USA: Einwanderungspolitik unter Druck
Massendemonstrationen stellen Reform der Einwanderungspolitik in Frage
Für seine zweite Amtsperiode hat US-Präsident Bush das Thema "Migration" ganz oben auf die politische Agenda gesetzt und damit eine nationale Debatte um Legalisierung, GastarbeiterInnenprogramme und "Grenzschutz" entfacht. Der Kongress favorisiert einen Gesetzesvorschlag, der ausschließlich auf die Militarisierung der Grenze zu Mexiko und auf eine Kriminalisierungpolitik im Inland abzielt. Im Senat dagegen wird auch über die Legalisierung von illegalisierten MigrantInnen debattiert. Im Frühjahr protestierten hunderttausende von Menschen überall in den USA gegen eine Verschärfung der geltenden Regelungen. Die Proteste wurden am 1. Mai fortgesetzt. Eine Einigung ist noch nicht in Sicht.
Dass Bush sich explizit dem Thema Migration zuwendet, kommt nicht von ungefähr: Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere gehören zum amerikanischen Alltag wie Fast Food und Reality TV. MigrantInnen putzen die Häuser amerikanischer StaatsbürgerInnen und die Büros transnationaler Unternehmen. Sie arbeiten in Restaurants, auf Baustellen und in der Landwirtschaft. Viele von ihnen haben einen amerikanischen Führerschein, ein Bankkonto, und manche zahlen sogar Steuern. Insgesamt wird die Zahl der illegalisierten MigrantInnen in den USA auf ca. zwölf Millionen geschätzt, Tendenz steigend. Ein Großteil kommt aus Mexiko und Lateinamerika. Bei dem Versuch, die streng bewachte US-mexikanische Grenze illegal zu überqueren, kamen 2005 nach Angaben des mexikanischen Außenministeriums 473 Menschen ums Leben. Sie erstickten in Containern, ertranken in Flüssen, verdursteten in abgelegenen Wüstengebieten oder wurden Opfer von Überfällen. Seit seinem Amtsantritt hat Bush das Budget für die "Sicherheits"maßnahmen an den US-Grenzen um 66 Prozent erhöht und die Militarisierung der Grenzen permanent ausgebaut. Immer mehr Menschen werden so auf Migrationsrouten in unwegsame und nur zu oft tödliche Wüstengebiete abgedrängt.
Fast Food, Reality TV und rassistische Arbeitsteilung
Kein Wunder also, dass Präsident Bush Handlungsbedarf sieht. Sein Vorschlag zur Reformierung der Migrationspolitik beinhaltet im Kern drei Elemente: Erstens soll die Militarisierung der über 3.000 Kilometer langen US-amerikanischen Südgrenze weiter verschärft werden. Neben der personellen Aufstockung und der Finanzierung von High Tech zur Infrarot-, Radar- und Satellitenüberwachung geht es dabei unter anderem auch um den Bau einer Mauer am Rio Grande. Knapp ein Drittel der Grenze zu Mexiko soll schlicht und ergreifend umzäunt und zugemauert werden. Der Vorschlag führte Anfang 2006 national und international zu Empörung und Kritik, ist aber in Washington nach wie vor nicht vom Tisch. Zweitens möchte Bush die geltenden Gesetze im Inland energischer durchsetzen und weiter verschärfen. Dies betrifft zum einen die Abschiebung von illegalisierten MigrantInnen, die zur Zeit nur teilweise und höchst selektiv vollzogen wird. Zum anderen sollen Unternehmen, genauso wie BürgerInnen und Hilfsorganisationen, die MigrantInnen ohne gültige Aufenthaltspapier beschäftigen, mit ihnen kooperieren oder sie unterstützen, kriminalisiert und mit hohen Geldstrafen belegt werden. Drittens beinhaltet Bushs Vorschlag ein GastarbeiterInnenprogramm, das auf die Legalisierung der bereits in den USA lebenden MigrantInnen abzielt. Erwünscht ist freilich nur, wer arbeitet. Ausschließlich MigrantInnen, die bereits einen Arbeitsplatz haben und möglicherweise auch schon Steuern zahlen, sollen sich nach Bushs Vorstellungen auf eine Legalisierung bewerben können.
Im Einwanderungsland USA ist das Thema Migration alles andere als neu. Die Einschränkung migrantischer Rechte begann bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert. 1986 war unter Reagan der Immigration Reform and Control Act erlassen worden, unter dem sich 2,7 Millionen MigrantInnen legalisieren konnten. Seitdem sind die gesetzlichen Regelungen auf diesem Gebiet mehrfach "nachgebessert" worden. Stets wurde dabei spezifischen Gruppen eine Verbesserung ihres Status ermöglicht, während gleichzeitig repressive Maßnahmen verschärft wurden. George W. Bush hatte bereits kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 mit dem mexikanischen Präsidenten Vicente Fox über eine Legalisierung mexikanischer MigrantInnen in den USA verhandelt. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Beginn des "Krieg gegen den Terror" war das Thema Legalisierung jedoch erst einmal vom Tisch.
Der neue Vorstoß der Bush-Administration, ein GastarbeiterInnenprogramm einzuführen, ist alles andere als progressiv (und selbstverständlich mit hohen Gebühren für die MigrantInnen verbunden). Vor allem läuft es auf eine rechtliche Anerkennung des Faktischen hinaus. Die US-amerikanische Nachfrage nach billiger Arbeitskraft wird zu großen Teilen von migrantischen Arbeitskräften befriedigt. Gregory Siskind, Rechtsspezialist im Bereich Migration, sieht darin auch den Grund, dass die bereits existierenden Restriktionen im Inland bislang kaum durchgesetzt werden. "Die USA absorbieren jedes Jahr bis zu 500.000 illegale ArbeiterInnen, aber die Bundesbehörden stellen jährlich nur 5.000 Visa für Niedrigqualifizierte aus," so der Rechtsanwalt gegenüber der Washington Post. Ginge es nach Bush, so sollen amerikanische Unternehmen zukünftig auch legal auf billige migrantische Arbeitskräfte zugreifen können. Damit könnte die Verfolgung Illegalisierter stärker durchgesetzt werden und nebenbei würde zumindest ein Teil der in den USA lebenden MigrantInnen durch ihre Legalisierung einer stärkeren behördlichen Kontrolle unterworfen.
Angesichts der nationalen Sicherheitsparanoia sollte man meinen, dass Bush mit seinen Vorschlägen nicht nur beim republikanischen Mainstream, sondern auch bei den Hardlinern offene Türen einrennt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Zwar ist man sich bei den Republikanern einig, dass die Grenze zu Mexiko noch weiter aufgerüstet werden muss. Und auch über die Kriminalisierung von Organisationen, die MigrantInnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, herrscht Konsens. Aber eine Legalisierung von MigrantInnen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis lehnt der rechte Flügel der Republikaner strikt ab. Statt dessen verabschiedete der mehrheitlich republikanische Kongress im Dezember 2005 einen Gesetzentwurf, der ausschließlich den repressiven Teil der Bush-Reformen aufgreift.
Einwanderung und Kontrolle: Zwei Seiten einer Medaille
Ende März wurde die Gesetzesvorlage im Senat debattiert. Auch hier haben die Republikaner die Mehrheit. Wochenlang verhandelten gemäßigte Republikaner, konservative Hardliner und Demokraten im Senat über einen Kompromiss, der die repressiven Maßnahmen an den Grenzen und im Inland mit einem Legalisierungsprogramm verbindet. Die Mehrheit der zwölf Millionen Illegalisierten sollte sich danach auf einen legalen Status in den USA bewerben können. Zusätzlich waren jährlich 325.000 befristete Visa für ausländische BilligarbeiterInnen geplant. Doch zu einer Einigung kam es nicht. Stattdessen gingen die SenatorInnen Mitte April im Streit auseinander und fuhren erst einmal in die Osterferien. US-amerikanische Unternehmen zeigten sich über die mangelnde Kompromissfähigkeit der PolitikerInnen verärgert. George W. Bush attackierte prompt die Demokraten, sie hätten die migrationspolitische Reform im Senat blockiert. Dabei ist es das republikanische Lager, das zutiefst gespalten ist.
Gerade was wahlstrategische Überlegungen betrifft, ist die Lage für die Republikaner verzwickt. In vielen US-Großstädten sind die lateinamerikanischen MigrantInnen mittlerweile auf dem besten Weg, zur lokalen Bevölkerungsmehrheit zu werden. Seit 1980 hat sich die Anzahl der Latinos in den USA verdoppelt. Da immer mehr Latinos auch wahlberechtigt sind, entwickelt sich diese Gruppe langsam aber sicher zu einer wichtigen parteipolitischen Klientel. Das Magazin Newsweek spricht gar von einer New Latino Nation. Obwohl Bush bei den letzten Wahlen seinen Anteil an Latino-Stimmen erhöhen konnte, wählen diese nach wie vor überwiegend demokratisch. Im Mai 2005 gewann der Demokrat Antonio Villaraigosa die Wahlen zum Bürgermeister von Los Angeles vor allem durch die Unterstützung von Latino-WählerInnen. Mit der Verabschiedung eines GastarbeiterInnenprogramms würden die Republikaner deutlich in der Gunst der WählerInnen mit migrantischem Hintergrund steigen. Doch gleichzeitig dürfte dies auch die Demokraten stärken.
Eine reine Verschärfung der Repression könnte sich dagegen als völliges Fiasko erweisen. Wie schon Mitte der 1990er Jahre in Kalifornien könnten die Republikaner mit den Gesetzesverschärfungen leicht die ungebundenen WählerInnen verprellen und massive soziale Widerstände provozieren. Damals sollte die Proposition 187 illegalisierte Menschen von der Inanspruchnahme aller öffentlichen Dienstleistungen wie Schulen und Krankenhäuser ausschließen. Ärzte, LehrerInnen und Verwaltungsangestellte wurden dazu verpflichtet, verdächtige Personen bei den zuständigen Behörden anzuzeigen. Im Zuge der Proteste wurden viele MigrantInnen mobilisiert, die zuvor kaum am politischen Leben teilgenommen hatten. In Los Angeles gingen fast hunderttausend Menschen auf die Straße. Nach jahrelangem politischen Widerstand und etlichen Gerichtsverfahren wurde die Proposition 187 Ende der 1990er Jahre wieder kassiert.
Sollte eine liberale Reform scheitern oder sich gar der repressive Vorschlag des Kongress durchsetzen, könnte es wieder zu einem ähnlichen Szenario kommen. Gegen den im Dezember verabschiedeten Gesetzesvorschlag protestierten bereits hunderttausende von Menschen im ganzen Land. Den Auftakt machte Chicago, wo am 10. März weit über 100.000 Menschen demonstrierten. In den darauf folgenden Wochen kamen in Denver rund 50.000 Menschen zusammen, 20.000 gingen in Phoenix und Milwaukee auf die Straße. Auch in Washington, Boston, Detroit und anderen Städten kam es zu Massendemonstrationen. Dabei argumentieren die GegnerInnen der vom Kongress geplanten Gesetze, dass die MigrantInnen mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur US-amerikanischen Wirtschaft leisten und ihnen daher auch eine rechtliche Anerkennung gewährt werden müsse. Viele MigrantInnen schwenkten ihre Heimatflagge und die US-amerikanische Flagge. "Ohne uns geht hier die gesamte Wirtschaft unter" zitierte die Los Angeles Times einen jungen Demonstranten.
Die mit Abstand größten Proteste gab es in Los Angeles. Am 25. März versammelten sich hier laut Polizeiangaben 500.000 Menschen. Die VeranstalterInnen schätzten die Zahl auf eine Million. "Eine derartig breite Mobilisierung der MigrantInnen hat es in den USA noch nie gegeben", so Joshua Hoyt, Direktor der Illinois Coalition for Immigrant and Refugee Rights gegenüber der Los Angeles Times. "Sie haben den schlafenden Riesen geweckt. Das ist der Anfang einer riesigen migrantischen Bürgerrechtsbewegung." Dass die Proteste gerade in Los Angeles so groß waren, kann kaum überraschen. Zwar galt die Stadt noch in den 1960er Jahren als die größte "white City" der USA. Doch mittlerweile ist sie die wohl internationalste Metropole auf dem gesamten amerikanischen Kontinent, etwa 40 Prozent ihrer BewohnerInnen sind nicht in den USA geboren. Und nach den erfolgreichen Kämpfen gegen die Proposition 187 und nach der Justice for Janitors-Kampagne, in der überwiegend migrantische Putzkräfte ihre Arbeit in den Bürohochhäusern der großen Konzerne niederlegten, gehören migrantische Polit-Gruppen und Stadtteilinitiativen zum festen Bestandteil der städtischen Bewegungslandschaft.
Massendemonstrationen gegen Einwanderungsgesetz
Was am Ende aus dem migrationspolitischen Vorstoß von George W. Bush wird, ist schwer abzusehen. Im Senat herrscht Uneinigkeit. Im Kongress dominiert der erzkonservative Flügel der Republikaner. Die Demokraten haben keine eigene Mehrheit. Auf der Straße sieht es dagegen anders aus. Am 1. Mai, der in den USA kein offizieller Feiertag ist, wurden die Proteste fortgesetzt. Gewerkschaften und MigrantInnen-Organisationen riefen in über 50 Städten zu Demonstrationen, Streiks und Boykotts auf. Kommt es zu einer "Abstimmung mit den Füßen", könnten am Ende alle Parteien im Abseits stehen. Die progressiven Kräfte im Land dagegen würden deutlich gestärkt.
Henrik Lebuhn, San Francisco