Licht und Schatten
Einige Thesen zur KB-Nahostpolitik 1972-1982
Anlass für den Zweiteiler zur Nahostpolitik des Kommunistischen Bundes (KB) war Gerhard Hanlosers Aufsatz "Bundesrepublikanischer Linksradikalismus und Israel - Antifaschismus und Revolutionismus als Tragödie und als Farce". (1) Diesen Text habe ich in ak 502 kritisch kommentiert, Gerhard Hanloser antwortete in ak 503 mit einer Kritik der Kritik. Nach Lektüre etlicher Veröffentlichungen des KB zum Nahostkonflikt möchte ich meine Sicht der Dinge in einigen Thesen zusammenfassen. Dabei beschränke ich mich auf die Zeit bis 1982 - die in diesem Jahr einsetzenden Lernprozesse sind im zweiten Teil meines Artikels dargestellt.
Ausgangspunkt für das besondere Interesse, das der Nahostkonflikt (nicht nur) beim KB weckte, war die Hoffnung auf die arabische Revolution, die sich gegen "Imperialismus, Zionismus und arabische Reaktion" richten sollte. Die PalästinenserInnen spielten dabei offensichtlich eine besondere Rolle: Sie hatten mit dem bewaffneten Kampf begonnen.
Die "Befreiung Palästinas" stellte man sich dabei nicht einfach als "Zerschlagung Israels" vor. Vielmehr sollte auf israelischem Boden und in den seit 1967 besetzten Gebieten ein "binationaler" Staat entstehen, in dem Araber und Juden gleichberechtigt zusammen leben würden.
Dass die "Befreiung" nicht nach dem Muster des "Volkskriegs" vonstatten gehen konnte, war dem KB frühzeitig klar: Schon die Mehrheitsverhältnisse machten eine palästinensische Bündnispolitik mit den jüdisch-israelischen "Werktätigen" notwendig.
Die PFLP als die privilegierte und nach Selbstauskunft marxistisch orientierte Bündnispartnerin des KB war allerdings weder gewillt noch in der Lage, eine entsprechende Politik zu betreiben. Trotz verhaltener Kritik hielt der KB lange Jahre an der Unterstützung der PFLP fest.
Die Hoffnung auf den revolutionären Sturz der israelischen wie der arabischen Bourgeoisien durch eine arabisch-jüdische Massenbewegung mit der palästinensischen Linken als Avantgarde war von vornherein illusorisch. Trotz aller innergesellschaftlichen Konflikte standen und stehen die allermeisten jüdisch-israelischen "Werktätigen" loyal zum Staat Israel.
Die Tatsache, dass der Staat Israel nach der Shoah zur historischen Notwendigkeit geworden war, ignorierte der KB fast vollständig. Zionismus wurde als eine Form des Imperialismus gesehen. Statt von der israelischen Regierung oder Armee war meist von "den Zionisten" die Rede. Dass in der Sowjetunion und den anderen realsozialistischen Staaten "Zionist" meist als Synonym für "Jude" gebraucht wurde, fiel auch dem KB nicht auf, der ansonsten mit seiner Kritik am "Sowjetrevisionismus" nicht zimperlich war.
Der israelische Staat galt dem KB ausschließlich als Bastion des imperialistischen Westens, nicht als Zufluchtsort der Shoah-Überlebenden und anderer Opfer antisemitischer Verfolgung. Eine besondere deutsche Verantwortung für die in Israel lebenden Jüdinnen und Juden wurde negiert. Die von der Adenauer-Regierung betriebene - zweifellos vom westdeutschen Staatsinteresse geleitete - Politik der Wiedergutmachung wurde vom KB pauschal als "Geschäft mit dem schlechten Gewissen" diffamiert. Nicht nur hier wurde die Konfrontation mit dem heuchlerischen Philosemitismus und dem anti-arabischem Rassismus des westdeutschen Mainstream weit überzogen.
Der gedankenlose Umgang mit der deutschen Geschichte zeigte sich auch, wenn die israelische Besatzungspolitik mit NS-Verbrechen auf eine Stufe gestellt wurde. Damit wurde die Singularität der deutschen Menschheitsverbrechen bestritten. Mit der falschen Vorstellung, allein die "Kapitalistenklasse" sei für die Verbrechen des deutschen Faschismus verantwortlich, wurden die "werktätigen" MittäterInnen von Schuld weitgehend freigesprochen. Der NS-Israel-Vergleich wird auch nicht dadurch relativiert, dass der KB in den 1970er Jahren insgesamt inflationär von Faschismusvorwürfen und NS-Vergleichen Gebrauch machte.
Zu den Ursachen diverser Fehleinschätzungen des KB gehören: mangelnde Kenntnisse über die Realitäten im Nahen Osten; Gedankenlosigkeit im Umgang mit der deutschen Geschichte; ein falscher Faschismusbegriff. Die These, dass die Exkulpation der "normalen Männer" unter den Nazi-Tätern mehr oder weniger bewusst betrieben wurde, bleibt Spekulation.
Ebenso unbewiesen ist die Behauptung, der "Antizionismus" sei die "Weltanschauung" der gesamten Neuen Linken, und damit auch des KB, gewesen. Überzeugender scheint mir die Analyse Shulamit Volkovs, die im Antizionismus - wie im Antisemitismus - einen "kulturellen Code" sieht: "Trotz der marginalen Bedeutung, die dem Anti-Zionismus in der Gesamtideologie der extremen Linken zukommt, hat er in dieser Kultur doch eine Art Symbolcharakter angenommen. Er ist zum Erkennungszeichen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten subkulturellen Milieu geworden." (2)
Geschrieben wurde das 1990; heute trifft dieser Befund nur noch auf kleiner werdende Teile der "antiimperialistischen" Linken zu.
Js.
Anmerkungen:
1) in: Gerhard Hanloser (Hrsg.): Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken. Zur Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik. Unrast-Verlag, Münster 2004; und im Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXXIII (2005): Antisemitismus, Antizionismus, Israelkritik. Herausgegeben von Moshe Zuckermann. Wallstein-Verlag, Göttingen 2005
2) Shulamit Volkov: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. C.H. Beck, München, 1990