Nach der Wahl ist vor dem Sturm
Der israelische Unilateralismus bringt keinen Frieden
Mit Ehud Olmert wurde zum ersten Mal in der Geschichte Israels ein Ministerpräsident an die Macht gewählt, dessen Wahlkampfplattform eine explizite Ankündigung enthielt, jüdische Siedlungen in der Westbank zu räumen und einen Teilrückzug auch aus dem mythologisierten Kerngebiet von "Judäa und Samaria" durchzuführen. Der selbsternannte Hüter der ewigen Flamme von Groß-Israel, Benjamin ("Bibi") Netanjahu, ging mit seinem Rumpf-Likud spektakulär baden. Hoffnungen auf eine baldige Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts sind dennoch verfehlt. Olmerts Plan einer Einverleibung großer Teile der Westbank würde lediglich drei abgeschottete palästinensische Kantone schaffen, aber kein überlebensfähiges Staatsgebiet.
Einst Volkspartei, stellt der Likud mit seinen jetzt elf Mandaten eine Splitterpartei der Siedlerlobby dar. Sie ist vom einstigen Champion zum Paria mutiert, von dem die überwiegende Mehrheit der Israelis am liebsten gar nichts hören würde. Bei aller Freude über Bibis einstweiligen Abgang sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die extreme Rechte in der neuen Knesset auch über die zwölf Abgeordneten der von Avigdor Liebermann geführten Partei Israel Beitenu ("Unser Haus Israel") vertreten ist. Da Liebermann in der gewichtigen Wählergruppe der EinwanderInnen aus der ehemaligen Sowjetunion viel Rückhalt genießt, sind die Wahlsieger uneins, wie sie mit diesem bulligen Law-and-Order-Politiker Liebermann umgehen sollen. Seine Liste vertritt einen weiterentwickelten "Transfergedanken" (sprich: "Araber raus!"), um die jüdische Mehrheit im Lande auf Dauer sicherzustellen.
Der vom Gewerkschaftsführer zum Parteichef aufgestiegene Amir Peretz bezeichnet Liebermann als Le-Pen-Verschnitt und lehnt jede Zusammenarbeit mit ihm ab. Peretz hat mit seinem sozialdemokratischen Face-Lifting die totgeglaubte Arbeitspartei doch noch zu einem in der heutigen Lage akzeptablen Wahlergebnis geführt hat und wird nun als "Vizekanzler" in die neue Regierung einziehen. Sharons Erbe im Chefsessel der Kadima-Partei, Ministerpräsident Ehud Olmert, möchte Liebermann hingegen in die Regierung einbinden, um sein Störpotenzial zu verringern.
Wie auch immer die neue Regierung aussehen wird, sie ist Ergebnis von ungewöhnlichen Wahlen. Der Wahlkampf verlief für israelische Verhältnisse sehr gehemmt und weitgehend inhaltsleer. Kein Wunder, dass die Wahlbeteiligung ungewöhnlich niedrig ausfiel. Noch nie haben so wenige WählerInnen so viele Parteien in die Knesset gewählt. Volksparteien gibt es in Israel keine mehr, auch die großen Parteien sitzen tief im 30%-Turm. Eine Kuriosität wie die neugegründete Rentnerpartei Gil errang auf Anhieb sieben Sitze und gilt sogar als möglicher Koalitionspartner. Wie ratlos müssen Leute sein, wenn sie eine Ein-Thema-Partei wählen, deren Hauptattraktion der großväterliche Charme ihres Gründers Rafi Eitan ist? Eitan ist ein ehemaliger Geheimdienstoffizier, er war Einsatzleiter bei der Entführung Eichmanns nach Jerusalem sowie ein alter Freund von Sharon.
Der Likud verliert, die extreme Rechte legt zu
Die Erfolge von Neugründungen wie Kadima oder Gil bei diesen Wahlen sowie die fortschreitende Zersplitterung der Parteienlandschaft sind eher Anzeichen eines sich verflüssigenden politischen Systems denn Zeugnisse einer stabilen Demokratie. Was von manchen Kommentatoren als der offizielle Abschied von liebgewonnenen Illusionen und Zeichen der Reife israelischer WählerInnen gefeiert wurde, nämlich die Abwesenheit oder der fehlende Sex-Appeal großer Politikentwürfe, sieht bei genauer Betrachtung eher nach einem Eingeständnis der Ratlosigkeit der WählerInnen und der Konzeptlosigkeit der israelischen Politik aus. Der in Israel weitgehend konsensfähige Mauerbau in und um die Westbank herum wird so um sichtbaren Zeichen einer im psychologischen Sinne regressiven Antwort auf die Widersprüchlichkeiten des israelisch-palästinensischen Konfliktes.
Geplant ist ein Teilrückzug aus den palästinensischen Städten und dicht besiedelten Gegenden (die A-Gebiete der Oslo-Jahre) sowie das Abkoppeln des israelischen Staatsgebietes inklusive der jüdischen Siedlungsblöcke in der Westbank vom Rest der Gebiete durch Sperrwälle, ökonomischen und politischen Boykott. Diese Abschottung ist der manifeste Versuch, sich die PalästinenserInnen und am besten gleich auch noch die jüdischen SiedlerInnen mit ihrem peinlichen Messianismus aus den Augen und aus dem Sinn zu schaffen. Klingt lächerlich, ist aber Regierungsprogramm. Der von Sharon initiierte Rückzug aus dem Gazastreifen gilt weithin als pragmatischer Ansatz in einer verfahrenen Situation. In Wahrheit stellt der Unilateralismus der israelischen Regierung im Umgang mit den PalästinenserInnen eine politische Bankrotterklärung dar. Übrig bleibt die Logik des Krieges. Sollte sich Olmert mit seinen Plänen durchsetzen, würden die von Israel nicht vereinnahmten Teile der Westbank in drei Kantone zerfallen. Ein palästinensischer Staat wäre in diesem Rahmen nicht überlebensfähig. Es bleibt ein Meisterstück der israelischen Diplomatie, diesen Expansionismus in neuem Gewand als Rückzug und Zugeständnis darzustellen und dafür sogar gelobt zu werden.
Der Boykott gegen die Hamas ist hochriskant
Die palästinensische Seite bleibt hier notwendigerweise unerwähnt. Die Mär der Unilateralisten, dass Palästinenser wilde Tiere seien und mit ihnen nicht verhandelt werden könne, hat sich nicht nur in der US-Administration durchgesetzt, sondern trifft spätestens seit dem Erdrutschsieg der Hamas bei den palästinensischen Wahlen auch in Europa auf offene Ohren. Gleichzeitig ist aber die Hamas ausgerechnet bei den ersten vorzeigbaren demokratischen Wahlen in einem arabischen Land an die Macht gekommen. Dieser Umstand stürzt alle Beteiligten auf westlicher Seite in Argumentationsschwierigkeiten: Eine Missachtung des palästinensischen Wahlergebnisses seitens der USA oder Europas führt einen zentralen Aspekt des Legitimierungsdiskurses für den "Krieg gegen den Terror" ad absurdum und ruiniert die verbleibende Reputation westlicher Demokratiekonzepte in der arabisch-muslimischen Welt, stärkt also autoritäre Systeme und Strömungen.
Die politische Isolierung der Hamas und ein Wirtschaftsboykott gegen die Autonomiebehörde - oder was davon übrig ist - würde neben einer ernsten humanitären Krise auch die weitere Erosion formaler Institutionen und über kurz oder lang eine Irakisierung der palästinensischen Gebiete bedeuten. Diese Risiken des unilateralen Ansatzes sind im Grunde allen bekannt, werden aber erfolgreich ausgeblendet, wenn es um den Umgang mit Hamas geht. Die USA haben sich bereits der israelischen Boykott-Linie angeschlossen, die EU bleibt bislang abwartend.
Tatsächlich hängt viel vom Regierungshandeln der Hamas ab; für Prognosen ist es zu früh. Klar jedoch ist, dass die israelische Regierung mit einer demokratisch legitimierten Hamas-Regierung einen sehr viel ernsthafteren Gegner hat als es die Fatah jemals war. In palästinensischen Augen bedeutet die von Olmert angekündigte Teilräumung jüdischer Siedlungen einen weiteren Teilsieg im Kampf gegen die Besatzung. Sollte die Hamas die ihnen von den WählerInnen zugeschanzte Carte Blanche klug nutzen, indem sie auf eine Zwangsislamisierung der palästinensischen Gesellschaft verzichtet und die Korruption der Autonomiebehörde spürbar eindämmt, wird ihr Ansehen bei der Bevölkerung stark zunehmen.
Der israelische Versuch, die Hamas zu isolieren und zum Aufgeben zu zwingen, ist für die Stabilität der gesamten Region hochriskant und wird über kurz oder lang wahrscheinlich das Gegenteil bewirken - nämlich eine dritte und noch stärker militarisierte Intifada, die sich vor allem gegen jüdische Siedlungen in der Westbank richten wird.
Achim Rohde