden. Es ist immer die gleiche Aktion, die wir versuchen zu machen: Kommunikationsräume zu öffnen, Wissen zu transferieren und sich in diesem Prozess auch zu verändern und neue, weitere Fragen zu formulieren.

Ihr benutzt hier den Begriff der militanten Untersuchung, der ja ursprünglich in Italien für Befragungen von Arbeitern in Fabriken entstanden ist. Kann man diesen Begriff auf eine größtenteils akademische, mittelständische Linke, die sich selbst interviewt, übertragen?

E.P.: Wenn ich den Begriff aufführe, versuche ich diesen zu kontextualisieren. Man kann aber auch nicht so tun, als würde man das Rad ständig neu erfinden, schließlich bezieht man sich auf etwas. Der Bezug ist, dass wir uns die aktuellen Arbeitsverhältnisse angucken und untersuchen, was da passiert. Es gibt natürlich immense Unterschiede. Wir sind nicht mehr in der Fabrik und wir sind nicht die ersten, die das postulieren. Nun ist die Frage, wie kann man die Veränderungen, die derzeit stattfinden, übersetzen? Dies sind die Auseinandersetzungen, die wir u.a. mit den Gewerkschaften führen, die nach wie vor reine Verteidigungskämpfe führen und die realen prekären Lebensrealitäten nicht im Blick haben. Es handelt sich hier um eine "Übersetzung" im wahrsten Sinne des Wortes.

F.J.: Mal ein antiakademischer Impuls gegen die Spaltung in Hand- und Kopfarbeit: Statt des gegeneinander Ausspielens sozialer Kompetenzen, kultureller Kapitale, Schlagkraft, keiner, kleiner oder größerer Einkommen setzen wir darauf, dass Linke selbst als Akteure in sozialen Verhältnissen ihre Situation befragen.

Eine Kritik am Euromayday ist, dass ihr die Frage der Organisierung nicht ausreichend thematisiert. Ingo Stützle schrieb in ak 496: "Die politischen Akteure scheuen sich davor zu vereinheitlichen, drücken sich aber gleichzeitig vor inhaltlichen Aussagen darüber, wohin die Reise gehen soll". Wohin soll also die Reise gehen?

F.J.: Fragst du mich persönlich, sage ich, da gibt es eine kommunistische Utopie. Würdest du jemand anderes fragen, der würde dir sagen Anarchismus. Dann könnte man sich darüber unterhalten, ob man sich da historisch auf der Ebene der ersten Internationalen von 1870 bewegt oder ob man schon im Jahre 2006 angekommen wäre. Aktuell im Euromayday geht es uns ganz wesentlich darum, eine Plattform zu schaffen, eine "participation populaire" oder wie man das auch immer bezeichnen will. Das ist die Voraussetzung, um überhaupt ein soziales Verhältnis zu konstituieren, in dem dann programmatische Antworten möglich werden.

M.B.: Die Frage der Organisierung wird im europäischen Maydayprozess noch einmal anders diskutiert. Da sind wir uns nicht einig, einige sagen mobilisieren, andere sagen organisieren. Den Euromayday gibt es z.B. in Mailand seit sechs Jahren. Sie haben klein angefangen und bringen mittlerweile 100.000 Menschen auf die Straße. In diesem Jahr wird er zum ersten Mal dezentral in mehreren Städten Italiens stattfinden. Die italienischen AktivistInnen haben einen längeren Prozess hinter sich als wir. Auch die Vorstellung von Organisierung ist eine andere. Das geht für einige mehr in Richtung eines social unionism, angelehnt an die Wobblies (1), womit stärker gemeinsame Forderungen formuliert werden sollen. Dies soll nun über Italien hinaus auf eine europäische Ebene gebracht werden. Für uns ist es aber wichtig, dass wir zunächst einen lokalen Prozess in Gang bringen. Unser Ziel ist es, über einen untersuchenden Aktivismus Fragen zusammenzuführen, die aber am Ende eben nicht in einer einzelnen Forderung aufgehen müssen.

Anmerkung:

1) Wobblies sind die Mitglieder des Gewerkschaftsverbands Industrial Workers of the World. Der IWW wurde 1905 von revolutionären SydikalistInnen in Chicago gegründet. Sie propagierten und praktizierten u.a. Direkte Aktion und Sabotage.